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Schauprozeß mit gräßlichem Grinsen

Europameisterschaften der Profis in den Standardtänzen / Zu lebenslänglichem Quickstep verurteilt  ■  Aus Hamburg Manfred Dworschak

Leichthändig, wie aus dem Ärmel, schleudern Schwarzfräcke bunte Kreisel ins Parkett, Kreisel aus Tüll und Taft und gebauschter Seide. Und sogleich dreht sich, zu Paaren, der ewige Walzer von vorn, ein glitzerndes Rührwerk, und quirlt die profane Luft im Saale zu purer Atmosphäre. In ihr fliegen Gestalten dahin, aufwärts gebogen und wunderbar leicht, die Gesichter maskiert mit gräßlichem Grinsen.

Einmal mehr erleben wir die endgültige Vernichtung des Tanzes vermittels des Punktgerichtes. In diesem Fall die Europameisterschaft der Profis in den Standardtänzen im Congress Centrum Hamburg, in glanzpapierner Allzweckkulisse, abgewickelt wie ein Strafprozeß. Paare, zu lebenslänglicher Ausübung von Slowfox und Quickstep verurteilt, bemühen sich um Revision, um die Hafterleichterung, die allein das Tragen des Meistertitels noch zu gewähren scheint. Die Verhandlung findet, gegen hohes Eintrittsgeld, öffentlich statt.

An runden Tischen sitzt Publikum und nippt genüßlich am Schauspiel, begutachtet, ob die Figuren regelrecht gezirkelt seien und das Lächeln sitze. Auch der Musik lauscht es nicht ungern. Süffiger ist sie noch als der Sekt und doch zweifellos zu etwas nütze, wie sie da die Paare zum anmutigen Vollzug der immergleichen Schrittfolgen organisiert. Daß aber auch keiner eine falsche Regung zeige! Ihr kommt uns gerade recht! Uns, den Schaulustigen, selber Tanzbären die Woche über, doch heute einmal als Schöffen über andere gesetzt, dem Punktgericht beigesellt, welches untrüglich ermitteln wird, wer am besten tun kann, als ob er tanze, als ob die Lebensfron ihm das liebste Vergnügen sei.

So ganz gelingt das keinem, und das macht uns wiederum ein wenig traurig. Wenn da nicht verabredet wäre, daß es sich bei diesem Ereignis in Wirklichkeit um einen Ball handelt! In den Pausen darf das Publikum selber aufs Parkett und zeigen, daß es auch einmal im Tanzkurs war und vor allem, daß es seither viel vergessen, dafür aber ordentlich Geld verdient hat.

Dunkle Gestalten sieht man, Männer dem Design nach, die mit teuren Exponaten im Arm gemessen in der Menge kreisen, vorsichtig genug, sich auf keinen Fall aus dem Slowfox bringen zu lassen. Nichts geschieht, man macht sich ein wenig Bewegung, und wenn selbst das nicht, dann macht man sich wenigstens gar nichts aus allem: zerstreut hocken erübrigte Nichttänzer, in Trübsal gekleidet und stumm, als wüßten sie nicht einmal mehr, weswegen sie gekommen sind. Dabei sind sie, als peripherer Kontrast, geradezu unentbehrlich. Wer glaubt, noch am Leben zu sein, weiß sich ihnen schon in vielem voraus.

Doch bald sitzen wieder alle und erwarten den Fortgang des Tribunals. Die Hälfte der Paare hat unterdessen, weil ausgeschieden, den Saal verlassen, Köfferchen in der Hand und Lächeln noch immer im Gesicht, nur krummer und knittriger. Eines der aufgerückten hingegen übt am Garderobenausgang Entspannung: den Rumpf vornüber pendeln, auf daß die Wirbelsäule das geforderte Hohlkreuz wieder ertrage; in den verschlissenen Knien wippen und den Kopf kreisen lassen; Schrittformen, Drehungen, tausendfach durchexerzierte Standardbauteile, deren Zusammenspiel aussehen muß wie ein von Menschen und noch dazu mit Wonne getanzter Walzer. Manchen gelingt es trotzdem, die Illusion zwangloser Schönheit zu erzeugen. Aber auch nur höchstens einmal. Der Rest ist Wiederholung.

Woran aber alles scheitert und sofort, das ist der Tango. An ihm entblößt sich unweigerlich die entfremdete Armseligkeit des Turniertanzes. Wir sehen mehrere Tangorunden, wunderschön getanzt von Spitzenprofis, wie der Moderator versichert, und es ist eine Lächerlichkeit: possierliches Kopfgeruckel und gestelzte Schieberei, die Kopulationsästhetik von Nähmaschinen und dazu Gesichter, so ausdruckslos wie neue Autos. Vom hinreißenden Ritual des Tango, von der Dramatisierung des erotischen Showdown, bleibt die greulich leere Form, die Technik: was eben mechanisch zu simulieren ist. Nichts sonst, kein Gefühl, keine Bedeutung, keine Sprache. Bewegungen, geometrisch restlos diszipliniert, also nicht einmal Sport, sondern Leistungssport.

Applaus für alle

Aber wir haben ganz vergessen, wo wir sind. Inzwischen tagt das Punktgericht, um die Finalisten auszuwählen, und der Bühne hat sich ein Entertainer bemächtigt, welcher Taco heißt und dem Programmheft zufolge weltberühmt ist. Aber wir mögen ihn nicht sonderlich, weil er manchmal ein bißchen gar zu hitzig singt und die Saaltechnik dazu wiederholt Flackerlicht einschaltet. Als er geht, kriegt er kaum Applaus, der Moderator muß sich wieder extra darum kümmern, so wie er den ganzen Abend zwischen seinen sachdienlichen Ansagen Applaus besorgen muß für alles und jeden. Für die Paare, wenn sie kommen und wenn sie gehen, solo oder tutti, für die Kostüme und die Parkettwischboys, für die Sponsoren und natürlich fürs Gericht: „Big hands for the judges, please!“ Derart findet er alle zwei Minuten einen Anlaß, uns zur Selbsttätigkeit zu nötigen. Das ist eine bewährte Technik der Ereignisproduktion, aber gegen Ende werden wir doch ziemlich renitent. Halt, da kommt noch das Finale!

Kür ist verheißen, aber erst nach nochmaliger Pflichtübung. Also wieder Walzer, langsamen und Wiener, Slowfox, Tango, und die Paare grinsen noch immer, tun voneinander bezaubert, doch jetzt kann man ihnen kaum noch den Quickstep glauben, was ein an sich dankbarer Tanz ist: er hat was von vergnügtem Skandieren der Zeit, man kann - bei aller Perfektion, versteht sich - hüpfen wie ein synkopenbesoffener Sperling, und das gefällt den Leuten auch ohne Grimassen, aber auch nicht so oft. Wir warten auf die Kür.

Potpourri mit Schlitz

Dann kommt sie. Und ist ein Potpourri aus Pflicht. Angereichert mit je zwei Hebefiguren, eine am Anfang, eine am Ende, und der einen oder anderen künstlerischen Geste. Die Kostüme bedeuten nunmehr Show und haben andere Farben und in einem Falle einen Schlitz. Vorbei, Applaus!

Vorbei die fünfstündige Simulation eines Ereignisses unter Mitwirkung aller, vorbei ein Ball ohne den Schatten von Tanz - was sag ich: ein Schauprozeß. Wir wissen nun, wer, infolge herausragend guter Führung, der Gnade der Meisterschaft teilhaftig geworden ist. Bis zur nächsten Generalrevision. Aber vielleicht ist das auch alles ganz egal. Der Moderator hat, als ihm einmal gar nichts eingefallen ist, einem Paar eine Frage gestellt. Für das Paar hat der Mann geantwortet. Frage und Antwort wurden auf englisch formuliert. Sie lauteten folgendermaßen: „Are you happy?“ - „Always happy!“

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