: Brady-Plan um „Internationalen Schuldenfonds“ ergänzen
■ „Zeit für geordnete Schuldenbewältigung läuft ab“ / Die gekürzte Zusammenfassung einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIE):
In fast sieben Jahren internationalen Schuldenmanagements konnte zwar das Risiko eines Finanz-Crashs gebannt werden; eine Lösung des Problems steht jedoch weiterhin aus. Aus dem Liquiditätsproblem, das zu Anfang noch hinter den Zahlungsschwierigkeiten stand, ist längst eine tiefe Insolvenzkrise geworden.
Die blutigen Unruhen in Venezuela Anfang 1989, die Plünderungen in Argentinien wenig später, der beispiellose Auswanderungsdruck in Ländern wie Mexiko und die Erfolge der Guerrilla in Peru zeigen, wie explosiv die wirtschaftliche und soziale Lage in vielen Ländern inzwischen geworden ist. Vor diesem Hintergrund haben die USA, die im Kreise der westlichen Gläubiger auch weiterhin meinungsbildend wirken, ihre Position in zwei grundlegenden Fragen korrigiert. Um einer politischen Eskalation in ihrem „Hinterhof“ vorzubeugen, haben sie deshalb endlich auch mit dem jahrelang gepflegten Tabu eines Schuldenerlasses gebrochen: Insolvente Schuldner, so die zentrale Botschaft des Brady -Plans zur Revision der Schuldenstrategie, sind nicht durch neue Schulden, sondern nur durch deren Reduzierung zu sanieren.
Die Präsentation des Plans am 10. März 1989 hatte zunächst einmal erheblichen Unmut ausgelöst, weil er mit relativ allgemein gehaltenen Erklärungen, denen keine ausgereiften Konkretisierungsvorschläge folgten, Verwirrung ausgelöst und bei den Schuldnern überzogene Erwartungen geweckt hatte. Andererseits konnte sich das amerikanische Schatzamt gar nicht auf instrumentelle Details und quantitative Präzisierungen festlegen.
Um der Diskussion über den Umfang der Finanzierungshilfen von IWF und Weltbank nicht vorzugreifen, legte das amerikanische Finanzministerium lediglich die Ergebnisse zu Illustrationszwecken erstellter interner Schätzungen vor. Danach könnten bei Verwirklichung des Plans Bankschulden von insgesamt 39 Ländern in einer Höhe von 340 Milliarden US -Dollar - bei einer Gesamtverschuldung aller Entwicklungsländer von 1.320 Millarden US-Dollar - im Laufe der kommenden drei Jahre um 70 Milliarden Dollar, also um rund 20 Prozent reduziert werden. Die in diesem Zeitraum zu zahlenden Zinsen würden sich um etwa 20 Milliarden Dollar ermäßigen.
IWF und Weltbank beschlossen inzwischen für die kommenden drei Jahre Finanzhilfen zur Flankierung von Operationen zur Schuldenreduzierung in Höhe von je sechs Milliarden Dollar vor sowie in geeigneten Fällen noch einmal bis zu je sechs Milliarden Dollar für die Unterstützung von Maßnahmen zur Schuldendienstreduzierung (interest support), die zusätzlich, also nicht zu Lasten anderer Verwendungsformen bereitgestellt werden können. Insgesamt steht also für die Unterstützung des Brady-Plans ein Finanzrahmen von maximal 24 Milliarden Dollar zur Verfügung.
Die grundsätzliche Zustimmung zum Brady-Plan und die ersten Implementierungsschritte auf seiten der multilateralen Finanzierungsinstitutionen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß fundamentale Einwände und Bedenken fortbestehen. Sie lassen sich in neun Argumentationslinien zusammenfassen:
1. Die Instrumente zur Förderung frewilliger sekundärmarktbezogener Schulden- und Schuldendienstreduzierung werden mangels Interesse auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite womöglich gar nicht greifen.
2. Der Brady-Plan wird bei Schuldnerländern und Banken antizipierende Reaktionen auslösen, die seinen Erfolg konterkarieren.
3. Der Brady-Plan untergräbt die Bereitschaft, Neukredite zu gewähren.
4. Da der Brady-Plan es bei allgemein gehaltenen Appellen belassen hat und keine konkreten Schritte zur Harmonisierung der Bilanzierungsregeln und zur Vereinheitlichung der steuerlichen Abschreibungsspielräume für uneinbringliche Entwicklungsländerforderungen eingeleitet worden sind, fehlt eine entscheidende Voraussetzung für ein verstärktes Engagement der Banken.
5. Die für die Unterstützung freiwilliger Schulden- und Schuldendienstreduzierung von IWF und Weltbank bereitgestellten Finanzmittel sind viel zu knapp bemessen, um eine ausreichende Entlastung der Problemländer in die Wege zu leiten.
6. Der Brady-Plan führt sehr wohl zu einem „bailing-out“ der Banken.
7. Der Brady-Plan impliziert darüber hinaus ein „bailing -out“ der USA.
8. Die neuen Einsatzbereiche von IWF und Weltbank gefährden deren internationale Kreditwürdigkeit.
9. Das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Beteiligung an Operationen zur Schulden- und Schuldendienstreduzierung läßt sich nicht halten.
Noch ist nicht abzusehen, welchen Beitrag der Brady-Plan im Endeffekt zur Überwindung der Schuldenkrise leisten wird. Denn einerseits sind zwar, wie der Testfall Mexiko gezeigt hat, die von IWF und Weltbank bereitgestellten Finanzhilfen völlig unzureichend, gemessen an dem hohen Entlastungsbedarf des Landes. Andererseits hätten jedoch die sehr weitgehenden Forderungen Mexikos nach Konzessionen der Banken ohne die „Rückendeckung“ des Brady-Plans die Kreditinstitute kaum zu Zins- und Tilgungserleichterungen bewegen können, die noch vor Jahresfrist undenkbar gewesen wären. Inzwischen gehen auch viele andere Entwicklungsländer im Rahmen von Umschuldungs- und Finanzierungsverhandlungen mit ihren Gläubigerbanken wie selbstverständlich von substantiellen Zugeständnissen aus und lassen, um ihren Wünschen Nachdruck zu verleihen, in schnell wachsendem Umfang Zahlungsrückstände auflaufen.
Anstatt auf einen vernünftig konditionierten Schuldenerlaß läuft diese Entwicklung in letzter Instanz auf eine Proliferation unbefristeter Moratorien hinaus, die im Ergebnis einer unerklärten Schuldenaberkennung gleichkommen. Die Zeit für eine geordnete Bewältigung des Schuldenproblems, bei der die Schuldnerländer noch bereit und in der Lage sind, im Gegenzug zu nachhaltigen Erleichterungen tiefgreifende Strukturreformen durchzuführen, läuft ab. Eine solche „Lösung“ kann indes in niemandes Interesse liegen. Erforderlich wären in diesem Zusammenhang:
-ein Kriterienkatalog für das „burden sharing“ zwischen sämtlichen Gläubigern und Schuldnern;
-Richtlinien für die Bestimmung der individuellen Leistungsfähigkeit eines jeden Schuldnerlandes und des sich daraus ergebenden Entlastungsbedarfs als Grundlage für eine fallweise („case-by-case“) Vorgehensweise;
-die Integration aller Teillösungen zur Schuldenerleichterung (bilaterale Schuldenerlasse, Entlastungspraxis des Pariser Clubs);
-Richtlinien für die Behandlung aller Schuldenarten und für die Rolle der einzelnen Entlastungsverfahren im Rahmen umfassender Entschuldungspakete;
-Die Harmonisierung der von Land zu Land stark divergierenden Bilanzierungsregeln und die Vereinheitlichung der steuerlichen Abschreibungsspielräume für uneinbringliche Entwicklungsländerforderungen;
-die substantielle Anhebung der finanziellen Mittel von IWF und Weltbank für die Unterstützung freiwilliger marktorientierter Schulden- und Schuldendienstreduzierung auf ein Niveau, das es im Gegensatz zu den begrenzten Förderrichtlinien des Brady-Plans erlaubt, dem hohen Entlastungsbedarf der Entwicklungsländer angemessen Rechnung zu tragen.
Will man, wie dies der Brady-Plan anstrebt, einen marktorientierten Entschuldungsansatz zum Kernstück einer globalen Rahmenvereinbarung machen, dann wäre ein „Internationaler Schuldenfonds“ zweifellos eine der effizientesten Lösung. Dabei würden mit öffentlichen Mittel an Entwicklungsländerforderungen zu dem herabgesetzten Wert, der der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des betreffenden Schuldners entspricht, aufgekauft bzw. garantiert. Deshalb sollten vor allem jene Gläubigerländer, die wie Frankreich und insbesondere Japan sich schon seit längerem dafür einsetzen, das Konzept wieder auf die internationale Agenda setzen.
Thomas Kampffmeyer
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