: Katerstimmung in El Salvador
Nach dem Beschluß von Regierung und FMLN den Dialog fortzusetzen, begannen Polizeikräfte gegen die Gewerkschaften vorzugehen ■ Von Ralf Leonhard
San Salvador (taz) - Der Optimismus nach der vielversprechenden Dialogrunde in Mexiko beginnt bereits einer Katerstimmung zu weichen. Kaum hatten die Comandantes der FMLN und die Delegation der salvadorianischen Regierung am 15. September eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der zumindest die Fortsetzung der Verhandlungen beschlossen wird, begannen die Sicherheitskräfte in San Salvador gegen die Gewerkschaften vorzugehen.
In der Nacht von Sonntag auf Montag waren zwei Funktionäre des kämpferischen Gewerkschaftsverbandes Fenastras aus ihren Häusern geholt und festgenommen worden. Darunter Mario Palencia, der seine Vereinigung bei einem Treffen mit Präsident Cristiani vertreten sollte. Montag trommelte Fenastras eine Protestdemonstration zusammen und forderte die sofortige Freilassung der Verhafteten. Im Zuge der Manifestation wurden zwei Busse angezündet und weiteren sieben die Reifen aufgeschlitzt. Man vermutet, daß dahinter Provokateure stecken. Die Anti-Aufruhr-Polizei war jedenfalls sofort zur Stelle und verfolgte die Demonstranten durch die Innenstadt von San Salvador, bis diese ausgerechnet in einer Kirche der Iglesia Centroamericana, einer der konservativsten evangelischen Sekten, Zuflucht suchten. Die Kirchenoberen warteten gar nicht ab, bis die Polizisten sich einen Durchsuchungsbefehl beschafften, sondern erlaubten den Uniformierten die Räumung des Gotteshauses. Augenzeugen berichten, daß die Sicherheitskräfte die Fenster zertrümmerten und Tränengasbomben warfen. Dann prügelten sie die Demonstranten mit Schlagstöcken und rissen sie an den Haaren. Eine Reporterin der Agentur 'Salpress‘ wurde erst freigelassen, als die Kollegen dem Polizeiauto die Straße blockierten.
Seit Tagen operieren mehrere Armeebataillone im Norden, vor allem in der Umgebung der wiederbesiedelten Dörfer in Chalatenango. Mittwoch früh bombardierte die Luftwaffe das Guazapa-Vulkanmassiv, kaum 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt - just an dem Tag, an dem eine Delegation der Onuca, der Friedenstruppen der Vereinten Nationen, die Kriegsgebiete besichtigen wollte. Ana Guadalupe Martinez, eine der FMLN-Kommandantinnen, die letzte Woche am Dialog in Mexiko teilgenommen hatte, äußerte in einem Radiointerview die Befürchtung, die Armee wolle die Guerilla provozieren, damit der Dialog abgebrochen werde. Die FMLN hält derzeit eine einseitige zehntägige Waffenruhe ein. Oberst Ciro Lopez von der 4. Infantriebrigade in Chalatenango erklärte in einer Pressekonferenz, die Armee fühle sich an die Waffenruhe nicht gebunden: „Keinem Kommunisten kann man trauen.“ Einem großen Marsch der Volksbewegungen zum Unabhängigkeitstag am 15. September hatten die Streitkräfte eine gigantische Militärparade entgegengesetzt.
Während verschiedene hohe Offiziere den jüngsten Friedensvorschlag der FMLN als verfassungswidrig zurückwiesen, hat sich Cristiani noch nicht öffentlich zu dem Plan geäußert, der die Umwandlung der Guerilla in eine politische Partei vorsieht, aber auch die Beendigung der Repression und die Säuberung der Streitkräfte fordert. Mario Rosenthal, der Herausgeber der zweisprachigen Wochenzeitung 'El Salvador News Gazette‘, die die Position der extremen Rechten vertritt, bezeichnete den FMLN- Vorschlag als „Hirngespinst von größenwahnsinnigen Verrückten“. Cristiani, der schließlich als Kandidat der rechtsextremen Arena an die Macht gekommen ist, wird es unmöglich gemacht, auf den Plan einzugehen, weil er sonst automatisch als Verräter gebrandmarkt würde.
Der Präsident hat sich bisher nicht einmal des Problems der Kriegsversehrten entledigen können, die seit einem Monat die Kathedrale besetzen. Aus den acht verwundeten FMLN-Kämpfern, die sich am 20. August während der Sonntagsmesse im klotzigen Gotteshaus niedergelassen hatten, sind inzwischen 32 geworden. Die friedlichen Besetzer fordern freies Geleit für über hundert Kollegen, die dringend medizinische Behandlung oder Rehabilitationstherapie brauchen. Ein Recht, das nicht nur von den Genfer Rotkreuzabkommen von 1948 garantiert wird, sondern auch in einem Abkommen mit der Regierung vor zwei Jahren ausgehandelt wurde. Die FMLN ihrerseits hat vor wenigen Wochen sechs gefangene Soldaten ohne Gegenleistung dem Roten Kreuz übergeben. Die Besetzungsaktion ist für die Regierung vor allem deswegen unangenehm, weil über dem Kirchenportal Tag und Nacht die FMLN-Fahnen prangen und die Versehrten sichtlich auf Sympathie und Solidarität bei der Bevölkerung treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen