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Aufruf zum Königssturz

■ In Rumäniens KP regt sich Widerstand / Pantokrator Ceausescu soll endlich gehen / Appell an Parteitag: „Die Geduld der Rumänen ist nicht grenzenlos“

Berlin (taz) - Dem byzantinischen Regime Ceausescus in Rumänien soll ein Ende gemacht werden. Eine innerparteiliche Oppositionsgruppe der KP hat sich in einem anonymen Aufruf an die Delegierten des für November anberaumten 14. Parteitags gewandt. Der „Appell der Front zur Rettung der Nation“ wirft dem Generalsekretär vor, an der katastrophalen Lage des Landes restlos schuldig zu sein und schließt mit der Warnung: „Die Geduld der Rumänen ist sprichwörtlich, aber nicht grenzenlos.“ Aus dem Dokument, das von Mitte September datiert, wurden nun Einzelheiten bekannt. Als einzigen Ausweg aus der unhaltbaren Situation Rumäniens, die von „Voluntarismus und Inkompetenz“ geprägt ist, sehen die Verfasser die sofortige Absetzung des Conducators, „um den ein ekelerregender Personenkult betrieben wird, der den um Stalin weit übertrifft“. Die Fehlentscheidungen in horrenden der Wirtschaft hätten sich verheerend auf alle Lebensbereiche ausgewirkt. In den letzten Jahren sei die Lebenserwartung der Bevölkerung erheblich gesunken und seit Jahrzehnten ausgemerzte Krankheiten seien wieder aufgetreten.

Auch vor den Einrichtungen der Kultur hätte der Personenkult keinen Halt gemacht, den traditionellen Kulturinstitutionen sei die finanzielle Unterstützung entzogen worden, um die vom Regime geförderte Laienbewegung zu einem Kulturersatz hochzustilisieren. Die Medien und selbst die Künstlerverbände wären nur noch ein „Anhängsel“. Besonders schmerzlich wirke sich dies auf das Schulwesen und die nachwachsende Generation aus. Die Schule sei nur noch eine „Parodie“ ihrer eigentlichen Aufgabe. Die „totale Entmündigung“ der Jugend vom Kindergarten bis zur Hochschule habe eine Generation von „Heuchlern, Demagogen, Emporkömmlingen und Lügnern“ heranwachsen lassen.

Die Kommunistische Partei, heißt es in dem Dokument, sei praktisch abgeschafft, „wobei die drei Millionen Mitglieder zu einfachen Beitragszahlern reduziert wurden, deren Hauptaufgabe darin besteht, dem Generalsekretär Beifall zu spenden“. Im Umgang mit den Minderheiten werfen sie Ceausescu und „seinen Helfeshelfern“ vor, ein Programm nationaler „Homogenisierung“ zu verfolgen, das auf Diskriminierung aufbaue. Den außenpolitischen Kurs geißeln die Verfasser als einen „politisch-diplomatischen Infantilismus“, der dem Ansehen des Landes großen Schaden zugefügt hätte. Dazu zählten die Nichtrespektierung internationaler Abkommen genauso wie die „Organisation terroristischer Aktionen im Ausland“. In ihren für Rumänien tragischen Folgen werde die Flüchtlingswelle von ungarisch -stämmigen Rumänen vom Regime gänzlich ignoriert „und zu feindseligen Kampagnen gegen das Nachbarland Ungarn und den dort eingeleiteten Reformprozeß mißbraucht“. Die Errichtung eines Drahtverhaus an der Grenze zu Ungarn heißen die Verfasser einen „Akt politischer Stupidität“. Über das Systematisierungsvorhaben, in dessen Verlauf Dörfer der ungarischen und deutschen Minderheit, agroindustriellen Zentren weichen sollen, urteilen die Oppositionellen: „Ein unzulässiger Akt gegen das Individuum.“

Protest aus den Reihen der KP hatte es in den zurückliegenden Jahren nicht mehr gegeben. Im Laufe dieses Jahres meldeten sich allerdings verschiedene Regimekritiker, darunter auch ehemalige hohe Parteifunktionäre zu Wort wie Silviu Brucan, ehemals Chefredakteur des Parteizentralorgans 'Scinteia‘, und der ehemalige Außenminister Corneliu Manescu. Außer dem Parteiveteran Constantin Pirvulescu, der auf dem 12. Parteitag 1979 den Generalsekretär öffentlich kritisierte, konnte in den letzten zehn Jahren keiner der geschaßten Parteikritiker offen auftreten. Die Verfasser des Aufrufs knüpfen bewußt an die von Pirvulescu 1979 gehaltene Rede an.

William Totok

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