: Alemannias liebenswerte Plumpheit
Aachen liefert ein Schaustück vom Profifußball in der Provinz, oder: Wie Beckenbauer zum Preußen wird und Mustafa Denizli den Verein und die SPD retten soll / Erhoffte türkische Sponsorengelder fehlen noch ■ Aus Aachen Bernd Müllender
Fußball - coole Millionenmache. Sport-ökonomische Showbetriebe. Hoeneßker Menschenschacher. In Zeiten maximaler Ausbeutung von Flachschuß und Schienbeintritt ist ein westdeutscher Proficlub im Denken von vorgestern geblieben: Alemannia Aachen. Gegen jeden Zeitgeist, mit liebenswerter Plumpheit und dem Charme der Nachkriegszeit.
Damit die allerletzten Vereinsfreunde noch Eintritt zahlen, wird zwar seit nunmehr 20 Jahren der Bundesliga-Aufstieg versprochen, beste Spieler aber seit jeher im Dutzend billiger an die Konkurrenz verkauft, daß ein Trainer jeden Morgen neu durchzählen lassen muß, wieviele Kicker über Nacht wieder versetzt worden sind. Spielerisch endet das nahe Null. Alemannia ist wohl die einzige Profimannschaft, die den ganzen Winter, mangels matschfreiem Rasengeviert, nur auf einem Aschenplatz herumbolzen kann: Das ist alemannische Bodenständigkeit.
Clubeigene Buchhaltermentalität ist es, wenn der Kauf des ausgemusterten Uerdinger Abwehrrecken Dämgen fast daran gescheitert wäre, daß Alemannia für jedes Spiel, das Dämgen verletzungsbedingt nicht mitmachen können werde, von Bayer DM 2.500 zurückerstattet haben wollte. Woanders wird mit Millionen hantiert, in Aachen werden Transfers bald danach bemessen, ob nicht das Porto eine zu risikobehaftete Investition sein könne: „Wir wollten unsere Briefmarken nicht unnütz vergeuden.“
Statt solch wunderbar nostalgisches Clubmanagement zu loben, sich an all dieser hanebüchenen Unprofessionalität zu laben, bejammerte die Heimatpresse - wir wollen doch wieder in die Bundesliga - jüngst „schlecht gemachtes Kasperl -Theater“ und ein „konzeptionelles Chaos“. Mit Talenten aus der Region sollte ein Neuaufbau gestartet werden, doch schnell ward Alemannia Letzter der Zweiten Liga.
Jürgen Linden, der Verwaltungsratvorsitzende, hatte nicht nur den Abstieg vor Augen, sondern auch die Kommunalwahl in NRW übernächstes Wochenende. Der Mann, neben seiner Vereinstätigkeit SPD-Kandidat für den Posten des Oberbürgermeisters, holte ganz weit aus. Vom gebürtigen Aachener und späteren Wahltürken Jupp Derwall wurde ihm ein „hochqualifizierter Fußball-Fachmann“ anempfohlen: Mustafa Denizli (39), reicher Geschäftsmann mit reichlich Sponsoren -Anhang, vorher 50facher Nationalspieler und Ex-Trainer von Galatasaray Istanbul. Vier Wochen lang Jubelorgien in der Presse: der unbekannte Denizli sei ein „türkischer Fußball -Held, ein Fußball-Denkmal, ein Idol“, schließlich hieß er nur noch der „türkische Beckenbauer“. Gewisse Widersprüche zu Denizlis Eigendefinition, er sei seiner Wertschätzung auf Taktik und Disziplin wegen mehr ein „türkischer Preuße“, wurden übersehen. Am Wochenende wurde der „Coup Marke 1001 Nacht“ wahr, Denizli wurde als erster Türke hierzulande „Teamchef“: „eine Art Revolution im festgefahrenen Profibereich“. Denizlis Grund für die Fußball-Provinz: „Ich liebe Aachen.“ Und Jürgen Linden, der (durchaus aussichtsreiche) OB-Kandidat, konnte seine nervösen Parteigenossen beruhigen: er hatte sich, die CDU hämte schon, doch nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, es kann jetzt heißen: SPD rettet Alemannia.
Zwar ist von den vollmundig avisierten Millionen türkischer Sponsoren noch keine Mark angekommen, wohl aber der Hinweis, ein Gefolgsmann Denizlis habe „beste Kontakte zum englischen Königshaus“ (Kronjuwelen für Maradona?, d.S.). Aber das hat Zeit bis nach der Wahl. Zunächst will Denizli den Nationalstürmer Metin Tekin in Istanbul loseisen, und da es sich bei dem Mann nicht um einen knoblauchfressenden Schnauzbart handelt, sondern um einen „blonden Blitz“ (Presse, mehrfach), ist der durchaus willkommen bei den Talenten aus der Region.
Kleines Problem: Denizli spricht kein Deutsch, wohl aber fließend Englisch. Doch das hilft bei Alemannia wenig, denn
-man heißt schließlich nicht Britannia Aachen - weder Co -Trainer (Hermandung) noch der Manager (Grabotin) sind dieser seltenen Fremdsprache mächtig. Das macht jedoch wenig, da auf Aachens Fußballplätzen anderes Vokabular zählt. Der vor fünf Monaten trotz aller Erfolge herausgeekelte Trainer Neururer, ein überzeugter Ruhrgebieter (jetzt Schalke), erkannte, „daß einem alte Heiligtümer wie Martinelli und Hermandung immer wieder Minen in den Weg legen, wenn man nicht Aachener Platt spricht“.
Das ist alemannische Traditionspflege. Neururers Nachfolger, der vor drei Wochen gefeuerte Fußballehrer Rolf Grünther, ein schlichtes Gemüt mit großer Knochenbrecher -Geschichte, pflegte seine Mannen mit sensiblen Titulierungen wie „Altes Arschloch“, „Du Wichser“, gar „Du Lutscher“, über den Trainingsplatz zu dirigieren. Das ist alemannische Vollmundigkeit. Es heißt allerdings, nicht alle Spieler hätten das gern gehört.
Torwart Kau hielt zuletzt nach den Bällen auch den Mund nicht mehr, und konterte mit dem Götz-Zitat gegenüber Grünthers Busenfreund, dem Manager Grabotin. Der ließ ihn ungezogener Bub von 32 - „nicht als disziplinarische, sondern als erzieherische Maßnahme“ vereinsintern sperren. Als Kau am Dienstag in Braunschweig wieder mitmachen durfte, boxte er den Ball, zu Denizlis Teamchef-Debüt, schon nach zehn Minuten ins eigene Tor.
Und so kam es, daß der Aufstiegsmitfavorit (jetzt 3:17 Punkte) auch in Braunschweig letztlich verlor - mit 3:4, hübsch inszeniert durch ein weiteres Eigentor in der letzten Minute, von Dämgen übrigens, dessen Körper gesund genug war für einen ansehnlichen Kopfballtreffer ins eigene Netz. „Alemannia schlägt sich selbst“ klagte die Zeitung betroffen über den Doppeltreffer. So kann es gehen. Armer Mustafa Denizli.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen