Abschiebung von Roma und Sinti ausgesetzt

Hamburger Senat bekommt Ärger mit seinem Beschluß, 90 Prozent der Sinti und Roma aus der Stadt zu vertreiben / Freie Wohlfahrtsverbände springen von „Partnerschaftsmodell“ ab / Bischof reiht sich in Kritik ein / KZ Neuengamme immer noch besetzt  ■  Von Kai Fabig

Hamburg (taz) - Der Hamburger Senat will rund 90 Prozent der zur Zeit in der Stadt lebenden Roma und Sinti abschieben. Bleiben soll nur, wer bereits seit vier Jahren in Hamburg lebt, Ansätze zur „Integration“ zeigt und nicht zu Geldstrafen verurteilt wurde, die sich auf mehr als 180 Tagessätze summieren. Demnach sollen - je nach Schätzung zwischen 60 und 150 der hauptsächlich aus Jugoslawien gekommenen Roma ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen.

Doch aus dieser „Lösung der Zigeunerfrage“ - so nannte es die Roma- und Cinti-Union (RCU) - wird nun nichts werden. Der vor knapp drei Wochen gefaßte Senatsbeschluß ist zwar offiziell noch gültig, faktisch aber nicht mehr umsetzbar. Denn die freien Träger „Diakonisches Werk“ und „Arbeiterwohlfahrt“, die sich im Rahmen eines „Partnerschaftsmodell“ (nicht mehr „Patenschaft“) genannten Betreuungsprogramms um die Roma kümmern sollten, sind abgesprungen. So erklärte das Diakonische Werk unmittelbar nach der Senatsentscheidung: „Wir halten es für undenkbar, daß unser Modell gelingen kann, während die große Mehrzahl der Roma- und Sinti-Familien abgeschoben wird.“ Die Arbeiterwohlfahrt teilte mit, daß man nicht bereit sei, eine „Aufteilung in welche, die bleiben dürfen, und viele andere, die abschoben werden“, hinzunehmen. Die „Initiative Bleiberecht“, die sich vor einem guten halben Jahr gründete, als eine Roma-Familie abgeschoben werden sollte, lehnte die Senatslösung ebenso ab wie die RCU. Entscheidend ist jedoch, daß auch der evangelische Hamburger Bischof Peter Krusche sich jetzt in diese Front eingereiht hat. Er läßt dem Senat jedoch ein Schlupfloch: Er fordert, daß die Roma in der Bundesrepublik bleiben können, wenn auch nicht unbedingt alle in Hamburg.

Vor die Wahl gestellt, den Senatsbeschluß gegen den Widerstand aller Beteiligten durchsetzen zu müssen, hat der für Abschiebungen zuständige Innensenator Werner Hackmann (SPD) diesen Strohhalm sofort ergriffen. In der jüngsten Bürgerschaftssitzung kündigte er an, er wolle bei der nächsten Innenministerkonferenz eine bundesweite Lösung des Problems anstreben. Bis zu diesem Termin Anfang November ist daher nicht mit Aschiebungen zu rechnen.

Ohnehin dürfte es im Moment schwierig sein, Abschiebungen durchzusetzen. Denn Ende August - eine Woche vor Ablauf der im März erkämpften Duldungsfrist - flüchteten sich mehrere hundert Roma auf das Gelände des ehemalgien Konzentrationslagers Neuengamme. Dort haben sie Zelte und Baracken aufgestellt. Die Lebensbedingungen sind zwar teilweise katastrophal, für viele jedoch nicht schlechter als in jenen Löchern, in denen sie vorher wohnten. Den neu zuziehenden Roma wurden seit geraumer Zeit keine Wohnungen oder Pensionszimmer mehr vermittelt. Freiwillig werden die Roma von diesem Ort nicht weichen, womit dann ein peinlicher Polizeieinsatz an historischer Stelle vorprogrammiert wäre, sollten die Abschiebungen doch durchgesetzt werden.

Für diese Konstellation hat die RCU als Organisatorin der Aktion gesorgt. Den RCU-Chefs Rudko Kawcynski und Michael Lang wird aber nicht nur vorgeworfen, daß sie bewußt diesen Zusammenhang mit der Vernichtung der Zigeuner während des Faschismus hergestellt haben. Beide gehen auch mit dem Hammer des Rassismus-Vorwurfs nicht gerade zimperlich um. Der trifft auch Kirchenleute, die sich seit langem für die Roma einsetzen, linke Sozialdemokraten oder auch schon einmal Mitglieder der „Initiative Bleiberecht“. Zumindest das Mißtrauen gegenüber dem Diakonischen Werk ist allerdings durch Fakten begründet.

Die Frau, die für das Diakonische Werk im Rahmen des „Partnerschaftsmodells“ an verantwortlicher Stelle sitzen sollte, hatte 1982 mit einem Bericht zur Ausweisung einer Roma-Familie beigetragen. Denn ihr Papier kommt nach der Aufzählung von „typischen Zigeuner-Verhaltensweisen“ zum Schluß: „Unter diesen Umständen erscheint es dem Diakonischen Werk in Hamburg nicht verantwortlich, seine Bemühungen um Integration dieser Familie fortzusetzen.“

Die immer wieder von der RCU vorgebrachten Gleichsetzungen von heutiger Senatspolitik mit der Vernichtungspolitik der Nazis jedoch hat mittlerweile bis in die GAL hinein zu Absetzbewegungen von den beiden RCU-Chefs geführt. So sagte die GAL-Abgeordnete Eva Hubert in der aktuellen Stunde der Bürgerschaft: „Es ist völlig egal, was diese beiden sagen und wollen. Es geht um die Menschen, die derzeit unter entsetzlichen Bedingungen in Neuengamme leben.“

Ob die Aktion in Neuengamme nun besonders pietätvoll ist oder nicht, in einem Punkt hat sie den Finger in die offene Wunde gelegt. Die Senatsentscheidung will sich von der historischen Verantwortung gegenüber dieser Volksgruppe freikaufen. 50 dürfen bleiben. Damit sollte das Problem dann bitte aber auch endgültig vom Tisch sein. Daß die Vergangenheit so einfach nicht vergeht, ist zumindest teilweise ein Verdienst der RCU-Aktion.