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Knickspanter und Gaffelschoner auf der Vulkan-Werft

■ Betriebsbesichtigung bei der Aucoop-Bootswerkstatt, einer alternativen Ausbildungswerft / Maritime Woche eröffnet

Keine Windjammer-Parade, kein Yachten-Treffen, kein Volksfest am Fluß - die maritime Woche 1989 der Hanse- und Hafenstadt Bremen fällt kümmerlich aus. Geschwächt durch die, laut Hafenbehörde, kostspielige Veranstaltung des letzten Jahres und die Konkurrenz des Hamburger Hafengeburtstages erschöpft sich das Programm des zuständigen Häfensenators Kunick in diversen Betriebsbesichtigungen. Von A wie Aucoop Handwerks- und Ausbildungscooperative bis W wie Wasserschutzpolizei sind in dieser Woche die Werkstore offen und ein Blick hinter die Kulissen gestattet. Zu festgelegten Zeiten und nach vorheriger Anmeldung, versteht sich.

Die Aucoop, die gestern morgen den Reigen der Betriebsführungen eröffnete, lohnt einen Besuch nicht allein der Dinge wegen, die es zu sehen gibt. Einen besonderen Status unter den vorhandenen Angeboten besitzt sie allemal als gemeinnützige Einrichtung mit dem Ziel, selbstverwaltete Arbeits- und (Weiter-)Bildungsmöglichkeiten bereit

zustellen. Arbeitslosen Jugendlichen, die eine abgeschlossene Lehre als Tischler oder Stahlbauschlosser vorweisen können,

bietet Aucoop die Gelegenheit, in eigenständigen Handwerksbetrieben berufliche Praxis zu absolvieren. Jüngstes Mitglied der Au

coop-Familie ist die im Herbst 1986 gegründete Bootswerkstatt. Aus der Taufe gehoben wurde sie, um Jugendliche im Bootsbau, ei

nem der qualifiziertesten und vielseitigsten Handwerksberufe, weiterzubilden. Und um mit den eigenen Produkten die Jugendarbeit sinnvoll bereichern zu können.

Angesiedelt ist die Bootswerkstatt, nach einem vorübergehenden Zwischenaufenthalt auf der Stephani-Werft, heute auf traditionsreichem Grund und Boden. Geduldet, ohne Wunschkind zu sein, belegen die Aucoop-MitarbeiterInnen gemeinsam mit dem Projekt Jugendkutterwerk Bremen eine ehemalige Holzlagerhalle auf dem Gelände der Vulkan-Werft in Vegesack. Wie wenig die Geschäftsleitung der großen „Staatswerft“ dem Zuwachs übern Weg traut, manifestiert ein maschendrahtener Trennzaun, der die selbstverwaltete Halle als Enklave im Werksgelände ausweist.

Mit den Meistern und Lehrschweißern, „denen unterhalb der Chefetage“, funktionieren Zusammenarbeit und Know-How -Austausch ganz gut, wie Werner Kordaß von Aucoop erzählt. Auch mit dem Betriebsrat vom Vulkan gebe es „einen ganz tollen Kontakt“. Das langfristige Verbleiben aber der gemeinnützigen Kooperative auf dem Werksgelände ist dennoch ungesichert. Bis 1991 läuft der Mietvertrag und bis zu diesem Zeitpunkt auch ist der Mietzuschuß des Arbeits

senators befristet.

Drei Ausbildungsprojekte sind derzeit in der Bootswerkstatt in Arbeit und als Rümpfe zu besichtigen. Prunkstück ist der 19 Meter lange Metall-Torso eines künftigen Gaffelschoners. Arbeitsteilig sind die Beschäftigten dabei, den Kiel zu schweißen, die Schablonen für die Schotten zu tischlern oder den Aufriß fürs Heck zu zeichnen. Gebaut wird die Stahlyacht im Rahmen eines berufsübergreifenden europäischen Gemeinschaftsprojektes, finanziert durch Mittel aus dem Europäischen Sozial-Fonds.

Die beteiligten Initiativen aus Holland, Belgien und England haben alle im Januar mit dem Bau von Segelbooten für die internationale Jugendarbeit begonnen. In Vegesack sind zwölf BerufsanfängerInnen aus dem Holz- und Metallbereich unter Anleitung erfahrener Handwerker dabei, den Gaffelschoner von der Vorbereitung über den Ausbau bis zur Fertigstellung komplett zu produzieren. Die vielseitigen Kenntnisse, die mit dem Bootsbau erworben werden, sollen den Jugendlichen nach den Aucoop-Vorstellungen die nötige Berufserfahrung für den freien Arbeitsmarkt verschaffen: Die bisherigen sechs AbsolventInnen der Bootswerkstatt sind mittlerweile in Facharbeiterstellungen gelandet.

Andreas Hoetzel

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