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Die zwei Bilder der Volksrepublik China

Der Hongkonger Journalist Yee Lee zum 40.Jahrestag des revolutionären Chinas: Damals feierte das Volk mit der Armee. 1989 versuchten die Menschen, die Panzer zu stoppen  ■ I N T E R V I E W

Seit 20 Jahren ist Yee Lee Herausgeber von Hongkongs führender politischen Monatszeitschrift 'The Nineties‘, die in chinesischer Sprache erscheint. Der Intellektuelle Lee ist für seine ebenso unabhängigen wie unberechenbaren Stellungnahmen berüchtigt, die ihm weder bei Kommunisten noch bei Kuomintang-Anhängern viele Sympathien einbringen. Lee selbst betrachtet sich als inzwischen gealterter Schüler der europäischen Studentenbewegung der 60er Jahre.

taz: Die Volksrepbulik China wird 40 Jahre alt. Welche Bedeutung hat heute der chinesische Nationalfeiertag im Bewußtsein der Bürger? Ist er trotz allem noch vergleichbar mit dem 14.Juli in Frankreich?

Yee Lee: Für die Chinesen ist dieser Tag vor allem ein Ferientag. Doch natürlich sehen das die Regierenden ganz anders. Sie halten seit 40 Jahren die Macht inne. Der 1.Oktober ist ihr Tag.

In Frankreich gehen die Leute am 14.Juli tanzen oder zum Picknick aufs Land. In China aber muß der 1.Oktober stets zu einem großen Staatsereignis aufgebauscht werden. Das hindert die Leute eher am Feiern.

Gab es denn jemals Gründe, diesen Tag zu feiern?

Aber klar, 1949 zum Beispiel. Der Krieg ist vorbei. Die Kuomintang-Regierung, die an Brutalität immer noch ihresgleichen sucht, hatte verloren. Das ganze Land feierte Maos Sieg. Als am 1.Okober 1949 die Panzer der Volksbefreiungsarmee in Peking einrückten, gingen die Leute auf die Straße und feierten mit den Soldaten. Das ist das eine Bild der Volksrepublik. Mit ihm machen wir das Cover unserer Oktoberausgabe in diesem Jahr.

Das andere Bild der Volksrepublik stammt aus diesem Jahr: Menschen, die sich vor die Panzer der gleichen Armee werfen, um ihren Vormarsch zu stoppen. Dazwischen liegen Welten.

Gibt es auch eine positive Bilanz für die Volksrepublik?

Ja, in einem einzigen Punkt. Die internationale Stellung Chinas hat sich in 40 Jahren verbessert. Niemand zweifelt mehr an der Unabhängigkeit des Landes, auch wenn seine Abhängigkeit vom Ausland seit der Öffnungspolitik von Tag zu Tag wieder zunimmt.

Wie feiert man den 1.Oktober in Hongkong oder im Exil?

Mit Boykottaktionen, Gegendemonstrationen und Mahnwachen. Oder gar nicht - wie ich. Es ist schwer, einen historischen Feiertag zu boykottieren, ohne der Geschichte Unrecht anzutun.

Wie schätzen Sie die Chancen des in Paris neugegründeten „Bunds für die Demokratie in China“ ein?

Es ist sicher das erste Mal, daß eine Exilbewegung in der Volksrepublik China Einfluß gewinnen kann. Ihre Mitglieder zum Beispiel gehören zur chinesischen Elite, die mit den Reformoptionen in Theorie und Praxis Erfahrungen gemacht hat. Solche Leute können der politischen Programmatik der neuen Bewegung Glaubwürdigkeit verleihen.

Spielen denn die chinesischen Studenten, die ja im April die Bewegung entfachten, überhaupt noch eine Rolle?

Sie können heute vor allem im Ausland eine Rolle spielen. Es gibt ja über 40.000 chinesische Studenten in den USA, und etwa 30.000 in Japan und Europa. Ihre Studentenverbände waren noch bis vor kurzem allesamt pro-chinesisch auf Parteikurs. Das hat sich nach dem 4.Juni dramatisch geändert. Ich komme gerade aus Kanada, wo sich wie anderswo auch die chinesischen Studentenorganisationen kräftig gegen die Regierung in Peking stemmen. Die Auslandsstudenten, die ja meist noch über gute Verbindungen ins Heimatland verfügen, oftmals aus einflußreichen Familien kommen, können die Basis des „Bunds für die Demokratie“ bilden. Darin liegt eine große Chance der Bewegung.

Wird es in der Exil-Bewegung noch eine Ideologie-debatte geben oder stehen die Weichen klar auf pro-kapitalistischem Kurs?

Mentalität und Ideen der Bewegung entstammen eindeutig dem kapitalistischen Westen. Wenn in dem „Bund für Demokratie“ von Sozialismus die Rede sein wird, dann denkt man wohl eher an das französische oder schwedische Modell.

40 Jahre Alleinherrschaft der KPCh lassen heute keinen Freiraum mehr für eine neue Sozialismus-Diskussion.

Das Interview führte Georg Blume

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