: „Die Schonzeit für den Justizsenat ist vorbei“
■ Der langjährige Strafvollzugsexperte Horst Detert (SPD) zu der Frage, warum es der rot-grüne Senat noch zu keinen Reformen im Strafvollzug gebracht hat: Alte Strukturen in der Justizverwaltung wurden entgegen der Koalitionsvereinbarung beibehalten
Horst Detert (41) ist seit 21 Jahren im Strafvollzug tätig und derzeitiger Leiter der Freigängeranstalt Hakenfelde. Er war maßgeblich an den Koalitionsverhandlungen zur rot-grünen Strafvollzugspolitik beteiligt und ist jetzt Sprecher der SPD für die Arbeitsgruppe Strafvollzug, die dem Fachausschuß II, Inneres und Recht, angegliedert ist.
taz: Nach den Koalitionsverhandlungen hatte man das Gefühl, im Strafvollzug würde sich vieles verändern. Warum ist das bislang nicht geschehen?
Horst Detert: Dies hat bestimmt verschiedene Ursachen. Der Reformwille ist nicht stark ausgeprägt in den Verwaltungen und auch in den Anstalten. Die Strukturen in der Senatsverwaltung, insbesondere in der Abteilung V für Strafvollzug, sind bis heute nicht darauf eingerichtet worden, die Refomen anzugehen und umzusetzten. Wir haben bis heute die alte Verwaltungsstruktur in der Abteilung für Strafvollzug. Dabei wäre als erster Schritt zwingend geboten gewesen, hier personelle und strukturelle Veränderungen durchzuführen und Planungsstäbe einzusetzten. Dies alles ist unterlassen worden.
Wie müßte die Umstrukturierung der Abteilung V konkret aussehen?
Im Rahmen der Koalitionsverhandlung wurde erörtert, daß für die einzelnen Standorte der Anstalten, Tegel, Moabit und Plötzensee, Planungsgruppen eingerichtet werden müssen, die sich interdisziplinär zusammensetzten. Das heißt, daß unterschiedliche Fachdisziplinen wie Juristen, Sozialarbeiter, Psychologen, Verwaltungsleute und Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes zusammen in jeweils einem Planungsstab sitzen und vor Ort Gespräche mit den Mitarbeitern und Anstaltsleitern koordinieren und beeinflussen. Das bedeutet, daß sie die Verantwortung für die Justizreformen mittragen und gleichzeitig als Bindeglied zwischen Anstalten und Senatsverwaltung fungieren. Besonders wichtig ist, daß die rot-grünen Vorgaben von den Planungsstäben nicht zur Disposition gestellt werden dürfen.
Im Mai hat Justizsenatorin Limbach im Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses angekündigt, daß eine sogenannte große Planungsgruppe sich mit der allgemeinen Umstrukturierung des Strafvollzugs befassen soll. Was ist daraus geworden?
Die gibt es nicht. Dafür hat die Senatsverwaltung für Justiz ein Konferenzsystem in allen Berliner Vollzugsanstalten installiert, mit der Maßgabe, innerhalb eines Jahres zu Ergebnissen zu kommen. Es handelt sich um sogenannte Organisationskonferenzen, an denen die Mitarbeiter der jeweiligen Haftanstalten, aber keine Vertreter der Leitungsebene beteiligt sind. Die Mitarbeiter der Organisationskonferenz sollen laut Senatsvorgabe von Zeit zu Zeit mit den Insassenvertretungen zu einem Gedankenaustausch zusammenkommen. Aufgegeben wurde den Organisationskonferenzen, nach vier Monaten ihre Arbeit beendet zu haben, sprich: dann ihre Berichte vorzulegen. Anfang nächsten Jahres sollen Koordinationskonferenzen eingesetzt werden. Wie die zusammengesetzt werden sollen, hat uns die Senatsverwaltung noch nicht mitgeteilt. Dann wird es wiederum weitere Monate der Beratungen geben, und Mitte nächsten Jahres sollen dann die ersten Entscheidungen fallen. Dies halte ich nicht für richtig und für angemessen. Meines Erachtens müssen in diesem Jahr erste Schritte durch Entscheidungen deutlich werden.
Welche Reformen hätten bereits erfolgt sein müssen?
Die Sicherheitsgruppe in Tegel müßte meines Erachtens sofort aufgelöst werden, das ist eine Forderung, für deren Umsetzung ich keine große Planungsgruppe und auch keine Konferenzen brauche. In Moabit muß das Beratungssystem für Untersuchungsgefangene relativ schnell eingerichtet werden. Das heißt, daß hauptamtliche Mitarbeiter für U-Häftlinge zur Verfügung stehen. Wir haben in vielen Bereichen ein Zuviel an Fachpersonal, insbesondere in der Jugendstrafanstalt und Vollzugsanstalt für Frauen. Die Suizidproblematik in der U -Haft ist allgemein bekannt, hier müßten sofort Dinge auf die Schiene gebracht werden. Der offene Vollzug bei den Jugendlichen und Frauen müßte ganz schnell realisiert werden. Es ist nicht hinzunehmen, daß es dort durch diese Konferenzen keine strukturellen Veränderungen gibt. Auch die Änderungen der Ausführungsvorschriften zum Urlaub und zu den Insassenvertretungen könnten realtiv schnell gemacht werden. Ich finde, es sollte in jeder Anstalt eine Gesamtinsassenvertretung geben. Das würde deutlich machen, daß man es ernst meint mit der Umsetzung.
Glauben Sie, daß der Justizsenat die Koalitionsvereinbarung überhaupt umsetzen kann, wenn er so weitermacht wie bisher?
Das hängt davon ab. Bislang haben die Parteien - daß heißt einerseits die Abgeordentenhausfraktionen von AL und SPD, aber auch die jeweiligen Parteigremien - die Regierungsarbeit solidarisch begleitet. Ich meine aber, die Schonzeit ist eigentlich vorbei. Es wird zu überlegen sein, ob nicht andere Formen der Auseinandersetzung gefunden und auch Druck ausgeübt werden muß, damit etwas passiert. Wir können nicht länger warten, da die Resignation nicht nur bei den Insassen zu beobachten ist. Ich kann das auch für viele Leute sagen, die in unserer Partei sind und Mitarbeiter in den Strafanstalten: Die Frustration aber auch das Sichlächerlichmachen beim Vertreten von rot-grünen Positionen wird immer gravierender. Gerade bei den Mitarbeiter vertun wir eine große Chance.
Was ist Ihre Prognose, wenn der Senat in der nächsten Zeit nichts verändert?
Dann wird es eine andere Gangart in der Auseinandersetzung mit der politischen Spitze und der Verwaltung geben. Das heißt, es wird eine härtere Auseinandersetzung im Rechtsausschuß geben, es wird eventuell mehr Anfragen im parlamentarischen Bereich geben, was wir bisher vermieden haben, weil wir dachten, daß wir das in Gesprächen klären können. Und ich habe die große Sorge, daß auch bei den Insassen das Klima umkippt und wir wieder riesige Probleme mit Gefangenengruppen bekommen können.
Interview: plu
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