: Der leere Bahnhof der Revolution
■ „Danton“ stirbt in Hamburg. Regie Ruth Berghaus
In keinem Spielplan der bundesdeutschen Bühnen darf es in diesem Jahr fehlen: das Revolutionsspektakel oder zumindest „Danton Tod“. Nun also, am 30. September, lieferte das Thalia-Theater in Hamburg seinen Beitrag ab: den „Danton“ in der Inszenierung von Ruth Berghaus, im Bühnenbild von Erich Wonder, mit der Musik von Heiner Goebbels.
Kein Fetzen Tuch in blau-weiß-rot, keine roten Mützen mit der Kokarde, der Abend kommt ohne Folklore aus und ohne Requisiten. Die Szene: eine leere Fabrikhalle oder auch ein verlassener Bahnhof. Geleise führen, durch einen Prospekt ins Unendliche verlängert, in einen fernen Ausgang. Im Vordergrund eine große Grube, wie man sie zum Ölablassen oder für Reparaturen benötigt. Seitwärts gähnt ein Blechtrichter, durch den vor langer Zeit Sand in die Halle transportiert wurde.
Wenn hier einmal die Lokomotiven der Weltrevolution standen, dann sind sie längst abgefahren. Zurückgeblieben ist eine Gruppe von Jugendlichen, nervös und von brillanter Intelligenz. Sie haben sich, so scheint es, verabredet, einen Text zu memorieren, der von heroischen Zeiten handelt. Das Textbuch der jungen Leute mit den berühmten französischen Namen handelt nicht von einer Revolution, sondern von allen. Sie könnten auch heißen Trotzki, Stalin, Pol Pot, Castro, Mao Tse-tung.
Büchner wurde beim Studium der französischen Revolution zum Pessimisten. Die Inszenierung nimmt diese Position ernst und radikalisiert sie. Die Revolutionäre sind Marionetten, immer zappelnd, immer in Bewegung. Wenn Herault das Modell einer republikanischen Verfassung entwirft, liegt er auf dem Rücken und pumpt sich in seine Rede wie ein Maikäfer. Danton holt sich das Stakkato seiner Zynismen oder die Atemlosigkeit, indem er Halle und Grube durchrennt. Robespierre balanciert mit seinen messerscharfen Sätzen auf den Geleisen wie auf einer unendlichen Geraden, immer in Gefahr abzustürzen. Sprache und Gedanken entstehen in der Bewegung (der körperlichen wie der sozialen) - wenn sie endet, liegen die Akteure auf dem Boden wie fallengelassene Puppen.
Die unsichtbare Hand, die sie hält oder fallenläßt, ist die volonte generale, der allgemeine Volkswille, das Ziel der Revolution. Danton und Robespierre sind dicht aneinandergerückt. Sie kommen daher als Freunde, Revolutionskameraden, Genossen. Was sie trennt, ist die Art und Weise, wie sie das Auseinanderklaffen von volonte generale und individuellen Neigungen kaschieren.
Danton lebt sie und steht zu ihm. Robespierre - als öffentliche Person - negiert sie, aber vor sich selbst kann er den Riß zwischen Macht- und Selbstliebe und der öffentlich propagierten Tugendhaftigkeit und revolutionären Strenge nicht mehr zudecken. Der Riß bedeutet schon sein eigenes Ende und das der Revolution.
Die muß auch aus anderen Gründen scheitern: während die Protagonisten die Gewalt noch zu legitimieren versuchen, verzichten die Büttel der Revolution auf jede Begründung. Bei ihnen erscheint sie nur noch als gefühllose Gemeinheit und sadistische Quälerei. Die Gewalt, daran läßt die Berghaus keinen Zweifel, hat die Maximen der Aufklärung überholt und gefangengesetzt. Das Volk weiß das und verdrückt sich, wenn die Heroen reden, in die Kulissen. Diesen Reden, das haben die verängstigten Citoyens längst begriffen, folgt immer das Fallbeil. In dieser Inszenierung kommt deshalb das Volk als revolutionäre Masse und Motor der Geschichte nicht vor, bestenfalls als Opfer, als Teig, als Stoff. Nur einmal, für einen Augenblick, gibt es noch die Übereinstimmung, die unserem herkömmlichen Bild von der Großen Revolution entspricht: da stimmen die fünf oder sechs traurigen Figuren, die Volk darzustellen haben, summend die Marseillaise an, während St. Just sich in Rage redet. Aber ist wirklich die Revolution das Gemeinsame, das da Volk und Führer verbindet, oder ist es nicht die Angst, die hier beide die Lippen spitzen läßt?
Es muß eine Bemerkung zur Musik gemacht werden. Wie Heiner Goebbels (Mitarbeit Ernst Bechert) durch sparsame Andeutung Personen charakterisiert oder einzelnen Sätzen eine historische Tiefenschärfe verleiht, wie er die Szenen ins Filmische verflüssigt oder zur Oper der großen Gefühle aufreißt, wie er mit unterschiedlichen Stilelementen spielt
-mit Orgel und Gewehrfeuer, einer Sonate und den puren Geräuschen von Holz und Metall - das ist schon eine neue Dimension von Theatermusik, fast schon Musik-Theater.
Der Inszenierung gelingt es nicht ganz, den Bogen dieser kristallklaren und zugleich sinnlichen Reflexion bis zum Schluß durchzuhalten. Gegen Ende mehren sich die bedeutungsvollen Bilder: ein Steinschlag geht über der Bühne nieder und macht sie zum Trümmerfeld. Die im Tod erstarrten Dantonisten nehmen die Hand vor den Mund, als die Wache ruft. Leichentücher nehmen überhand, die andächtig zelebrierte Beerdigung verdrängt die Vivisektion. Das Pathos kehrt zurück und mit ihm das Theater. Für Momente. Ansonsten ein grandioser Abend. Eine böse Lektion: die Helden der Revolution im leeren Bahnhof der Geschichte, ohne Kostüm und Maske.
Hannes Heer
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