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Kammerrichter Weiß reagierte sich straflos ab

■ Politische Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungsverfahren gegen den Kammerrichter Egbert Weiß wegen „Tatbestandsirrtum“ ein / Weiß hatte im Juni den Auftrag erteilt, eine provisorische Gedenkstätte für NS-Opfer am Kammergericht zu zertrümmern

Der Richter am Kammergericht, Egbert Weiß, braucht zunächst keine Strafverfolgung wegen seines Anschlags auf die provisorische Gedenktafel für die vom Reichskriegsgericht zum Tode Verurteilten zu befürchten. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat die politische Staatsanwaltschaft das gegen Weiß anhängige Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Sachbeschädigung bereits Anfang September eingestellt.

Die Begründung: es sei nicht auszuschließen, daß Weiß sich in einem „Tatbestandsirrtum“ befunden habe. Für juristische Laien übersetzt: der Kammerrichter hat nicht gewußt, daß die Tafel fremdes Eigentum war, als er sich an ihr verging. Das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, das als Mitinitiator der Gedenktafelaktion Strafanzeige erstattet hatte, kündigte eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens an.

Wie berichtet, war die provisorische Holztafel am 8.Juni dieses Jahres vom „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“, der stellvertretenden Parlamentspräsidenten Hilde Schramm (AL) und der Charlottenburger Bezirsbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) am Kammergericht in der Witzlebenstraße aufgestellt worden. Einen Tag später war sie spurlos verschwunden: Egbert Weiß hatte Bauarbeitern den Auftrag gegeben sie zu entfernen und zu zertrümmern. Weiß hatte sich schon früher als Verteidiger der NS-Justiz hervorgetan, indem er 1968 als Beisitzer am Freispruch des Nazi-Richters Rehse mitwirkte.

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens kommt insofern nicht überraschend, als das die politische Staatsanwaltschaft - diesmal in Persona von Carlo Weber den Vorgang bereits schon einmal am 19.Juni ad acta gelegt hatte. Ohne überhaupt ermittelt zu haben, ging der P -Staatsanwalt davon aus, daß die provisorische Gedenktafel herrenlos gewesen sei: sie sei von ihren ehemaligen Eigentümern für eine Demonstration benutzt und danach am Kammergericht zurückgelassen worden. Deshalb sei sie nicht anders zu bewerten, als ein bewußt zurückgelassenes Demonstrationstransparent.

Auf Geheiß von Justizsenatorin Limbach hatte die P -Staatsanwaltschaft die Ermittlungen jedoch wieder aufnehmen müssen, und kam diesmal - nachdem dienstliche Erklärungen des Kammergerichtspräsidenten Dehnicke und des Beschuldigten Weiß eingeholt wurden - zu fast gleichem Schluß: Weiß sei davon ausgegangenen, daß die Aktivisten ihr Eigentum an der Tafel aufgegeben hätten und habe deshalb nicht vorsätzlich in Bezug auf „die Fremdheit der Sache“ gehandelt. Der taz ist da allerdings Gegenteiliges bekannt: Weiß selbst hat in einem Brief erklärt, er habe gesehen, wie die Tafel aufgestellt wurde.

Somit muß er gewußt haben, daß sie dort stehen bleiben sollte, um von Passanten gelesen zu werden. Auch für das „Büro für ungewöhliche Maßnahmen“ steht nach den Worten von Mitarbeiter Jotter fest, daß sich Weiß „ganz bewußt an dem gesellschaftlichen Eigentum abreagiert hat“.

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