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„Für die Nachbarn sind wir alle Drogenhändler“

■ Seit rund um den Liegnitzplatz der Rauschgifthandel blüht, nützt es Türken und Kurden auch nichts mehr, wenn sie seit 15 Jahren hier wohnen

„Ein ganz, ganz ernstes Problem sprechen Sie da an“, sagt Hans-Peter Mester, stellvertretender Leiter des Ortsamts Walle Gröpelingen, und ergänzt: „Ich möchte nicht das Ergebnis sehen, wenn hier am nächsten Sonntag Wahlen wären. Die Leute sind hin-und hergerissen zwischen Empörung und Resignation.“ Von „latenten Bürgerwehr-Absichten“ hat Mester inzwischen gerüchteweise gehört. Andere, so Mester, wollen endgültig wegziehen. Gerade die ganz alt Eingesessenen.

Beide, Wütende wie Resignierte, treibt ein „neues Symptom um, das einem ohnehin schon kranken Stadtteil nun den Rest zu geben droht“, wie es der Gröpelinger Gemeindepastor ausdrückt: Der Liegnitzplatz, nur einen Steinwurf vom ehemaligen Werftgelände der AG Weser entfernt, entwickelt sich derzeit zu Bremens erster Adresse im Drogen-Geschäft.

Gepflegte zweigeschossige Einfamilienhäuschen, blitzblank geputzte Miniaturen des Bremer Bürgerhauses, Vorgärtchen mit Skin-head-Schnitt. Dorfplatzi

dylle. Eine paar türkische Jugendliche vertreiben sich die dämmernd schläfrige Nachmittagszeit bis zum Fußballtraining. Fremde fallen hier auf, sorgen einen Moment für Abwechslung. Wer neugierig vor dem türkischen Im- und Exportgeschäft mit den Nippesfiguren im Schaufenster stehenbleibt, sorgt für Gesprächsstoff: „Suchen Sie was?“

Ob jemand was von Drogenhandel mitbekommen hat in den letzten Wochen? Die kleine Gruppe grinst verlegen. „Hier wissen alle Bescheid. Wer hier nichts mitbekommt, muß blind sein! Am Anfang, ja, da mußte man noch genau hingucken, um von dem schnellen Deal etwas mitzubekommen. Inzwischen kümmert es die Dealer überhaupt nicht mehr, ob jemand zuguckt oder nicht. Sie müssen sich nur umdrehen, dann sehen Sie, wie das Geschäft läuft.“

Also drehe ich mich um und sehe - nichts. „Sehen Sie die beiden? “ Einer der Jugendlichen weist mit einem Kopfnicken auf die gegenüberliegende Straßenseite. Zwei junge Männer schlen

dern vor einer Kneipe auf und ab. „Der eine wird jetzt gleich verschwinden. Wenn er dann gleich wieder auftaucht, wird er den anderen begrüßen, als sähe er einen alten Kumpel heut zum ersten Mal. Ein Handschlag. Die Sache ist erledigt.“

Die jungen Türken erklären, gelangweilt und ein wenig verbittert: „Na klar, ist das Scheiße hier. Wir leben hier seit 15 Jahren und hatten nie Ärger! Seitdem das mit den Drogen losgegangen ist, traut hier keiner mehr keinem. Wenn Du abends zum Training gehst, mußt Du vorher gucken, ob Du Deinen Ausweis eingesteckt hast. Neulich hat mich ein Polizeibeamter auf dem Rückweg gefragt, was ich auf der Straße zu suchen habe. Als ich ihm die Wahrheit sagte, mußte ich mit zur Wache. Für die Polizei und die Nachbarn sind wir inzwischen alle Drogenhändler.“

Daß im Lindenhofviertel auch junge Türken und Kurden inzwischen mit Stoff handeln, will P., Fernsehtechnikermeister und Kurde mit persischen Vorfahren, der sich am Liegnitzplatz gerade

eine kleine Reparaturwerkstatt einrichtet, nicht ausschließen: „Was sollen die jungen Leute auch machen, wenn sie hierherkommen und einen Asylantrag stellen. Betreut werden sie nicht, arbeiten dürfen sie nicht, Deutsch können sie oft nicht. Aber leben müssen sie auch. Es ist bestimmt keine Kunst für Drogenhändler, diese Kinder für ein paar Mark mit ein paar Gramm auf die Straße zu schicken. Aber das große Geschäft, die Organsiation - das machen andere.“

Wer? Jeder glaubt es zu wissen, alle wissen etwas anderes. Die Spekulationen rund um den Platz über die Hintermänner schießen ins Kraut. Für die einen sind es die Grauen Wölfe, für andere die PKK, einige glauben, die Grünen könnten dahinterstecken, andere vermuten in der Mafia die Drahtzieher.

Großangelegte Polizeiaktionen in der Nachbarschaft - erst am letzten Dienstag durchsuchte die Bremer Polizei 16 Häuser und nahm 24 Personen vorübergehend fest - hält P. deshalb auch für „großes Balla, Balla“. Hektische Eigenwerbung, die Aktivität nur vortäuscht, aber wirkliche Ausländerfeindlichkeit schürt. Das Ergebnis der Razzia scheint P. recht zu geben: Noch am selben Tag wurden alle angeblich Verdächtigen wieder frei gelassen. So oder so. Daß die Polizei wirklich helfen kann, glaubt P. ohnehin nicht. Er würde gerne einen Fernseh-Reparaturkurs für die arbeitslosen Jugendlichen

rund um den Liegnitzplatz anbieten. „Damit die nachmittags was Sinnvolles zu tun haben. Ich werde mal bei der Volkshochschule anfragen.“

Rund um den Platz kennt man alle, denen die Polizei am Dienstag im Morgengrauen die Türen eingetreten hat, weiß, daß auch hochschwangere Frauen aus den Betten gerissen und mitgenommen wurden, daß es den Imbißbesitzer erwischt hat, dessen Tageseinnahme der Polizei verdächtig erschien.

„Die Polizei pennt. Wir kennen hier alle die wirklichen Dealer. Wir wissen genau, wer hier seit einem Vierteljahr regelmäßig auftaucht,“ sagt ein türkischer Gemüsehändler bitter. „Aber ich bin kein Polizeibeamter, und selbst wenn, können Sie mir garantieren, daß ich morgen noch lebe, wenn ich Ihnen die wirklichen Dealer verrate?“ „Ganz falsch“, schmunzelt ein anderer, „lagen die Beamten nicht. In einem der durchsuchten Häuser wohnten ein paar Dealer im Keller. Die waren ein paar Tage vor der Razzia ausgezogen.“

Auch bei den deutschen Anwohnern hat das Vertrauen in die Polizei inzwischen heftig gelitten. „Die bräuchten bloß mal in die Gärten zu gucken, da könnten Sie zusehen, wie der Stoff vergraben und die Geschäfte abgewickelt werden. Die Anwohner wollen hier alle schon den Fernseher abmelden. Der Blick aus dem Fenster ist eh viel spannender,“ erzählt die Verkäuferin in dem

Lebensmittelgeschäft an der Ecke mit gequältem Humor. Ihrer Tochter hat sie inzwischen verboten, auf den Spielplatz an der Liegnitz-Straße zu gehen.

„Irgendwie müssen wir's diesen Kriminellen hier doch ungemütlich machen.“ Seit 20 Jahren lebt Karl-Heinz K. in Gröpelingen. Ob er, als Immobilienmakler und alter Gröpelinger, heute noch einmal ein Haus im Lindenhof-Viertel kaufen würde? „Die Preise sind zwar absolut im Keller. Aber, ehrlich gesagt, nein.“

K.S.

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