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Rot-Grün auf Ostwestfälisch

Kommunalwahlkampf in der Provinz / Bilanz: Grüner Parlamentsalltag, das hieße auf dem Land noch mehr als in den Städten, die SPD ans eigene Programm erinnern / Grüne Glaubwürdigkeit beschränkt sich nicht auf Programmtreue  ■  Aus Spenge von B. Markmeyer

Heutzutage kann man einen Stock in den Acker stecken und einen grünen Hut obendrauf setzen, der würde auch gewählt!“ wetterte in der ersten Ratssitzung nach der Kommunalwahl am 30. September 1984 der UWG-Vorsitzende Horst Fischer-Riepe. Damals lief er noch rot an, wenn er das Wort „Grün“ nur hörte, und tobte gegen „diese reine Ideologie“, die auch 750 WählerInnen in seinem Heimatstädtchen erfaßt hatte. Zwischen den beiden langen Tischreihen in der Spenger Stadthalle saßen auf einmal drei Grüne. Und was noch schlimmer war: Genau 15 SPDler links an den Tischen saßen genau 15 Konservativen rechts gegenüber - die UWG spielt in der ostwestfälischen Kleinstadt die Rolle der CDU.

Horst Fischer-Riepe, Landwirt und Heeremann-Stellvertreter im Westfälischen Landwirtschaftsverband wollte Bürgermeister werden. Fünfzehn Jahre lang hatte seine Fraktion den ersten Repräsentanten Spenges gestellt. Und nun kürten die Grünen mit ihren drei Stimmen einen SPD-Bürgermeister. Rot-Grün in Spenge! Für Fischer-Riepe und Freunde das Ende der „aufstrebenden Kleinstadt im Grünen“.

Was der UWG-Chef nicht wissen konnte: Der rote Bürgermeister war geschenkt. „Zum Verhandeln waren wir damals einfach gar nicht fähig“, erinnert sich Martin Sutter, grüner Rats-Nachrücker. „Wir wußten nur, daß Fischer -Riepe nicht Bürgermeister werden durfte.“

Den SPD-Fraktionschef Uwe Grintz, der Tage zuvor mit einem Bündnis-Papier in der Küchentischrunde der Grünen erschienen war, hatten die NeupolitikerInnen wieder weggeschickt. Sie fürchteten sich davor, so wenige Tage nach der Wahl, die sie mit fast 10 Prozent wie ein freudiger Schock erwischt hatte, per Papier von dem gewieften SPD-Feierabendpolitiker über den Tisch gezogen zu werden. Die benachbarten Bielefelder Grün/Bunten, die bereits fünf Jahre Erfahrungen in kommunaler rot-grüner Zusammenarbeit hinter sich hatten, faßten sich an den Kopf: Die Spenger Grünen zogen sich selbst über den Tisch.

„Nein“, sagt Waltraut Säger, Ratsfrau der ersten drei Jahre, „ein festes Bündnis wollten wir gar nicht. Nicht mit so einer SPD.“ „Ehe die die SpengerInnen mit einem rot -grünen Programm verschreckt hätten, wären die doch wieder bei der UWG gelandet“, setzt Martin Sutter hinzu. „Und wir wollten glaubwürdig bleiben.“ Die SPD hatte sich unter konservativen Ratsmehrheiten nicht als Opposition profiliert. Einmütig waren Rote und Schwarze nach der Eingemeindung von vier Dörfern daran gegangen, Spenge zur Stadt auszubauen: Fußgängerzone, Eigenheimsiedlungen, Durchgangsstraße.

Die ehemaligen Dörfer wurden, trotz verbaler Heimattümelei, als „Außenbereiche“ abgewertet, zu neuer Attraktivität gelangte ihre zerstörte Infrastruktur lediglich als Bauplatz im Grünen für PendlerInnen aus Bielefeld und Herford. Spenge wurde typische, trostlos-deutsche Kleinstadt.

Hier also starteten anfangs zehn bis fünfzehn, später zehn bis fünf Grüne, im Herzen alle ungetrübte FundamentalistInnen, in eine wechselvolle, fast fünfjährige rot-grüne Zusammenarbeit. Das Verhandeln lernten sie bei den Haushaltsverabschiedungen, was der GenossInnen Wort wert war zwischendurch. Dauerhafte rot-grüne Zusammenarbeit hat es in kleinen nordrhein-westfälischen Gemeinden praktisch nicht gegeben. Sie kann auf keine sichtbare politische und kulturelle Basis bauen.

„Bis heute“, sagt Martin Sutter, „kennen wir unsere WählerInnen nicht.“ Spenge und das 8.000-Seelen-Dorf Dörentrup im Lippischen sind die Ausnahmen. In Dörentrup treten die Grünen zur Kommunalwahl am 1. Oktober wegen Überarbeitung der drei Aktiven nicht wieder an, „obwohl“, so die grüne Exbürgermeisterin Dagmar Wehleit, „wir gute Karten gehabt hätten“.

Auch im Spenger Ortsverband war unschlagbarer Dauerbrenner jeder Debatte, wie man Nachwuchs für den parlamentarischen Kleinkrieg rekrutieren könnte. Und als der Flügelkampf in der Bundespartei auf seinem Höhepunkt tobte, witzelte das grüne Häufchen im tiefsten Ostwestfalen darüber, daß man gar nicht genug Personal hätte, um alle Flügel zu besetzen: und beugte sich wieder über die Ausschußvorlagen.

Grüner Parlamentsalltag, das hieß auf dem Land noch mehr als in den Städten, die SPD an ihr eigenes Programm zu erinnern. Mit den gemeinsamen Haushalten verabschiedete die rot-grüne Mehrheit Gewerbesteuererhöhung und Gleichstellungsstelle, baute die Bücherei aus und gründete eine Gesamtschule. Zwei Dorfschulen ließen die GenossInnen gegen grünen Widerstand abreißen. Für weiteren Straßenbau stimmten sie mit der rechten Tischreihe im Rat. Tiefe grüne Eingriffe in Spenge wie Mülltrennung mit ortseigener Kompostanlage verhinderten sie in ortsübergreifender GenossenInnensolidarität.

Im nahen Bielefeld muß die von der dortigen SPD durchgezogene Müllverbrennungsanlage rauchen. Mit grünen Tupfern wie Anpflanzungen, Streusalzverbot und Umwelttagen schmückten sie dagegen gern das rote Rathaus, „Grün“ hat längst auch auf dem Land Konjunktur.

„Was wir durchgesetzt haben, war tatsächlich sozialdemokratische Politik, vor Ort jedoch waren es grüne Verdienste“, resümiert Heinz Deppermann, grüner Rats -Nachrücker. „Wir haben linke SPDler gestärkt und uns ausgerechnet durch den Kampf für die Gesamtschule profiliert.“ Die SPD schreckt schon wieder vor wütenden Realschüler-Eltern zurück, die zwecks Erhalt „ihrer“ Schule auf die Barrikaden gehen. Ihr Taktieren brachte Glaubwürdigkeitsgewinne für die Grünen.

Grüne Glaubwürdigkeit in Spenge beschränkt sich nicht auf grüne Programmtreue. Die meiste Politik findet weit weg vom Rathaus statt. Das Landvolk mißt ökologische Agrarpolitik nicht an Programmen, sondern in Doppelzentnern Weizen und Kartoffeln, die die beiden grünen Bio-Bauern von ihren Äckern holen. Die Kleinstadt sieht den Grünen auf die Finger. Hatten diese in ihrem Programm zur Kommunalwahl 1984 die Liste der KandidatInnen noch verschämt auf der letzten Seite plaziert, stehen heute bestimmte Personen für Umweltpolitik, Stadtentwicklung und Frauengleichstellung.

„Wir haben zwar die SPD, nicht aber die Politikformen hier grundlegend verändert. Vielmehr hat die Kommunalpolitik uns verändert“, sagt Waltraut Säger. „Wenn ich wieder in den Rat gehe“, meint Martin Sutter, „dann weil ich durch die Auseinandersetzungen der letzten fünf Jahre angefangen habe, mich mit diesem Kaff zu identifizieren. Und je näher ich dran bin, um so wütender werde ich, wenn sie wieder eine Straße durch die Landschaft knallen wollen oder ein Biotop plattmachen.“ Für ihn käme nach der nächsten Wahl auch eine Koalition in Frage. „Und trotzdem fühlen wir uns, wenn's um grüne Parteipolitik geht, nicht als Realos“, sagt seine Parteikollegin.

Die SPD indes macht Wahlkampf mit ihrer großen Wende in Spenge und rechnet mit Zugewinnen. Linke GenossInnen denken weiter. Etliche von ihnen, munkelt der Spenger Lokalzeitungsredakteur, überlegten, am Sonntag „Grün“ anzukreuzen: Sie fürchten eine absolute rote Mehrheit.

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