: Begnadete Finger
■ DACAPO proudly presented: Joachim Kühn, Piano Pur
Mitte der Siebziger. Die letzten Seufzer der Landkommune. Genug geträumt von Arbeit und Leben. Genug Keith Jarrett durch wogende Hanfstauden geweht. Die Woge schwappte zurück Richtung Metropole. Für die Freunde rauschend glasklarer Pianomusik hieß der neue Star: Joachim Kühn. Gnaden arm, wie die Welt war, hatte ein Wort Hochkonjunktur, „begnadet“. Und Joachim Kühn, das galt als abgemacht, ist begnadet.
Kühn, das stand für glitzernden Rock, ambitionierten Free -Jazz, virtuos perlende Läufe der Rechten, dann wieder balladenhaft ausrauschende Klangteppiche, aus denen sich ein Rhythmus schält, der an Tempo und Schärfe zulegt, um sich in einer verträumt abstrakten Figur wieder zu verlieren. Musik zum Mitgehen, keine Musik, sich darin zu Verlieren.
Joachim Kühn '89: Die äußeren Formen sind - wie bei uns allen - barocker geworden. Knallederhose und Tigershirt wurden von schwarzer Seidenbluse und Viskosehose in Aubergine verdrängt. Geblieben sind das lockichte Haar, die Kargheit der Ansagen, die Musik. Das 155. DACAPO-Konzert am Sonntagabend in den Weserterrassen versammelte die an Hundert zählende treue Kühn-Gemeinde um den feinen Bösendorf-Flügel, ein kleines Fest mit Stimmung ohne Kerzen. Mit Strömen von Schweiß die Tasten ölend, gab Kühn eine Vorstellung seiner musikalischen Bandbreite; von John Coltrane („unser Freund“) bis zu minimalistischen Experimenten, von virtuosen Höchstfingerleistungen bis zu episch ausufernder Harmonik.
Stilistisch läßt sich Kühn ebensowenig festlegen wie geographisch (er wohnt abwechselnd in Californien, Paris, New York oder BRD). „Wandlungen“ heißt nicht nur eine Platte, sondern ist Programm. Am Sonntag holen ein Piano und ein Kühn die weite Welt in den Saal, die Augen fallen zu und der Körper beginnt zu schwingen. Und doch wollen die Augen nicht verpassen, wie Kühn in den Flügel taucht, wie er sich am linken Rand, wo die Bässe sitzen, im spitzen Winkel zur Tastatur krümmt, sich wie ein Torero aufrichtet, um dann ins Innenleben des Instruments zu tauchen: Zaubereien mit den blanken Saiten, mit Obertönen und Schwebungen. Dabei bleibt seine Musik fast immer „intelligent“, ironisch kappt sie den Rausch, wird dürr, erhebt sich wieder, trocknet plötzlich aus. Knochenarbeit am Elfenbein, dann ein Solo im Solo, Ausflug der Rechten nach „India“ (Coltrane). (Die Linke, die uns üblicherweise mit dem basso continuo bedient, meldet sich neuerdings auch mal eigenständig zu Wort, vielleicht etwas etudenhaft, sie scheint in Arbeit zu sein. Wenn Kühn tatsächlich, wie er angibt, acht bis zehn Stunden täglich übt, werden wir in den Neunzigern eine „perlende Linke“ erleben.)
Viel Beifall für Mr. Bold. Und doch, die Zeiten haben sich geändert: In der Kellerkneipe in Aachen war ich immer der erste, der klatschte. An diesem Abend konnten die Stücke mir gar nicht lange genug wegschweben. Außerdem wurde applaudiert
Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen