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Jetzt probt die AL-Basis ihren eigenen Untergang

■ Eine Betrachtung darüber, wie der Delegiertenrat den Funktionären einheizt - und glaubt, die SPD in die Knie zu zwingen

Die Delegierten der Alternativen Liste haben beschlossen, daß die Tatsache, daß sie die Stromtrasse in jeder Form ablehnen, nicht zur Koalitionsfrage werden soll. Das ist gut gemeint, doch leider völlig unrealistisch. Die Stromtrasse abzulehnen heißt für sich genommen, die Koalitionsfrage zu stellen. Dies nicht zu sehen, ist auf überraschende Weise irrational.

Daß sich an den Stromleitungsmasten durch den Spandauer Forst die Koalition abstürzen soll, dem will man nicht ins Auge sehen, und - so soll hier auch angenommen werden - man will auch nicht, daß es dazu kommt. Die Ablehnung ist vielmehr zu verstehen als Protest. Nicht vordergründig, wie immer gesagt wird, weil die Koalitionsvereinbarung so schleppend umgesetzt wird. Denn wäre dies so, müßte es viel mehr Unmut geben über beispielsweise ein Kripohauptgebäude, das für 330 Millionen gebaut werden soll, über ein Programm Arbeit und Umwelt, das faktisch nicht mehr existiert - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Der vorhandene Unmut hat subtilere Ursachen. Wenn eine MVV und Tage darauf der Delegiertenrat unisono und trotzig triumphierend „Nein“ sagen, kann es nicht nur an einer Stromtrasse liegen. Ökologische Energiepolitik ernst genommen, fängt nicht mit der Stromtrasse an und hört nicht mit ihr auf, das wird in nüchternem Zustand keiner bestreiten. Was also ist es, daß derzeit niemand mehr über die Erfolge dieser Koalition redet, über die Hoffnungen und Utopien, die sich mit rot-grüner Stadtpolitik verbinden. Sicher hat so mancher nicht gewußt, wovon er redet, als die 1.000 Hände für rot-grün hoch gingen. Das Gefühl, endlich auch mitreden zu wollen, war vorherrschend. Sie haben nicht mitbedacht, daß sie sich selbst und ihre Haltung zur Politik ändern müssen. Und so sind viele aus Hilflosigkeit in dem verharrt, was sie zehn Jahre lang gelernt haben - nämlich im verhindern. In deren Köpfen wird Wohl und Wehe der Koalition nicht nach Kriterien von Machbarkeit, Abwägen von Interessen und Akzeptanz in der Stadt entschieden, sondern danach, ob sie ihr jeweiliges Oppositionshobby durchsetzen können.

Das ist durchaus nicht als Polemik gemeint. Darin steckt auch die berechtigte Trauer über den Verlust einer eindeutigen Identifikationsmöglichkeit. Wenn die AL zu Oppositionszeiten ihre Unterschrift unter jedes BI-Flugblatt gesetzt hat und ein bedingungsloses Ja zu den Forderungen aller Entrechteten sagen konnte, so folgt heute meist ein Aber. Diese Partei ist nicht mehr das weiche Kuschelbett, in dem jeder aufgehoben war. Hier ist so manche Erbse, die zwickt und zwackt und einen in der Nacht schlecht schlafen läßt.

Viele, die AL gewählt haben, sind zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Situation konfrontiert, sich mit einer Regierungspartei identifzieren zu müssen. Daß es dabei nicht möglich ist, auch gute und richtige Forderungen in Reinform umzusetzen wird nur abstrakt akzeptiert. Konkret ist die Enttäuschung groß, wenn scheinbar nichts klappt. Und jeder hat seinen Tropfen, der sein individuelles Faß zum Überlaufen bringt. Stromtrasse, Ausländerwahlrecht, Deutsches Historisches Museum, HMI, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Fähigkeit, Kompromisse zu machen und vor allem, sie ertragen zu können, haben die ALer, als „Erstregierende“ nicht gelernt. Die Identität der AL -Mitglieder war immer geprägt von politischer Eindeutigkeit. Lange Kämpfe wurden ausgetragen ums schiere Prinzip.

Aber Realpolitik ist ein Schmuddelgeschäft. Diese Einschätzung soll nicht der „sozialdemokratischen Schere im Kopf“ das Wort reden. Dieser Vorwurf, der derzeit von der Basis an die Funktionäre erhoben wird, kennzeichnet nur einen Stellvertreterkampf. Die Basis, die sich weigert, den realen Machtverhältnissen innerhalb derer rot-grün zu agieren hat, ins Auge zu sehen, macht diesen trotzigen Vorwurf ihren Funktionären. Man will Klarheit und braucht einen Schuldigen, dem man sie abtrotzen kann. Dafür eignen sich Funktionäre bestens. Die früheren Flügelkämpfe in der Partei haben jetzt der „Die da oben, wir da unten“ Einteilung gemacht. Basis jedwelcher Strömung contra Funktionäre aller Schattierungen. Beide haben sich in den letzten Monaten in rasender Geschwindigkeit voneinander entfernt.

Tatsächlich ist es so, daß nur die Funktionäre den Wandel von Oppositionspolitikern zu Regierungspolitikern durchgemacht haben. Die Basis ist geblieben, wie sie war. Ihre Kritik ist aber da nicht mehr kontruktiv, wo sie die Bedingungen des Regierungshandelns einfach ignoriert und den Funktionären Beschlüsse aufzwingt, die denen keinerlei Handlungsspielräume mehr ermöglicht. Konsequent überlegt, den jetzigen Beschluß zur Stromtrasse ernst nehmend, müßte eigentlich der Parteivorstand zurücktreten und Umweltsenatorin Schreyer ihr Amt niederlegen. Dann könnte die Basis wieder kompromißlose Energiepolitik machen.

Brigitte Fehrle

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