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Laßt die Leipziger Verhafteten frei!

■ Warum schweigen die Reformkräfte in Ost und West zu den Gefangenen von Leipzig?

In dem neuen Zukunftsfieber, das unter SED-KritikerInnen in Ost und West grassiert, scheint etlichen Wortgewaltigen der Blick fürs Naheliegende und Konkrete verloren gegangen zu sein. Fast täglich ist von neuen Zusammenschlüssen in der DDR zu lesen. Die Ost-CDU macht Ansätze, sich aus der traditionellen Symbiose mit der staatlichen Führung zu lösen. Auch die DDR-SchriftstellerInnen, seit Monaten wie in der Versenkung verschwunden, finden offenbar ihre kritische Sprache wieder. Und in der Bundesrepublik stehen PolitikerInnen jeglicher Couleur Schlange, um ihre Reformratschläge und -forderungen den Journalisten aufzusagen. In keinem westdeutschen Statement fehlt das feierliche Gelöbnis, die Opposition in der DDR unterstützen zu wollen. Aber die vor einer Woche in Leipzig Verhafteten, die jetzt konkrete Hilfe brauchen, erhalten sie - bisher nicht.

Unter dem Eindruck der Anwesenheit von Westkameras am Messemontag vor vierzehn Tagen beschränkte sich die Stasi auf Videoaufnahmen. Sie filmte Menschen unter Transparenten mit der Forderung: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“. Diejenigen Demonstranten, die eine Woche später nach einem Friedensgebet in der Nikolai-Kirche draußen standen - ohne Transparent und damit ohne erkennbare Absicht, demonstrieren zu wollen -, griff sich die Stasi gezielt raus. Im Unterschied zu 98 wieder Freigelassenen sitzen jetzt immer noch zehn namentlich Bekannte im Gefängnis. Bis heute „verschwunden“ sind rund 30 weitere Personen. Als trügerisch erwiesen sich damit vorschnelle Spekulationen, die SED-Führung sei in Agonie verfallen. Zumindest in Leipzig haben Partei und Staat nochmal ihre morschen Zähne aufgerichtet und zugebissen.

Aber warum schweigt die Mehrheit der DDR-Opposition außerhalb der Stadt zu diesem Skandal? Es dürfte sich doch bis zur Synode in Eisenach oder bis zu den Schriftstellern in Ost-Berlin herumgesprochen haben, daß die LeipzigerInnen um Unterstützung gebeten haben. Und warum schweigen die Ehmkes, Brandts und Schilys? Daß ein Herr Dregger (CDU) für Angehörige von Basisgruppen oder ostdeutsche Autonome nicht die Hand aus der Tasche zieht, kann nicht verwundern. Ebensowenig, daß die Berliner AL, deren Messedelegation sich in Leipzig taubstumm stellte, den Mund hält. Alle anderen, die es ernst meinen mit der Unterstützung der DDR -Opposition, dürfen sich nicht mehr auf „stille Diplomatie“ beschränken. Wenn die SPD und die Grünen jetzt nicht laut die Freilassung der Inhaftierten von Leipzig verlangen, sind ihre Presseerklärungen der letzten Tage nicht das Papier wert, auf dem die Texte standen. Zur Erinnerung: Den Gefangenen wird „Zusammenrottung“ - das ist der amtliche Begriff für gewaltfreie Demonstration - vorgeworfen. Darauf steht laut Strafgesetzbuch der DDR eine Höchststrafe von bis zu acht Jahren.

Petra Bornhöft

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