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WEIHNACHTEN IST ÜBERALL!

■ Jerome Savary läßt im Schillertheater die Muskeltiere spielen

So 'ne Mischung zwischen dem jungen Herbert Grönemeyer und dem alten Michael König - irgendwie prinzdumm, mannsbreit und hansblond jedenfalls - so geht der neue Ganzkerl, der nur Guntbert Warns heißen kann und d'Artagnan spielt. Ansonsten handelt es sich bei Jerome Savarys schillertheatralischen Inszenierung der selbstgemachten hochdramatischen Version von Alexandre Dumas‘ Fechtfetzen „Die drei Musketiere“, bekannt aus Film, Funk und Fernsehen, hauptsächlich um dreieinhalb Kinderstunden für den älteren Mitbürger - namentlich den kindischen älteren Herren, der das eine in seinem langen Langweilerleben gelernt hat und auch noch das andere: lachen ist gesund, so Dr. Brinkmann. Gerontomedizinisch muß also mindestens an Mädchenmöpsen gequietscht werden, unter Röcke gestiläugt und in diverse Pöpöchen gekniffen sein: Hey, ist das ein Spaß! Da jauchzt der alte Sack!

Nachdem man sich vor ein paar Jahren in der Circus -Phantasie-Sauce gewälzt hatte (Savary persönlich hielt sich ja den Grand Magique Circus), ist jetzt offenbar Stadttheater-Banalitäts-Koketterie espritmäßig schwer en vogue: quasi der dernier cri. Letzterer verlangt die allerletzen Uralt-Gags, daß das Bühnenbild möglichst billig und verstaubt wirkt etc. Nur daß im Staatstheater die hingemalten Kulissen auf dem vergilbten Prospekt natürlich von Caspar David Friedrich sind und der Bildausschnitt ebenso golden wie die Schafe davor echt sein müssen und man die präraffaelitische (was sonst?!) Massivkirchentrümmer mit größter Mühe und massig Mäusen auf Pappmache getrimmt hat. Wirklich schimmlig sind in diesem edlen Pseudo-Klitschen -Klischee nur zwei weiße Pferde. Zum wiehern.

Und zu allem spielt die Musik dazu: am Echt-Flügel sitzt ein Unecht-Richard-Kleidermann und vom Tonband turbuliert ein Könnte-auch-gut-Original-Filmsoundtrack-sein. Ist aber halt kein Film - ätsch! Ist ja auch kein Kindertheater ätsch! Ist auch keine Show - ätsch! Denn die würde sich zwischen den Einlagen die öde Louis-Richelieu-Mylady-England -Frankreich-Story sparen. Aber auf die wollen wir hier ja bildungsauftragsgemäß nicht verzichten, was ernstlich den Verdacht nahelegt, daß man es doch irgendwie ernst meint (quasi als Franz.-Revo.-Jubil.-Nachlieferung) mit Protagonisten-Bio-Beiträgen und Epochen-Kurz-Propädeutik im Programmheft.

Aber was immer hier auch veranstaltet werden soll - wenn schon Vorweihnachtsprogramm mitten im September: bitte halten Sie sich wenigstens an die angegebenen Sendezeiten! Im Fernseher gehen nämlich die Uhren anders als wie im ernsten Schwertheater. Nach 90 Minuten wartet da nämlich schon der nächste Spieler - 31/2 Stunden Non-Stop -Unterhaltungsprogramm, das überwacht doch niemand, Herr Savary! Das taugt doch höchstens fürs Klaus-Michael-Grübler -Gedächtnis-Schnarchen. Und das, wo Sie sich und Ihre Werke doch selbst immer so wahnsinnig komisch finden?!

Gabriele Riedle

„D'Artagnan und die drei Musketiere“ von Jerome Savary und Jean-Loup Dabadie in der Übersetzung von Knut Boeser und Lorenz Tomerius nach dem Roman „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas.

Inszenierung: Jerome Savary; Bühne: Michel Lebois; Kostüme: Jacques Schmidt / Emmanuel Peduzzi; Musik: Oswald d‘ Andrea

d'Artagnan: Guntbert Warns; Richelieu: Erich Schwellow; Anna von Österreich: Verena Wengler; Mylady de Winter: Suzanne von Borsody

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