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Henning Scherf verliert gegen das Land Bremen

■ Verwaltungsgericht: Mißbilligung des Bürgermeisters durch den Untersuchungsausschuß war nicht ehrverletzend

Henning Scherf ist eigentlich auch nichts anderes als zum Beispiel du und ich. „Ob das der Bürger X oder der Bürgermeister Scherf ist, in seine Persönlichkeitsrechte darf nicht eingegriffen werden“, meinte gestern Scherf -Anwalt Volkmar Schottelius vor der zweiten Kammer des Bremer Verwaltungsgerichtes. Dorthin hatte es den Rechtsbeistand im Auftrag des zweiten Bremer Bürgermeisters verschlagen, weil der sich vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Mißstände an der St.-Jürgen-Klinik in seiner Ehre gekränkt fühlt. Schottelius: „Dr. Scherf will diese Mißachtung aus der Welt geschafft haben.“

Gekränkt fühlen muß sich Dr. Scherf seit inzwischen fast einem Jahr. Am 20.10.1988 glaubte der Untersuchungsausschuß eklatante Widersprüche zwischen des Bürgermeisters Aussage und der des SPD-Deputierten Fritz Tep

perwien festgestellt zu haben. „Einer lügt: Scherf oder Tepperwien“, titelte damals die taz. Der Ausschuß wollte dies genauer wissen und lud Scherf zur Gegenüberstellung mit Tepperwien. Der Bürgermeister, der sich von dem Aussschuß sowieso schon die ganze Zeit schlecht behandelt fühlte, reagierte trotzig und erschien nicht. „Scherf wollte auch ansonsten nicht kommen“, erinnerte sich gestern Ausschußvositzender Andreas Lojewski an die allgemeine Stimmungslage des Senators.

Außer Trotz hatte Scherf damals auch eine ganz konkrete Ausrede parat: Er hatte einen anderen, für einen Sozialsenator nicht unwichtigen Termin, bei einer Versammlung alter Damen in der Glocke. Der Ausschuß befand allerdings, daß seine Vorladung wichtiger sei als das Kaffeekränzchen und ließ dies dem Senator mitteilen. Was auch keine Ände

rung in dessen Verhalten bewirkte.

„Wir empfanden das als politische Provokation. Darauf haben wir politisch wertend reagiert“, begründete Andreas Lojewski gestern noch einmal die Reaktion des Ausschusses, der Scherfs Verhalten damals als Mißbilligung eines parlamentarischen Gremiums qualifizierte. „Schließlich ist Herr Scherf nicht irgendein Bürger, sondern der politisch Verantwortliche für die Abberufung Gallas und muß sich daher in besonderer Weise dem Untersuchungsausschuß zur Verfügung halten“, ergänzte Lojewski-Vertreter Günter Klein, der es sich auch gestern nicht nehmen

lassen mochte, dabei zu sein.

Darf der Ausschuß die Weigerung Scherfs kommentieren und wenn ja, hat er dies in den gebotenen Grenzen getan, also weder aggressiv noch verletzend? Auf diese juristischen Fragen brachte gestern das Verwaltungsgericht die Klage des Bürgermeisters gegen das Land Bremen. Ein Untersuchungsauschuß habe nur zu ermitteln, was richtig und falsch sei, meinte Scherf-Anwalt Schottelius. Das Verhalten einzelner zu bewerten sei seine Sache nicht, schon gar nicht außerhalb des Abschlußberichtes. Der Vorwurf, der Bürgermeister mißachte das Parlament sei zudem ein „schwererer Eingriff als 10 oder

50 Mark Ordnungsgeld.“

„Hätte Herr Scherf sich in seiner Ehre gekränkt gesehen, wenn er zwangsweise vorgeführt worden wäre“, fragte ein Verwaltungsrichter den Scherf-Anwalt. „Sicher“, meint der. Replik des Richters: „Das hätte der Ausschuß auch veranlassen können.“ Nein, das wird schon bei der Erörterung deutlich: Dieses Gericht sieht Henning Scherfs Ehre durch die Mißbilligung nicht verletzt. Und so sagt es dann auch das Urteil. Der Antrag, die Beklagte zu verurteilen, den Beschluß öffentlich zurückzunehmen, wird abgewiesen.

Nun kann sich Henning Scherf zwar weiterhin in seiner Ehre ver

letzt fühlen, seine Finanzen berührt das Ganze nicht. Da ist der Bürgermeister Henning Scherf dann doch ein wenig anders gestellt als beispielsweise du und ich. Vorsorglich hatte Scherf sich nämlich vom Bremer Senat eine Prozeßkostenübernahme zusagen lassen. Einige Senatoren sollen Scherf zwar heftig abgeraten haben, sich mit dem Ausschuß auch noch gerichtlich anzulegen, die finanzielle Unterstützung aber versagten sie ihm nicht. Ob Scherf die KollegInnen eventuell noch einmal um Staatsknete angeht, um vor dem Oberverwaltungsgericht weiterzustreiten, steht noch nicht fest.

hbk

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