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1.000 Joint-ventures folgten Lurchi, dem Pionier

Deutsch-sowjetisches Seminar: UdSSR verbessert ständig Bedingungen für west-östliche Firmen-Kooperationen / Investitionsschutzabkommen war entscheidender Schritt  ■  Von Thomas Moser

Einst war es ein englisches Zauberwort, das sowjetische Minister und Wirtschaftsplaner, wo immer sie auch mit westlichen Unternehmern verhandelten, stets einfließen ließen. Mittlerweile entwickelt sich die Anzahl von „Joint -ventures“ explosionsartig. In Osteuropa im allgemeinen und in der Sowjetunion im besonderen.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für hiesige Firmen wurde während Gorbatschows Besuch in der Bundesrepublik geschaffen: Das Abkommen über den Schutz kapitalistischer Investitionen in der Sowjetunion. Es sichert das westliche Kapital vor Enteignung und garantiert die Rückführung von Gewinnen in den Westen. In den 21 Monaten vor diesem Vertrag hatten sich gerade mal knapp 70 Firmen ein Joint-venture in der UdSSR zugetraut.

Das Abkommen gilt auch für sowjetische Investitionen in der BRD, und inzwischen gibt es tatsächlich ein paar Joint -ventures, die ihren Sitz hier haben, beispielsweise der Greno-Verlag in Nördlingen. Bei einer eher minimalen Zahl von Beschäftigten und einem eher geringen Enteigungsrisiko dürfte die Bedeutung des Abkommens hier eher untergeordnet sein.

Schon vor dem Investitionsschutzabkommen war die sowjetische Gesetzgebung den westlichen Unternehmerinteressen mehrmals entgegengekommen. So werden Joint-ventures zwei Jahre lang von der Gewinnsteuer befreit. Seit dem 1. Mai 1988 gelten für die Unternehmer besondere Visa-Bestimmungen; sie bekommen das Visum innerhalb von 48 Stunden und können beispielsweise auch als Touristen Geschäfte in der Sowjetunion tätigen. Ursprünglich lag die Höchstgrenze für westliche Kapitalbeteiligungen bei 49 Prozent, seit Dezember 1988 gibt es keinerlei Beschränkungen mehr. Folgerichtig kann inzwischen der westliche Partner auch den Vorstandsvorsitzenden und den Generaldirektor des Unternehmens stellen. Früher blieb den Westdeutschen lediglich der Technische Leiter des Betriebes. Eingeführte Waren für Joint-ventures unterliegen nur einem geringen Importzoll.

Eine Reihe weiterer Veränderungen sind bereits terminiert: Ab 1. Januar 1990 werden sämtliche Joint-ventures genauso versichert wie das in der BRD der Fall ist, also gegen Feuer, Bruch oder Betriebsunterbrechung. Bisher kannte die Sowjetunion keine eigene industrielle Versicherung, und ab 1.1.1991 soll für außenwirtschaftliche Verrechnungen zu einem neuen Wechselkurs übergegangen werden. Ein Sondergesetz über Aktiengesellschaften wird gerade erarbeitet.

Damit die westlichen Unternehmer ihren sowjetischen Partnern sagen können, was sie von ihnen wollen, wird eine Vielzahl von Zusammenkünften organisiert. Ob während der ersten internationalen Messe für Joint-ventures vom April in Moskau, auf dem bayerisch-sowjetischen Managersymposium kurz vor Gorbatschows Reise oder einem speziellen Seminar wie jenes, das Ende September immerhin etwa 400 Unternehmer zu diesem Zweck in Köln versammelte.

Eines der ersten Joint-ventures schloß vor zwei Jahren der Schuhhersteller Salamander AG. In Leningrad steht das Joint -venture „Lenwest“, entstanden aus dem Zusammenschluß mit dem Betrieb „Proletarskaja Pobeda“, zu deutsch „Proletarischer Sieg“. Das andere steht in Witebsk in Belorussland, heißt „Belwest“ und hat als Partner die Fabrik „Krasny Oktjabr“, zu deutsch „Roter Oktober“. In Lenwest werden jährlich bereits eine Million Paar Schuhe produziert, zwei Millionen sind in jedem der beiden Joint-ventures geplant. Damit nähert sich Salamander UdSSR langsam, aber sicher der Hälfte ihrer gesamten Schuhproduktion.

Die Salamander-Joint-ventures besitzen inzwischen eigene Verkaufsstellen in der UdSSR. An der Fassade des Leningrader Schuhgeschäftes prangt nicht nur der „Lurcho“, das gemeinsame Markenzeichen von Lenwest, sondern sogar der Schriftzug „Salamander“.

Lohn-Klassengesellschaft

Dieses und mindestens nächstes Jahr jedoch soll ein Großteil der Schuhe nach Westeuropa exportiert werden. Bei Salamander betrachtet man das als zweifachen volkswirtschaftlichen Unsinn, weil erstens in der Sowjetunion Schuhe gebraucht werden und es obendrein in Westeuropa genug gibt; aber auf diesem Wege sollen Devisen fürs Joint-venture beschafft werden. Die bereits laufenden Joint-ventures - das sind ungefähr ein Viertel der beim sowjetischen Finanzministerium angemeldeten - eröffnen hin und wieder noch einen anderen Blick: den auf die real existierenden Arbeitsbedingungen nämlich. Die Düsseldorfer Schiess AG, die Maschinen baut, bezahlt den Arbeitern in ihrem Krasnodarer Joint-venture zwei Klassen von Löhnen. Die Deutschen dort, kanpp zehn Prozent aller Beschäftigten, bekommen westliche, höhere Löhne als ihre einheimischen Kollegen. Denen gegenüber wird das freilich verschwiegen - „das würde sonst einen Mordsaufruhr verursachen!“, heißt es bei Salamander. Die Bavaria Brauerei aus St. Pauli hat Sorgen mit der Fluktuation des Personals in ihrem Leningrader Restaurant. Ihr Rezept gegen so viel Illoyalität: „Wir stellen mehr ein, als wir brauchen, und suchen uns dann die Besten aus.“

Noch etwas anderes ist für die Joint-venture-Betreiber kein öffentliches Thema: der Abbau von Arbeitsplätzen im Westen als Folge des Aufbaus gemeinsamer Unternehmer. Salamander Leningrad will seine Belegschaft auf etwa 1.500 Personen ausbauen. Bei Salamander Kornwestheim geht die Beschäftigtenzahl seit Jahren dagegen um etwa zehn Prozent jährlich zurück. Mitte des Jahres machte beispielsweise das Werk Osterburken dicht. Knapp 200 Männer und Frauen wurden entlassen. Mannesmann schließt im Ruhrgebiet Stahlwerke und gründet in Tiflis ein Joint-venture.

Die Probleme, die die Unternehmer auf dem Kölner Seminar diskutierten, waren anderer Art: Wenn die Steuerferien nach zwei Jahren vorbei seien und man die Gewinne in den Westen transferieren wolle, muß das Joint-venture insgesamt 44 Prozent Steuern bezahlen. Zu viel, wie die Commerzbank ausgerechnet hat. Oder: Mit der Verordnung vom März 1989 hat der Ministerrat der UdSSR die Gründung von Joint-ventures auf dem Gebiet der Versicherung ausgeschlossen. Aber das sei doch ein für sie wichtiger Wirtschaftsbereich, so die Colonia-Versicherung. Sie will nicht lockerlassen und verhandelt weiter. Mehr Sonderwirtschaftszonen, bessere Bewegungsfreiheit der Manager, Behebung der Mängel in der Zulieferung, bei Konflikten Zulassung von Schiedsrichtern auch aus dem Westen, das sind die Wünsche.

Klagekatalog erwünscht

Die sowjetische Seite scheint keine Forderungen an Joint -ventures zu stellen. Auf dem Kölner Seminar wurden von den anwesenden zwei (!) Vertretern zumindest keine geäußert. Im Gegenteil: Sie machten den Unternehmern den Vorschlag, doch einen Katalog mit Problemen und Forderungen aufzustellen, die dann nach und nach angegangen werden können.

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