: Deutsch, edel und nervenschwach
■ Kleine Männer und reinrassige Sportgeräte, oder: Was ein deutscher Schäferhund mit einem Mercedes 500 gemeinsam hat
Wichtig ist vor allem eines: deutsch muß er sein! Ansonsten sind wir ja neuerdings multikulturell, aber hier... Nein! Hier bestehen wir auf Reinrassigkeit. Weil er einfach besser ist. Und mutiger. Irgendwie edler. Wer hätte schließlich vor einem Mischling Angst? Nein, er muß deutsch sein. Er muß sich unterordnen können. Und er muß von ausgeprägtem Kampftrieb sein. So jedenfalls verlangt es die Prüfungsordnung. Der deutsche Schäferhund - Gebrauchshund und Statussymbol?
Vor 90 Jahren hat Rittmeister Max von Stephanitz den Verein für deutsche Schäferhunde (SV) gegründet und damit den Leistungssport mit dem Hund erfunden. Seither läßt sich der deutsche Schäferhund von qualifizierten und unqualifizierten Hundeführern in Fährte, Unterordnung und Schutzdienst ausbilden. Doch gerade die Ausbildung im Schutzdienst ist in letzter Zeit vermehrt umstritten, denn hier lernt der Hund das Stellen und Angreifen eines Menschen, des sogenannten Scheintäters. Und dann besteht die Gefahr, daß ein derart ausgebildeter Hund auch auf der Straße einmal zufaßt.
Ein Veterinärmediziner der Berliner Gesundheitsbehörde, der namentlich nicht genannt werden will, befaßt sich seit über zwei Jahrzehnten mit Bißvorfällen in Berlin: „Ein gut ausgebildeter Hund, der völlig der Kontrolle seines Herrn untersteht, ist überhaupt keine Gefahr. Doch machen die Leute häufig einen Fehler: Sie bilden ihren Hund bis zu einem gewissen Grad aus und brechen dann ab. Ein schlecht ausgebildeter Hund jedoch kann durchaus gefährlich sein, weil er durch den erlernten Kampf mit dem Menschen in seinem normalen Verhalten gestört ist.“ Gestört ist mitunter vor allem das Verhalten des Besitzers, avanciert doch der deutsche Schäferhund, mehr als Hunde anderer Rassen, zum Prestigeobjekt, „wie ein Mercedes 500. Mit dem Schäferhund führt der kleine Mann sich stark. So kann er seine Komplexe kompensieren.“
Mag der kleine Mann stolz sein, wenn sein großer Hund sich bedrohlich gebärdet - der arglose Radfahrer oder Jogger könnte seiner Ähnlichkeit mit dem „Scheintäter“ zum Opfer fallen, wenn Herrchen sein Tier nicht unter Kontrolle hat. „Besonders die nervenschwachen Hunde fühlen sich schneller gereizt oder bedroht und neigen daher zu Fehlreaktionen“, erklärt der Berliner Landesvorsitzende des SV, Werner Pramann. Nur einer ist natürlich frei von solchen Mängeln: „Doch ist es besonders das einwandfreie, sichere Wesen, das den deutschen Schäferhund neben seiner ausgeprägten Lernfähigkeit, seinem Mut und seiner Härte mehr als andere Hunde zur Schutzhundausbildung befähigt. Ein sicherer, wesensstarker Hund greift ohne wirklichen Grund niemals an.“
Der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz (der mit den Graugänsen) hingegen hielt gerade gezüchtete Rassehunde wie den deutschen Schäferhund für besonders nervenschwach und wenig belastbar. In seiner „Anklage gegen Züchter“ kritisierte er die Auswahl des Zuchttiers nach optischen Gesichtspunkten, da zwangsläufig nicht in gleichem Maße auf die Wesensqualität des Tieres geachtet werden könne. Bisweilen würden auch „seelisch defekte Tiere“ zur Zucht verwendet, die dieses Wesensmerkmal ebenso wie ihre Schönheit über Generationen weitervererbten. Doch ist es gerade die Schönheit, die den deutschen Schäferhund so wertvoll macht. Der Schausieger ist etwa 100.000 Mark wert.
Ob wohl alle Schäferhunde der bundesweit 100.000 Mitglieder des SV die nötigen Voraussetzungen für eine Schutzhundausbildung mitbringen, wird bezweifelt. Die Münchner Behörden jedenfalls sind davon nicht überzeugt und streben für die Zukunft ein generelles Verbot des Schutzdienstes an. Ihrer Meinung nach hat ein Großteil aller Hundehalter keine ausreichende Kontrolle über das Tier. Daß es oft mangelnder Gehorsam ist, der den Hund allgemein und damit auch den deutschen Schäferhund in Verruf bringt, hat inzwischen auch der Schäferhundverein gemerkt. Daher bieten die Berliner Ortsgruppen gemäß einem Augsburger Modell jedem Halter eines Hundes - egal, welcher Rasse - einen kostenlosen Lehrgang in der Erziehung seines Tieres an. Unter Anleitung kann der Laie dort die grundlegenden Regeln im Umgang mit seinem Hund erlernen. „Behandle deinen Hund so, wie du selbst behandelt werden möchtest“, empfiehlt eine vom SV herausgegebene Broschüre. „Reine Tierliebe“ bescheinigt Pramann dem überwiegenden Teil aller SV -Mitglieder. „Nur ein sehr kleiner Prozentsatz sind wirkliche Leistungssportler, die zum Teil auch etwas skrupelloser sind.“ 13 von ihnen kämpften auf der Berliner Meisterschaft vor einer Woche um den Meistertitel und die Teilnahme an der Bundessiegerprüfung im Oktober. Es siegten Cherie aus Hausruckwald und Jenny von der Herdersfarm. Im „Kampftrieb“ erhielten sie die höchste Punktzahl.
danni
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