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Kommerz-Kliniken geplant

Hamburg: Krankenkassen gaben bislang teuerste Wirtschaftlichkeitsstudie in Auftrag / Prüfungsergebnis sicher: Hospitäler werden zu GmbHs / US-Gesundheitskonzern HCA will bei deutschen Patienten absahnen  ■  Von Frank Jensen

„Ich bin eine Notaufnahme“, flüstert der bleiche, alte Mann. Gebeugt steht er vor der dynamischen Krankenschwester. Routinemäßig hakt sie die Aufnahmeliste ab. Bett, Schnabeltasse und Narkosemittel sind selbst mitzubringen. „Rent a sister“, „Secondhand-Organe“ und „Sargdiscount“ werben große Schilder im Hintergrund. Dieses Schreckensszenario bringt die Theatergruppe „Bacillus“ des Krankenhauses Hamburg-Barmbek auf die Bühne. Das Schauerstück könnte bald Realität werden.

Um die Kosten im öffentlichen Gesundheitswesen zu senken, lassen die Hansestadt und die Krankenkassen die zehn staatlichen Krankenhäuser begutachten: Kosten der bisher teuersten Untersuchung: acht Millionen Mark.

Beauftragt wurde die Tochter des führenden amerikanischen Wirtschaftsprüfers „Ernst und Whinney“ (E&W). Die hat einen besonderen Ruf in der Branche: In Bremen checkte sie von 1981 bis 1985 staatliche Kliniken durch. Bilanz: Von 7.000 Schwestern und Pflegern sollten 1.100 entlassen werden. Das war sogar dem Auftraggeber zuviel. Der Senat und die Kassen bauten nur 300 Stellen ab.

Schon fünfmal waren Hamburgs Krankenhäuser von verschiedenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durchleuchtet worden. Ergebnis: Sie arbeiten mehr oder weniger wirtschaftlich. Doch die Kassen ließen nicht locker, sie klagten weiter über zu hohe Pflegesätze und heuerten „Ernst und Whinney“ an.

Unternehmen Krankenhaus

Behrend Behrends, Chef der AOK Hamburg und Vorsitzender der Krankenkassenverbände: „Die Kliniken des Landesbetriebs Krankenhäuser könnten sehr viel wirtschaftlicher arbeiten, wenn sie verselbständigt würden. Das halte ich für ein ganz sicheres Prüfungsergebnis, da lege ich meine Hand für ins Feuer. Aber es macht einen Unterschied, zu wissen, wo man mehr Wirtschaftlichkeit schaffen könnte, und das dann auch durchzusetzen.“

Es soll also gespart werden. Eine Privatisierung von Teilbereichen wie Wäschereien und Reinigungsdienst wünschen Gesundheitsbehörde und Krankenkassen schon lange. Der jetzige Landesbetrieb Krankenhäuser soll aufgelöst oder zumindest in einen Eigenbetrieb verwandelt werden. Jedes Krankenhaus müßte dann wie ein Wirtschaftsunternehmen eigenverantwortlich den Haushalt planen. Die Krankenhausleiter würden zu Managern, die vor allem auf Kosten und Ertrag zu achten haben: Aufwendige medizinische Versorgung kostet viel und belastet die Bilanzen. Wer konkurrenzfähig bleiben will, beschränkt sich auf Standardversorgung.

Peter Kracht, Geschäftsführer von „Ernst und Whinney“ zog in seiner achtzehnteiligen Serie Unternehmen Krankenhaus in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ das entsprechende Fazit: Die „konsequenteste Form der Verselbständigung“ sei die GmbH. An einer solchen Gesellschaft mit beschränkter Haftung könnten sich außer dem Senat auch andere Kapitalanleger beteiligen. Stellenstreichung, Bettenabbau und Betriebsstillegung wären so leichter zu bewerkstelligen, denn in einer GmbH gilt das Personalvertretungsgesetz nicht, das den Beschäftigten besondere Mitspracherechte garantiert. Eigene Tarifverträge über Bezahlung und Arbeitsbedingungen müßten mit dem „Unternehmen Krankenhaus“ abgeschlossen werden. Der zuständige Senatsdirektor Dr. Mellmann habe sich schon entschieden: „Letztlich bin ich für die GmbH, weil sich viele Probleme damit lösen.“

„Hamburg hat die teuersten Krankenhäuser“, diesen Vorwurf machen die Kassen und die CDU. In Hamburg betrug 1988 der durchschnittliche Pflegesatz 318,22 Mark, in Bayern hingegen nur 226,11 Mark. Aber die Zahlen täuschen. In süddeutschen Großstädten wird der Pflegesatz verdeckt aus öffentlichen Mitteln subventioniert: Beispielsweise in Augsburg (1.605 Betten) mit jährlich über zwölf Millionen Mark. „Dies gilt für süddeutsche Kommunen, die entgegen dem Krankenhausfinanzierungsgesetz städtische Krankenhäuser subventionieren“, sagt Senatsdirektor Mellmann.

Dies war bis 1980 auch in Hamburg der Fall. Die meisten Bundesländer haben seitdem ihre Ausgaben für die Krankenhäuser gekürzt. Seit dem 1.Januar 1985 hat sich der Bund mit dem Inkrafttreten des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in Sachen Kliniken völlig zurückgezogen. Paragraph 4 dieses Gesetzes sieht vor: Pflegesätze und öffentliche Gelder sollen die Krankenhauskosten decken. Sie sollen sparsam wirtschaften und ihre Kosten im voraus kalkulieren. Festgelegt werden sie in den Pflegesatzverhandlungen mit den Krankenkassen.

Dr. Behrends von der AOK Hamburg will nun in den kommenden Pflegesatzverhandlungen seine Vorstellungen von der Betriebsform der Krankenhäuser durchdrücken. „Bei jeder Budgetverhandlung will ich die Strukturfrage für jedes Krankenhaus neu stellen.“ Das bedeute aber keine Amerikanisierung des Gesundheitswesens, die Strukturen seien da vollkommen anders.

US-Kliniken: Profitbetriebe

In den USA haben private Krankenhauskonzerne das Gesundheitswesen fest in der Hand. Bereits 1985 gehörten solchen Gesellschaften beispielsweise rund 40 Prozent aller Kliniken in Florida, Texas und Kalifornien. Das lukrative Geschäft mit der Krankheit lockte weltweit operierende Aktiengesellschaften: Im Aufsichtsrat der „Hospital Corporation of America“ (HCA) sitzen heute Vertreter von Esso, IBM und dem Waschmittelgiganten Procter and Gamble.

Die HCA, einer der führenden Klinikkonzerne, machte 1985 mit acht Milliarden Dollar etwas mehr Jahresumsatz als Coca Cola weltweit. Damals waren an der Wall Street die Krankenhausaktien der Renner.

Mit dem Verkauf von 104 Hospitälern will der Klinikkonzern, dessen Einnahmen in den vergangenen Jahren schrumpften, wieder Geld in die Kasse spielen. Eigene Analysen der Klinik -Company belegen, daß nur in städtischen Gegenden die Krankenhäuser wirtschaftlich arbeiten. Und Profit erbringen nur zahlungskräftige Klinikkunden, die Tagessätze bis zu 700 Dollar bezahlen können. Besonders Arme, Farbige und Latein -Amerikaner werden von dem „Profit-Center“ abgewiesen, weil sich deren Behandlung nicht lohnt.

Seine Managermethoden hat Jack Massey, einer der HCA -Gründer, als Chef der Imbiß-Kette „Kentucky Fried Chicken“ erlernt. Und seine Klinikkette soll demnächst auch in der Bundesrepublik präsent sein. In der klinisch weißen Hochglanzmappe mit Broschüren und Bilanzen ist als Ziel der „HCA“ nachzulesen: „Die internationale Führerschaft auf dem Gesundheitsfeld zu erreichen.“ Dafür stünden die US-Manager „Gewehr bei Fuß“, sagt Fritz Freymann, Direktor der auf Krankenhäuser spezialisierten Wirtschaftsberatungsgesellschaft Wiber.

Auf nach Germany

Der Startschuß fällt 1992: Dann soll auf dem europäischen Binnenmarkt auch Dienstleistungsfreiheit herrschen, darunter fallen auch die Krankenhäuser. Der Managing-Director Charles W. Neumann von der HCA-Filiale in London: „Ich kann definitiv bestätigen, daß HCA ein Interesse an Deutschland hat und das Gesundheitswesen sehr genau beobachtet.“

Werden alle Pläne Wirklichkeit, wird das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik nicht wiederzuerkennen sein. „Man muß alle Parallelorganisationen aufbauen, dann ersticken die alten Institutionen. Man sollte hier Health Maintenance Organisations (HMO) einführen, wie in den USA. In der Schweiz wird das gerade erprobt“, sagt Michael Stuwe, Abteilungsdirektor des Versicherungskonzerns „Volksfürsorge“.

HWOs sind Gruppenpraxen mit verschiedenen Fachärzten, ihnen sind kleine bis mittlere Krankenhäuser angeschlossen. Dort sind meist auch die Praxisärzte tätig.

Wirtschaftsprüfer Dr. Kracht schwärmt über die Zustände in den USA: „Einige große Anbieter von Gesundheitsleistungen haben bereits in Supermärkten und Kaufhausketten die ersten Behandlungsräume eingerichtet. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum alles umfassenden Super -Dienstleistungsunternehmen.“

Standardisierte Prüfberichte

Alfred Lorenz, Personalratsvorsitzender im Krankenhaus Bremen-Ost vermutet, daß die Prüfer nach Schema F vorgehen: „Ich habe auch andere Prüfberichte gelesen. die sind alle gelich formuliert. Für mich sieht das so aus, als würden alle Daten eines Krankenhauses in den Computer gegeben und der Textautomat macht den Prüfbericht nach vorgegebenem Muster daraus. Ein Indiz dafür ist, daß nur wenige Mitarbeiter vor Ort sind. Die nehmen alle Daten mit in die Zentrale nach Frankfurt.“

Selbst der Hamburger AOK-Chef Behrends, einer der Auftraggeber von „Ernst und Whinney“, ist etwas ratlos, nachdem er einen Zwischenbericht der Beratungsfirma gelesen hat: „Es gibt auch Schwachstellen in der Argumentation des Gutachters.“ Locker jonglieren die Wirtschaftsprüfer mit den sogenannten Anhaltszahlen, nach denen der Stellenbedarf für eine Station im Krankenhaus ausgerechnet wird. Immer wieder ist im Zwischenbericht „erfahrungsgemäß“ zu lesen, oder es wird von „groben Schätzwerten“ gesprochen. Gleichwohl kommen die Gutachter dann zu dem Ergebnis, daß exakt 63,6 Pflegekräfte fehlen.

Doch weder die Bremer Erfahrung, noch die Bedenken in Hamburg konnten den Vormarsch der Krankenhausgutachter „Ernst und Whinney“ stoppen. Inzwischen haben sie auch den Auftrag bekommen, die Kliniken in Kassel, Offenbach, Stuttgart und München zu durchleuchten.

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