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Damenwahl: Von Weichmacherinnen und anderem

■ Über Wirtschaftsgewinnlerinnen und Begabungsreservearmeen, über die Rentabilität warmer Fähigkeiten und die Hausfrauisierung von Männerarbeit, kurz: über Geld und Freiheit

Christel Dormagen

Ich wohne an der Endstation einer Buslinie in Waldnähe. Jüngst sah ich vorm Haus einen Kleinbus der Stadtreinigung vorbeifahren. Hinten saßen zwei Frauen, am Steuer ein Mann. Die Frauen waren nicht mehr jung und sahen abgeschafft aus. Die Busse unserer Linie pflegen auf einem Wendeplatz am Waldrand jeweils eine Zeitlang zu pausieren, bis sie zum nächsten Einsatz aufbrechen. Die Fahrer vertreten sich die Beine, lesen Zeitung, un - sie verschwinden gelegentlich mit einem Spezialschlüssel in dem Toilettenhäuschen, das ausschließlich für sie dort im Schatten von Bäumen aufgestellt ist. Und diese Häuschen unterstehen natürlich der allseits sorgenden öffentlichen Hand. Die wischt und putzt und leert und säubert zur rechten Zeit. Das heißt: die Frauen wischen und putzen... Der Mann fährt sie von Häuschen zu Häuschen durch Berlin, er hält, vertritt sich die Beine, liest Zeitung, raucht, während die Frauen die Klos putzen.

Ein Fall ideologischer Einäugigkeit? Ein Bild aus abgelebten Zeiten? Oder doch etwa eine Zukunftsvision? Männer lenken, Frauen machen die Scheiße weg.

„Frauen“, so der Präsident der deutschen Arbeitgeberverbände auf dem Berliner Kongreß Frauen und Wirtschaft in den 90er Jahren Ende letzten Jahres, Frauen sind „die Gewinner der Beschäftigungspolitik“. Bei derartigen Äußerungen von solcher Stelle ist Vorsicht geboten; denn bisherige Erfahrungen haben von Männern den Frauen zugesprochene Siegsätze in der Regel als Trostpflaster oder Überlistungsstrategien enttarnt. Wie sieht es also aus mit der Frauenarbeit? Und erst mal meine ich damit die Erwerbsarbeit; Arbeit für Geld. Dazu einige Zahlen, Fakten, Prognosen und Trends.

Auch wenn es so scheint, als änderten sich die gesellschaftlichen Lebensformen fast ebenso schnell wie die Arbeitsstrukturen, so sagen die Statistiken immer noch: 83 Prozent der Frauen heiraten irgendwann in ihrem Leben; davon bekommen circa 80 Prozent mindestens ein Kind. Also bleibt doch alles beim alten? Der Mann macht Karriere, die Frau macht den Rest. Ganz so ist es doch nicht. Die Arbeitsforscher machen Einschränkungen. Nach einer 1987 vorgelegten Untersuchung von „Prognos“ wird sich bis zum Jahre 2000 der Anteil der erwerbstätigen Frauen erhöhen, der der Männer verringern. Zur Zeit sind 53 Prozent aller Frauen erwerbstätig; in Schweden übrigens schon 80 Prozent. Grund dafür ist die Ausweitung des „tertiären Sektors“, das heißt des Dienstleistungsbereiches. Auch wenn schon jetzt die meisten Beschäftigten in diesem Bereich arbeiten, ist die BRD unter dem Aspekt der „Tertiarisierung“ noch ein Entwicklungsland. In der BRD sind 51 Prozent aller Arbeitnehmer im tertiären Bereich beschäftigt, in den USA bereits 68 Prozent.

Der am stärksten expandierende Bereich in diesem Sektor ist der der sozialen Dienstleistungen. Hier sind die meisten neuen Berufe entstanden, Gesundheitsberufe, sozialpflegerische Berufe sowie Bildungs- und Wissenschaftsberufe. Es muß kaum erwähnt werden, daß außer im Wissenschaftsbereich vor allem Frauen diese Plätze einnehmen. So waren 1982 vier Fünftel aller Frauen im tertiären Sektor beschäftigt gegenüber 50 Prozent der Männer.

Immer mehr Frauen arbeiten also für Geld. Sie möchten es, und sie müssen es. Frauen finden bessere Ausbildungsmöglichkeiten vor. Und Frauen lassen sich häufiger scheiden, erziehen ihre Kinder allein, oder sie werden Mütter ohne den Umweg über einen Ehemann. Alle brauchen Geld. Also arrangieren sie sich.

Und während die Arbeitgeber-Männer sagen: Bitte, wir schaffen immer mehr Plätze für Frauen, zählen Frauen nach und stellen fest: Es stimmt schon, immer mehr Frauen sind erwerbstätig; trotzdem sind, so Renate Schmidt von der SPD, „die von Frauen geleisteten Arbeitsstunden seit 1980 um mehr als 400 Millionen Stunden pro Jahr gesunken“. Des Rätsels Lösung ist natürlich der atemberaubend schnell angestiegene Anteil der Teilzeitarbeit. Teilzeitarbeit, so argumentieren nun wiederum die Unternehmer, sei ausgesprochen frauenfreundlich - Frauen können sich ihr Leben einteilen; und die Regierung verkauft diese flexible Arbeitszeitenregelung sogar als ein Instrument gegen die Erwerbslosigkeit. Nur daß zur Zeit zwölf Prozent Frauen und 7,5 Prozent Männer erwerbslos sind, wobei zu den zwölf Prozent aller Erfahrung nach noch eine große stumme Anzahl von Frauen hinzugerechnet werden muß, die sich aus Entmutigung gar nicht mehr registrieren lassen.

Streng genommen ist es wohl so, daß die Teilzeitarbeit in erster Linie unternehmensfreundlich ist, was Lohn, Sozialleistungen, Kündigungsschutz betrifft, vor allem aber die maximale Auslastung teuerster Produktionsanlagen. Eine spezielle Theorie der „Zeitallokutation“ beschäftigt sich mit eben dieser wirksamsten Nutzung und koppelt dafür die Betriebs- und Arbeitszeiten ab. Die Arbeit selber ist in den allermeisten Fällen höchst unerfreulich.

Dabei werden allmählich die Fließbandarbeitsplätze von denen am Bildschirm abgelöst, nur daß die um keinen Deut angenehmer sind. Demnächst, sagen die Arbeitsauguren voraus, wird es kaum noch einen Arbeitsplatz ohne Computer geben. Solche Arbeiten nun haben es an sich, daß sie, da angeblich „wenig qualifiziert“, niedrig bezahlt werden und immer auch am ehesten Gefahr laufen, einer weiteren Rationalisierung zum Opfer zu fallen. Aber: Jede dritte Frau macht Teilzeitarbeit; oder andersherum: 98 Prozent aller TeilzeitlerInnen sind Frauen. Daraus kann nur folgen, daß sehr viele von ihnen nicht ihrer Ausbildung entsprechend eingesetzt sind.

Was bleibt unterm Strich angesichts dessen, was elegant theoretisch die „Entwicklung von der Industrie- zur Kommunikationsgesellschaft“ heißt.

Die Zeiten der Neun-bis-fünf-Uhr-Lebensberufe sind gezählt. 56 Prozent aller neuen Arbeitsverträge werden als befristete ausgewiesen. Frauen erhalten jetzt außer Haus Geld für Tätigkeiten, die sie zu Hause schon immer, und zwar umsonst, erledigten. Sie verdingen sich überwiegend in Dienstleistungsjobs. Wie eh und je kriegen sie dabei totsicher immer die schlechter bezahlten Stellen: High-Tech für Männer, McDonald's für Frauen. Oder dezenter ausgedrückt: Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft hat den Trend zur geschlechtsspezifischen Segregation auf dem Arbeitsmarkt eher noch verschärft.

„Für uns sind Frauen keine Lückenbüßerinnen“, sagte eine höhere Gewerkschaftsfrau auf dem oben genannten Kongreß und kann doch qua einfacher Negation diese Tatsache nicht aus der Welt schaffen. In grandioser Wirklichkeitsverleugnung ist immer noch der männliche Voll- und Lebenszeitarbeiter das Gewerkschaftssubjekt. Die zwei Millionen Erwerbslosen sind ein Mißgeschick, das beseitigt gehört; daß es überwiegend Frauen trifft, ist Pech. Und gekämpft wird ums freie Wochenende, damit Vati auch mal die Familie sieht.

Frauen, das war Frauenbewegungskonsens, emanzipieren sich durch bezahlte Arbeit. Geldarbeit verleiht Selbstbewußtsein und Unabhängigkeit.

Nun kann es sich ganz offenkundig bei der bisher beschriebenen Arbeit - und, wie gesagt, 81 Prozent der Frauen „leisten Dienste“ - nicht um solche Emanzipationsarbeit im eigentlichen Sinne handeln. Unsereiner, die darüber schreibt, sich damit beschäftigt, Entwicklungen beobachtet und bewertet, ist ja, gerade indem sie denkend Distanz schafft, nicht mehr Teil zumindest jener Schaffenszwänge.

Und wenn der Arbeitgeberpräsident in seinem zitierten Vortrag lieber von den Frauen als der „Begabungsreserve“ sprechen möchte als von einer „Reservearmee“, hat er gewiß auch anderes im Sinn. In der Tat stellte er bis zum Jahr 2000 - und berief sich dabei auf die Prognos-Untersuchung 250.000 zusätzliche Arbeitsplätze für „Führungsaufgaben und Management“ in Aussicht. Und dabei dachte er an Frauen. Jene Entwicklung zur Kommunikationsgesellschaft nämlich verlange, so sagte er, in der Arbeitswelt ganz neue Fähigkeiten, „die die Frauen bisher in ihrer Familienrolle zum Tragen gebracht haben. Typisch 'weibliche‘ Stärken wie Vielseitigkeit, Flexibilität, Einfühlungsvermögen in Menschen, Kontaktfreude werden in Führungspositionen künftig stärker gefordert. Frauen werden dabei nicht mehr gezwungen, sich der Männerwelt anzupassen.“ Schöne Aussichten für Frauen?

Edler noch formulierte ein anderer Arbeitgeber-Mann jenen neuen Bedarf: „Mehr und mehr wird der kommunikative Generalist mit exzellenter fachlicher Spezialisten -Qualifikation gefragt sein, dessen Können mehr im Bereich von Einstellungen und integrativer Handlung sowie der zwischenmenschlichen Kooperationsfähigkeit liegen wird. Das zentrale Thema Humanisierung am Arbeitsplatz wird eine neue Ausrichtung bekommen. Das aber sind Anforderungen, die vor allem Frauen erfüllen... Die Lebensstrategien aber, die Frauen schon immer entwickeln mußten, passen in die derzeitige und die kommende Zeit, denn Frauen sind der Teil der Menschheit, die das Unvorhersehbare, das Unberechenbare, das Lebendige, immer schon annehmen und bewältigen mußten.“

Dieses vereinnahmende Lob weiblicher Fähigkeiten stimmt verdächtig. Nicht nur, daß wir Frauen Jahre brauchten, um diese unsere hausfraulichen Alltags„kriegs„-Eigenschaften überhaupt als Qualitäten zu denken, geschweige denn auch als solche öffentlich zu behaupten, schon gar nicht so hochtönend formuliert! Da geraten auch unversehens der Kraftakt weiblicher Emanzipation, unser Bemühen um widerständigen Eigensinn, die Anstrengungen um zufriedenstellende Selbstbehauptung in die Gesamtlogik eines Hase- und-Igelwettrennens. Wir stolpern stolz vorwärts, mit der Absicht, im Kampf um die vorderen Plätze endlich männliche Hausmachten streitig zu machen. Und da stehen ganz vorne die lächelnden, erschöpften Igel, öffnen die Arme weit und erklären strahlend: Gut, daß ihr endlich da seid. Wir warten sehnlichst auf euch. Wir schaffen es nicht mehr. Ohne euch geht nichts. Bitte, nehmt doch Platz in den Startlöchern. Es kann sofort losgehen!

Männer wissen nicht mehr weiter, sind bereit, Macht abzugeben. Das ist unsere Chance. So argumentierte auf dem Zukunftskongreß auch Ariane Berthoin Antal, Wissenschaftlerin am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Man müsse allerdings aus den Erfahrungen in den USA lernen. Dort ist, wie in allen Bereichen, so auch, was Frauen in Führungspositionen angeht, die Entwicklung weiter als in Europa. Viele amerikanische Managerinnen haben in kurzer Zeit erstaunliche Karrieren gemacht. Nun ist aber seit einiger Zeit zu beobachten, daß ein Großteil von ihnen wieder aussteigt. Sie haben keine Lust mehr, sich weiter der menschenfressenden „rat-race“ zu unterwerfen. Nicht für Geld und nicht für Ansehen und Status. Nicht um den Preis ihres Lebens. Außerdem haben viele dieser höchst erfolgreichen Frauen festgestellt, so glatt ihnen der Aufstieg ins mittlere Management gelang, so unüberschreitbar war die unsichtbare Schwelle - „the glass ceiling“, die gläserne Decke - zu den höchsten Posten. Die werden nicht nach Leistung vergeben, sondern offenbar nach solch nicht quantifizierbaren Kriterien wie: Paßt der zu uns? Es gibt in Amerika schon einen Ausdruck für diese Art Selektion: die „homosexuelle Reproduktion“ von Führungskräften. Frauen „passen“ da selten. So haben manche dann selber Unternehmen gegründet.

Daraus folgert die Sozialforscherin: „Wir müssen neue Arbeitsformen entwickeln und neue inhaltliche Ziele setzen, um unsere Wirtschaft menschlicher zu machen.“ Ach ja, die Jahrtausendfalle für Frauen! Gerade weil es sich nicht mehr um die freche Feder am viermal im Krieg umgearbeiteten Hütchen handelt, nicht mehr um den Blumenstrauß in der Mechanikerwerkstatt oder die von allen unterschriebene Grußkarte an den kranken Kollegen. Es geht um sehr viel subtilere und effizientere Weichmacher. Jede von uns kennt selber am besten ihre entsprechenden Neigungen, die von der Frauenbewegung als Sklavinnenfähigkeiten tabuisiert wurden und uns doch so lieb sind.

Andererseits ist es, innerhalb der Humanisierungslogik und dieser Begriff ist selber, ernsthaft bedacht, Ausdruck einer Perversion - in der Tat ein Fortschritt, der Frauen zuarbeitet, wenn kälteste Effizienzplaner darauf kommen, daß warme Fähigkeiten für die neuen Unternehmensaufgaben vonnöten sind: abteilungsübergreifende Projekte erfordern fließende Strukturen, Teamarbeit, multiple Tüchtigkeiten. Plötzlich sind Frauen nicht mehr durch die Tatsache, daß sie keine nahtlose Berufsentwicklung aufweisen können, aus dem Rennen. Im Gegenteil, Brüche und Sprünge sind erwünscht. „Neue Karrieremuster“ heißt das jetzt und „individuelle Teilzeitarbeitsformen“.

Das neue „weibliche“ (?) Arbeitsethos lautet „Bequemlichkeit ist out, und Unruhe ist in“ (Berthoin Antal). Wir Frauen mit unseren rissigen Lebensläufen und unserer „sozialen Kompetenz“, wir können stolz sein. Uns gehört die Zukunft.

Die Gegenwart allerdings noch nicht. Davon zeugt, ex negativo, die Quotierungsdiskussion. Es erübrigt sich, sie an dieser Stelle noch einmal zu entfalten. Klar ist auf jeden Fall, daß der Arbeitgeberpräsident Quotenregelungen „eher frustrierend“ findet und - immer mit Blick auf das, was für Frauen gut ist, lieber an die „durch Leistung ausgewiesene Managerin“ denkt, die mittels einer ominösen „Chancengleichheit“ an ihren Posten gelangt.

Bedenkenswerter scheint mir, was zu dem Thema von anderer Seite jüngst geäußert wurde, obwohl ebenfalls von einem Mann. Peter Grottian vom Berliner Otto-Suhr-Institut ist tatsächlich ein praktizierender Frauenfreund: Um Frauen Platz zu machen, hat er seinen Arbeitsplatz gegen unendliche nicht nur bürokratische Widerstände mit einem anderen Wissenschaftler geteilt. Bei einem Vortrag über die Aufteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen stellte er als Voraussetzung erst einmal lapidar fest, daß die „strukturelle Komplizenschaft“ aller größeren gesellschaftlichen Organisationen kein Interesse an einer Veränderung der patriarchalen Aufteilung hat. Die Arbeitszeitverkürzung hat absolut nichts an der Geschlechteraufteilung geändert. Auch wenn verbal viele Männer beteuern, daß sie gerne weniger für weniger Geld arbeiten würden, sind sie doch viel zu „erwerbsfixiert“, unabhängig davon übrigens, ob die Arbeit ihnen Spaß macht. Und was die Quotierung angeht, so hat Grottian festgestellt, daß sie nicht wirklich greift. Sie reicht eigenartigerweise (?) - immer nur bis zu den Rängen direkt unter einem selber, wenn es um Machtverteilung geht. Er plädiert deshalb für eine gezielte Teilung von Führungsstellen in gesellschaftlichen Institutionen, die ausdrücklich auch als verschiedengeschlechtlich aufzuteilende auszuschreiben sind. Das würde zumindest, vermutet er, für Irritation sorgen. Seine eigentliche Hoffnung setzt er aber auf eine Radikalisierung des Konflikts durch den anwachsenden Druck, den jede einzelne Frau zum Beispiel in ihrer individuellen Beziehung erzeugt.

Und ganz unrecht hat er nicht. So veröffentlichte jüngst das Institut für Marktforschung eine Meldung, daß Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Managerposten zu besetzen, da die Ehefrauen möglicher Kandidaten keine Lust mehr haben, ihren hin- und herversetzten Männern ständig mit Sack und Pack und Kind und Kegel nachzufolgen. Also gehört die Zukunft tatsächlich den Frauen? Denn Karrierefrauen haben ja keine seßhaft streikenden Ehefrauen! In der Tat wird zur Zeit jedes dritte neue Unternehmen von einer Frau gegründet. Allerdings verdient auch jede dritte von ihnen unter 1.000 Mark.

Unter Umständen geht die Quotierungsdiskussion tatsächlich an den Frauen vorbei, und das in einem sehr umfassenden Sinn. Während öffentlich noch bedacht wird, auf welche Weise Frauen genauso viel arbeiten dürfen wie Männer, um ganz Mensch zu sein, geht es in naher Zukunft mit aller Wahrscheinlichkeit doch eher darum, wie wir alle lernen können, uns nicht mehr über Teilhabe an entlohnter Arbeit zu definieren, sondern über unsere Befähigung, womöglich ohne sie auszukommen.

Es könnte ja sein, daß genau in diesem Sinne uns Frauen die Zukunft gehört. Und ein bißchen auch schon die Gegenwart. Es mögen, zum Beleg, einige Frauen, die näher oder ferner an mein Leben grenzen, kurz hier auftreten.

Ines hat Brotloses studiert, Theaterwissenschaft, Kunst, dies und das; zwischendurch ging sie kellnern; irgendwann war sie zwar noch eingeschrieben, kellnerte aber nur noch. Dann bekam sie Lust zu heiraten und auf ein Wunschkind. Die Lust auf den Mann verschwand, das Kind blieb, der Mann ging. Nun ist sie Kellnerin und nicht mehr eingeschrieben. Sie verdient sehr gut, leichtherzig, fröhlich und hübsch, wie sie ist. Sie teilt sich inzwischen eine Wohnung mit einer anderen alleinstehenden Mutter. Die Kinderbetreuung hat sie

-so flippig, wie sie bis dahin lebte - perfekt und zuverlässig organisiert: Ihr Bruder ist an drei Abenden der Woche als bezahlter Babysitter engagiert. Ihr Kind liebt sie sehr. Sie ist jetzt Anfang 30.

Helga ist Mitte 50. Sie war mit einem mittelberühmten Schriftsteller verheiratet, ist, als es nicht mehr ging, fort von ihm ins Ausland gezogen. Sie hat eine billige Ofenheizungswohnung gefunden und einen kleinen Frauenliteraturkreis mit jours fixes bzw. nicht-fixes, sondern nach Lust und Möglichkeiten, gegründet. Sie lebt jetzt mit einem Handwerker zusammen, der unter seiner Erwerbslosigkeit leidet; es geht so, sagt sie; sie möchte nie mehr von einem Mann zu fest gegriffen werden. Sie schlägt sich mit Sozialjobs durch - Altenbetreuung, behinderte Kinder; sie geht auch mal putzen.

Maren war erst Sozialhelferin, hat dann ein Filmstudium abgeschlossen. Ihr Examensfilm wurde im Fernsehen gezeigt. Geld hat sie nie; sie lebt von Sozialhilfe und Kleinjobs. Lange Zeit hatte sie keine Wohnung und zog mit zwei Taschen und diversen Plastiktüten umher, kam bei wechselnden Bekannten unter. Zwischendurch schreibt sie an Drehbüchern und Filmexposees; bislang wurden sie immer zurückgeschickt. Wenn es schlecht geht, trägt sie wieder ihren teuren Fotoapparat ins Pfandhaus; wenn es wieder gut geht, löst sie ihn aus. Maren weiß immer als erste, wo es günstige Jobs gibt; und sie kennt sämtliche Förderpreis-Institutionen der Republik. Es gelingt ihr sogar, immer wieder zu verreisen, auch an Wunschorte. Wenn Maren etwas Neues entdeckt hat, einen Film, eine Theorie, eine Chance, ist sie jedesmal Feuer und Flamme. Ihre Familie sind ihre Freunde. Sie ist jetzt Mitte 30.

Babette ist gerade 40 geworden. Vor acht Jahren starb ihr Mann; sie war glücklich verheiratet. Jetzt bekommt sie eine magere Witwenrente; deswegen kann sie die schöne Wohnung behalten, von der sie einen Teil weitervermietet. Sie lebt in loser Wohngemeinschaft - man kann reden, muß aber nicht; und sie macht unterbezahlte Lustarbeit bei einer Alternativzeitung. Der Studienrätin hat sie vor zehn Jahren Ade gesagt. Eigentlich würde sie doch noch gerne zu ihrem vollen Glück einen Dauermann und Familie haben.

Carla hat ein Lehrerstudium abgeschlossen. Sie hat sich mit mehreren Frauen einen ländlichen Bauernhof gekauft und ausgebaut. Die Besetzungen wechselten im Laufe der Jahre mit Krächen und Tränen. Am Schluß hatte sie alle ausgezahlt und war alleine auf dem Hof. Carla hat Geld geerbt und ist immer entschieden ihren Lüsten nachgegangen. Der Politleidenschaft folgte das Fraueninteresse, danach das Öko- und Umweltbewußtsein; zwischendurch hat sie gemalt und kunstgewerkelt. Irgendwann hat sie ihr Referendariat begonnen, festgestellt, das ist nichts für sie, gesunden Gartenanbau nach Büchern betrieben und an der Volkshochschule gelehrt. Fünf Jahre pflegte sie ihre sehr kranke Mutter und bekam plötzlich Lust auf ein Kind. Den Mann dazu kannte sie nur kurz, und er verschwand auch bald wieder. Jetzt will Carla mit Kind auswandern in die Sonne. Immer treibt sie eine Unruhe, daß das Leben ihr entgeht. Sie kann, bei aller Sprunghaftigkeit, sehr gut mit Geld umgehen, ist trotzdem großzügig und eine hingebungsvolle Konsumentin.

Edith ist 50 geworden. Sie ist seit langen Jahren geschieden, seit langen Jahren auch öffentliche Angestellte. Ihrer Behörde hat sie einen Arbeitsmodus abgelistet, den sie rundum genießt: eine Woche Arbeit, eine Woche Pause. Sie macht Sport, nimmt an Fachkursen, Seminaren, Schulungen, Bildungsreisen teil; sie teilt sich die Wohnung mit einer Freundin, ist sparsam aus Neigung, betreibt alle Dinge nicht panisch, sondern gelassen. Und dann verliebt sie sich plötzlich und zum ersten Mal in eine Frau, hat und nimmt sich die Zeit, das Glück auszukosten. Jetzt denkt sie daran, ein Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen, um sich im Land ihrer Freundin umzusehen. Sie plant Veränderungen vernünftig. Ganz die Sicherheit ihres Berufes, der sie im übrigen nicht sonderlich interessiert, aufzugeben, davon hält sie nichts.

Kathrin ist seit fast zwanzig Jahren eine glanzvolle Grundschullehrerin und möchte seit mehr als zwnazig Jahren sie ist jetzt 40 - lieber einen psychotherapeutischen Beruf ausüben. Vor zehn Jahren hat sie sich von ihrem Mann getrennt, und seit zehn Jahren arbeitet sie systematisch und hartnäckig an dieser Änderung. Sie geht zu Abendkursen, Wochenendseminaren, läßt sich selber analytisch behandeln; ganze Tage liegt sie im Ruhrgebiet auf der Autobahn, um alle Termine zu schaffen. Nur halbtags zu arbeiten, kriegt sie nicht hin; sie gibt so gerne Geld aus. Sie hat eines der obskursten Stipendien ganz Deutschlands ergattert für einen einjährigen USA-Studienaufenthalt. Jetzt dauert es vielleicht noch ein, zwei Jahre, dann ist sie Therapeutin. Das treibt und belebt sie; sie ist immer wach und herzlich. Nur mit den Männern... An Episoden mangelt es nicht; es gibt aber so wenige leider, die ernsthaft infrage kämen. Aber vielleicht ist sie ja längst nicht mehr fähig und bereit, eine nahe Dauerperson auszuhalten, sagt sie.

Und so könnte es weitergehen mit den Frauen, die sich um Pläne und Hypothesen der Arbeits- und Lebenswissenschaftler nicht scheren; die, wenn sie arbeiten, gerne arbeiten, die vor allem leben - vom Sichdurchschlagen bis zum Genießen -; nur keine Lückenbüßerinnen sind, auch wenn sie alle Lücken kennen und sie für sich nutzen. Die „rat-race“ jagt ohne sie; und um Quotenregelungen kümmern sie sich nicht. Viele von ihnen gehören zu dem Drittel deutscher Haushalte, die inzwischen aus einer einzigen Person bestehen. Ihre „Teilzeitarbeit“ haben sie, wenn auch gelegentlich aus Not, höchst individuell geregelt.

Sie scheinen die Diskussion schon überholt zu haben. Doch selbstverständlich gibt es SozialwissenschaftlerInnen, die für solcherlei neualte Lebensformen schon ihre Interpretation haben. Eine von ihnen ist Cora Stephan, die in einem Aufsatz1 einige freche Thesen zu solchen Lust- und Luxusfrauen entwickelt. Sie stellt fest, daß das Patriarchat schon lange an der Abschaffung der Frauen arbeitet; biologisch werden Frauen nicht mehr nötig sein; nicht mehr ihr Geschlecht bestimmt dann ihr Schicksal. Nun sollen sie sich, nach üblicher feministischer Logik, qua Emanzipation durch Arbeit an männliche Lebensmuster anpassen. Und da bocken sie plötzlich. Sie hecheln nicht Karrieren hinterher, werfen sich auf Teilzeitarbeiten und scheinen es gar nicht anders zu wollen. Diese Frauen haben offenbar festgestellt: Weder ist der Beruf das Paradies, noch die Ehe nur die Hölle. So arbeiten sie ein bißchen, plaudern, konsumieren, gehen kulturellen Lüsten nach; die Hausarbeit machen Maschinen. Und nicht einmal Kinder wollen sie zur gesellschaftlichen Wiedergutmachung kriegen. Sie begeben sich wieder gerne in Eheabhängigkeit; und sie arrangieren sich.

Offenbar kommen Frauen mit der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ viel besser zurecht als Männer. Sie haben sich schon immer in zwei sehr verschiedenen Welten bewegen können: der Berufs- und der häuslichen Welt. Das, was Männer noch gar nicht wahrhaben wollen, daß es ziemlich bald ein Ende haben wird mit der normalen Berufslebensbiographie, das haben Frauen für sich schon praktikabel gelöst. „Ihre erlernte Flexibilität, die Realisierung einer Vielzahl von Lebenswünschen - wenn es nicht auf einmal geht, dann halt hintereinander - macht Frauen, womöglich, für die Anforderungen der Zukunft tauglicher.“

Und, so folgert Cora Stephan, was diese Frauen, die so rückständig scheinen, die nicht kämpfen für Recht auf Arbeit, Karriere, Quotenstellen, praktizieren ist Haus -Arbeit als quasi antikapitalistischer Widerstand gegen das Verwertungsfieber. „Frauen kennen noch ein Leben jenseits der Berufswelt - zumindest erinnern sie sich daran.“

Was Stephan als selbstbewußten Widerstand liest, ist für eine andere Wissenschaftlerin2, ohne daß beide aufeinander Bezug nehmen, blinder Eifer, der ins Verderben führt. Claudia von Werlhof hat das Wort von der „Hausfrauisierung“ geprägt. Sie erwartet, daß Hausarbeitsstrukturen die Zukunft bestimmen. Erst mal wird Arbeit in der Ersten Welt, das ist unbestritten, auf jeden Fall Mangelware. Speziell geregelte Lohnarbeit wird aussterben. Lohnarbeiter machen und können zu wenig, sie sind zu teuer, zu unflexibel und zu einseitig. Ihre Arbeit wird in die Dritte Welt verlagert, wo Arbeit jetzt schon nicht mehr als freie Lohnarbeit beschrieben werden kann, sondern eben „hausfrauisiert“ ist: Menschen arbeiten zwangsabhängig, lohnlos, um Kredite oder Schulden abzuzahlen, kaserniert, nicht permanent...

Den Anfang eines vergleichbaren Prozesses in Europa sieht Werlhof in der sogenannten Schattenarbeit, in Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Schwarzarbeit, Heimarbeit, befristeter Arbeit. Es werden sich also nicht die Frauen den Männern anpassen. Die Entwicklung ist vielmehr umgekehrt: Die scheinbar unqualifizierten Frauen mit ihrem spezifisch weiblichen Arbeitsvermögen besitzen in Wahrheit die Superqualifikation für die zukünftige Umstrukturierung der Ökonomie. Sie hat allerdings eine sehr andere Lesart für diese unsere Superqualifikation:

„Alles, was Frauen tun, muß Frucht bringen, und diese muß gratis sein wie die Luft zum Atmen ... die Freundlichkeit, die Unterwürfigkeit, das Immer-zur-Verfügung-Stehen, das Alle-Wunden-Heilen, das Sexuell-nutzbar-Sein, das Alles -wieder-in-Ordnung-Bringen und Sich-verantwortlich-Fühlen, das Sich-Aufopfern, die eigene Bedürfnislosigkeit und Anspruchslosigkeit, das Verzichten für andere, das Ertragen von allem, das Einspringen-Können für alles, das Sich -Zurückziehen, das Unsichtbar-Sein und das Immer-da-Sein, das Passiv-Bereitstehen und das Aktiv-die-Karre-aus-dem -Dreck-Ziehen, das Phantasie-Haben und das Emotional-Sein, das Durchhalten und die Disziplin wie bei einem Soldaten. Und seine Herstellung hat 'nichts gekostet‘, keine formale Bildung ist dafür notwendig noch überhaupt denkbar.“

Obwohl sie schon häufig genannt sind, erinnere ich bei dieser Gelegenheit noch einmal an zwei bemerkenswerte Zahlen: Frauen leisten weltweit zwei Drittel aller notwendigen Arbeit und verdienen ein Zehntel von allem gezahlten Lohn. Dazu Staatssekretär Tegtmeier auf dem Kongreß: „Wo Arbeit nicht aufgrund eines förmlichen Vertrages, sondern aufgrund einer sittlichen Verpflichtung erbracht wird, fehlt es an finanziellem Entgelt... Wir sollten nicht den Ehrgeiz haben, alle in der Gesellschaft erbrachten Leistungen zu kommerzialisieren.“

Da Claudia von Werlhof den „Abschied vom Proletariat“ in der Tat schon in vollem Gange sieht - Indizien sind für sie neben der Aufforderung zu ehrenamtlicher Sozialarbeit auch die Mütterkampagne „Zurück-in-die-Familie“, die Zwangsarbeit für Arbeitslose..., ist es für sie ein Zeichen von geradezu absurder Dummheit, daß die bourgeoise bundesrepublikanische Alternativszene die Entwicklung nicht durchschaut. Begeistert macht sie sich selber freiwillig zur Avantgarde, wenn sie von autonomen Arbeitsformen schwärmt, „Eigenarbeit“, das heißt unbezahlte Arbeit verrichtet, zu Kleinbauern und Kleinhandwerkern wird, kurz, zurück zur Natur will, „in die sie“, so Werlhof, „aus der Sicht der Kapitalisten sowieso gehört, weil das überhaupt erst ihre Ausbeutbarkeit ausmacht“.

Mit Utopie, weder sozialistischer noch nachkapitalistischer, haben diese Lebensformen für sie absolut nichts zu tun; sie bereiten vielmehr die „Hausfrauisierung des weißen Proletariers“ vor.

Denkt man diese Thesen weiter und verschlingt sie mit den Beobachtungen von Cora Stephan, könnte eine mögliche Schlußfolgerung ziemlich verwirrend wie folgt aussehen. Angenommen, Werlhofs Voraussagen sind tendenziell wahrscheinlich, dann würde in dieser Zeit des Umbruchs eine Wiederholung unserer Enteignung der sogenannten Dritten Welt stattfinden. Dieses allerdings in einem geradezu obszönen Recycling-Verfahren. Wenn nämlich auch die LebensLust -Frauen, von denen Stephan schreibt, keine Fiktion sind und die eigene Privaterfahrung bestätigt das -, dann holen wir gebildeten Mittelschichtfrauen der Ersten Welt, so wie wir uns ihre erste Natur qua Bauchtanz und Mystik angeeignet haben, uns nun als neue Luxuslebensform ihre zweite Natur: die neue „natürliche“ Vielseitigkeit. Eine Existenzform mithin, die in den Ländern, wo sie entstanden ist, notvolles Ergebnis kolonialer und kapitalistischer Gewalt ist. Eine objektive Deformation der Weltunterklasse wird, in andere Verhältnisse transplantiert, zur Quelle subjektiven Vergnügens der höheren Erstweltstände.

Nach diesem usurpierten planetarischen Gesamtblick am Schluß nun in scharfem Bogen zurück zum eigenen kleinen Gesichtskreis. Wann und wo, wenn nicht hier und jetzt, könnte das Private politisch sein. Ich schreibe für die Zeitschrift 'Ästhetik und Kommunikation‘ einen Artikel über Frauenarbeit in der Zukunft, und das umsonst, da die Redaktion sich zur Zeit keine Honorare leisten kann. Ich produziere also lohnlos, bin Nicht-Lohnarbeiterin. Damit trage ich selbst freiwillig zu dem Prozeß bei, den ich beschrieben habe: den der Hausfrauisierung der Arbeit. Arbeit aus Liebe oder um Anerkennung.

Frauen - die Wirtschaftsreserve der Zukunft? So besehen immer!

1 Cora Stephan: Gold, Liebe, Abenteuer. In: Cora Stephan, Weiterhin unbeständig und kühl, Rowohlt 1988

2 Claudia von Werlhof: Der Proletarier ist tot. Es lebe die Hausfrau. In: Frauen, die letzte Kolonie. Hrsg. Claudia von Werlhof, Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen. rororo aktuell 1988

Vorabdruck aus dem neuen Heft über Modernisierungszwänge, das Ende der Woche bei 'Ästhetik und Kommunikation‘ erscheint.

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