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„Uns sind die Städte viel zu grün“

Prozeß gegen Dortmunder Graffitti-Stars / Jugendarrest und Geldstrafen für die nächtliche Verschönerung von Eisenbahnwaggons, Mauern und Straßenbahnen / Graffitti-Idole sollen 200.000 Mark Schaden verursacht haben  ■  Aus Dortmund Petra Höfer

„Wissen Sie“, erklärt einer der Angeklagten im Saal 222 des Dortmunder Amtsgerichts, „'Shark‘ - das ist mehr so ein Allerweltsname“. In Paris gebe es schließlich einen, in Kopenhagen auch. Im Prinzip könne jeder die fünf Buchstaben auf die Triebwagen gesprüht haben, die in Gelsenkirchen -Bismarck einfach auf dem Abstellgleis herumstanden. Nicht jedes x-beliebige „Shark„-Bild sei automatisch sein Werk.

Der überregional bekannte Dortmunder „Haifisch der Sprühdose“, ein 19jähriger Abiturient mit dem Durchschnittsphantasienamen „Shark“, saß seit dem 25.September wieder einmal vor dem Jugendschöffengericht in Dortmund, diesmal gemeinsam mit zwei Sprüherkollegen, die die elegant-untergründigen Graffitti-Pseudonyme „Chintz“ und „Chana“ bevorzugen: drei Stars der örtlichen Graffitti-Szene auf der Anklagebank.

Jugendrichter Karlheinz Uebing kämpfte sich vier Verhandlungstage lang durch ein tückisches Dickicht von Graffitti-Amerikanismen und Versatzstücken einer von „der Bewegung“ aus New York abgekupferten Geheimterminologie wie Bronx-writer (Sprüher) zum Beispiel, pieces (große Sprühbilder), tags (kleine, flinke Signaturen) oder auch getting fame. „Berühmt zu werden“, heißt es dazu im Dortmunder Sprühkunstheft 'Da kukse wa‘ (Tapir-Verlag), „das ist der einzige Sinn von Graffitti. Daß keiner vorbeikommt, ohne deinen Namen zu lesen.“ Der ganze „Sozialkram“, der nicht nur vor Gericht als Verteidigung vorgebracht wird, -Graffitti als Protest gegen Betongrau und seelenlose Hochhausstädte- ist den Künstlern eher peinlich. Shark: „Uns ist die Stadt zu grün. Es gibt noch zuwenig Mauern“ - und zuviele Strafanzeigen.

Richter Uebing kämpfte dementsprechend auch mit einem eindrucksvollen Aktenberg. Die penible Anklageschrift von Staatsanwalt Nix umfaßte 15 Punkte, darunter vor allem einfache Sachbeschädigung, Körperverletzung und Diebstahl von Lacksprühdosen (racking). Zwei Verhandlungstage lang wurde mehr oder weniger virtuos geblättert. Seit Montag ist das Verfahren etwas übersichtlicher: Der Fall „Chana“ wurde vom Gemeinschaftsprozeß abgetrennt, weil gegen ihn bereits ein anderes Verfahren läuft; der 19jährige Abiturient mit dem Allerweltsnamen „Shark“ kam inzwischen mit „jugendrichterlichen Maßnahmen“ in Form von vier Wochen Jugendarrest und 80 Arbeitsstunden davon.

Am Mittwoch saß „Chintz“ deshalb plötzlich ganz allein auf der Anklagebank. Ursprünglich hatte man den bislang aufsehenerregendsten Dortmunder Sprayer-Prozeß mit vier Angeklagten begonnen. Der kleinste Sprühfisch war gleich am ersten Tag mit 250 Mark Geldbuße und Ermahnung entlassen worden. Doch trotz des nicht zu übersehenden Schwunds an Beschuldigten defilierte eine im Dortmunder Amtsgericht bisher selten gesehene Schar von Zeugen durch den Saal 222 unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Richter Uebing nämlich hatte schon am ersten Verhandlungstag „aus erzieherischen Gründen“ nur noch Vertreter der Presse zugelassen - auf Antrag des Staatsanwalts, dem sofort aufgefallen war, daß die Beschuldigten schon im Vorfeld des Prozesses ganz unangemessen zu „Kultfiguren der Szene“ avancierten.

Fortan zog der Zeugenreigen also nicht öffentlich durch Saal 222: Babus (Bahnbullen) aus den „Sonderkommissionen Graffitti“ in Köln und Essen etwa, Oberschüler - von betrunkenen Sprühkünstlern in der Straßenbahn belästigt, Hiphop-Kids und renitent dreinschauende toy-boys (Graffitti-Anfänger), die sich vor allem „an gar nichts“ erinnern konnten. Denn: Die 18- bis 20jährigen writer Chintz, Shark und Chana sind die strahlenden Helden des Dortmunder Graffitti-Nachwuchses. Chintz etwa kennen sie als king of the city, als Sprüh-König.

An den grellbunten Chintz-, Shark- und Chana-Bildern scheuern Hausmeister und Putzkolonnen im Kampf gegen „Schmierer“ schließlich seit Jahren herum. Allein die Bundesbahn veranschlagt für die Reinigung ihrer Züge und Bahnhofsanlagen mittlerweile bundesweit einen Jahresetat von fünf bis sieben Millionen Mark. Die Dortmunder Stadtwerke ließen 1987/88 für eine Million Mark putzen, neulackieren und zerkratzte Fenster und beschmierte Sitze erneuern.

Die Zahlen aber sind, gerade was die Reinigungskosten anbelangt, umstritten. Für zwölf Quadratmeter „Chintz“ auf einer Düsseldorfer Schallschutzmauer wurde im Dortmunder Prozeß ein Schaden von 500 Mark (40 DM/qm) in Rechnung gestellt. Für die Reinigung zugesprühter Trieb- oder S -Bahnwagen werden allerdings unterschiedliche Summen gehandelt: zwischen 2.447 Mark (Neulackierung in München), 4.800 Mark (Gelsenkirchen) und 96.000 Mark (Frankfurt/DB -Studie).

Im Dortmunder Prozeß ging es insgesamt um mindestens „200.000 Mark Schadensersatz“, schätzt einer der Angeklagten. Dabei beschert der Dortmund Style (örtlicher Sprühstil; Kennzeichen: vor allem groß, ausgemalte Buchstaben) der Ruhrpott-Provinz überregionale Reputation nicht nur in Sprayer-Kreisen. Verlegerin, Theaterleute und fahrradfahrende Hausfrauen begleiten das als Schauprozeß beargwöhnte Verfahren dementsprechend voll Stolz auf die nachtaktiven Sprayer-Kids mit abendlichen Solidaritätsveranstaltungen im Stadttheater (vor der Premiere von Barbaren) und Fotoausstellungen. Ein Teil der Ausstellungsstücke aber soll bereits vor Eröffnung verwendet worden sein. Wertanlage Graffitti? Für ein Original des legendären New Yorker writers „Zorro“ - auf Leinwand und Karton - werden längst fünfstellige Summen hingeblättert.

Der heute 20jährige Chintz, dessen blackbook (Skizzen und Fotoalbum als Leistungsnachweis des Sprühers) Anfang des Jahres bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt und als Beweismittel für Chintz-pieces in Bad Homburg, Düsseldorf und München herangezogen wurde, gehört immerhin bereits zur deutschen Sprüh-Elite. „Um gut zu sein“, sagt er, „brauchst du zehn Jahre. Dafür mußt du fast alles in Kauf nehmen.“ Graffitti als Lebensstil? Shark: „Graffitti das heißt draußen. Eins der letzten Abenteuer. Die Jungs in Hiphop-Kluft mit Mercedes-Stern - das sind alles Pfeifen, Imitatoren. Die kaufen halt, was auf den neuesten Plattencovern ist. Und tragen die Turnschuh‘ offen. In zu großen Schuhen kann man aber nicht weglaufen.“

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