Urlaub für eine Insel

■ Disco-Rummel und Schicki-Micki-Promenade, Braten am Strand und Trinken bei Nacht: Der Sommer auf Ibiza ist weder für Touristen noch für Einheimische erholsam. Im Winter jedoch die Mittelmeerinsel zu ihrem...

Urlaub für eine Insel

Disco-Rummel und Schicki-Micki-Promenade, Braten am Strand und Trinken bei Nacht: Der Sommer auf Ibiza ist weder für Touristen noch für Einheimische erholsam. Im Winter jedoch findet die Mittelmeerinsel zu ihrem eigenen Rhythmus zurück und erholt sich von der Strapazen des Massentourismus.

CONSTANZE SUHR weiß den Winter auf Ibiza zu schätzen.

biza erholt sich. Die letzten roten Schenkel haben sich in die Chartermaschine geschoben, das sexy Flittermäuschen ist hinter die Schreibmaschine zurückgekehrt, und der gebräunte Supermann sieht zu Hause wieder blaß aus. Nach rauschenden Festnächten haben sich die großen Diskotheken der sündigen Baleareninsel Ibiza von der Glitzerszene verabschiedet. Keine „Miss Wet-Shirt“ wird mehr gekürt, und „Mister Tanga“ ist nicht mehr gefragt.

Ibiza ist wieder langsamer geworden. Wer sich von der exzentrischen Zurschaustellung, die das weiße Eiland in den siebziger Jahren so berühmt gemacht hat, distanzieren wollte, darf sich nun wieder unbeachtet durch die engen Gassen der Altstadt zwängen. Die Szenekneipe in D'Alt Villa, der auf dem Berg gelegenen Altstadt, ist immer noch gut besucht. Im Gegensatz zur aggressiven und aufgewühlten Sommerstimmung ist die Atmosphäre diesmal angenehm. Zwischen elf und zwei Uhr nachts versammelt sich hier ein Großteil von denen, die entweder aus Überzeugung auf der Insel überwintern oder das Fahrgeld nicht zusammenbekommen haben. Ende Oktober erlebt die Bar mit dem unaussprechlichen baskischen Namen noch einmal einen Boom. Schiffsladungen von Formenterensern haben sich über Ibizas Hafen ergossen, und alle wollen noch einmal auf der Nachbarinsel einkehren, bevor es weiter nach Barcelona geht. Viele bleiben über Winter auf dem spanischen Festland oder fahren nach Deutschland, weil „auf Formentera ja nichts mehr los ist“. Wer im Sommer genug Geld zusammengespart hat, steigt in die Maschine nach Brasilien, der neue Renner.

biza atmet auf. Der Winter ist dazu da, sich abends gemütlich an den Kamin zu setzen, Wein zu trinken und sich frühzeitig schlafen zu legen, denn das Leben spielt sich nun wieder tagsüber ab.

Die weihnachtliche Betriebsamkeit, die in den westeuropäischen Städten den Dezember unerträglich werden läßt, ist hier nicht zu spüren. Auf den Pityusen (Ibiza und Formentera) findet das wichtige Ereignis sowieso erst Anfang Januar statt, am Tag der Heiligen Drei Könige. So wie in Deutschland die Wunschzettel an den Weihnachtsmann verfaßt werden, kritzeln die ibizenkischen Minis ihre Zeilen an „los Reyes Magos“. Der deutsche Einfluß ist allerdings nicht zu übersehen. Beim deutschen Metzger in Santa Eulalia steht der Weihnachtsmann und verteilt Bonbons an die Kinder - einer der wenigen Jobs, die um diese Zeit zu finden sind. Und in San Agustin, der Hochburg der Deutschen auf Ibiza, sind geschmückte Weihnachtsbäume aufgestellt.

Das „Pacha“, die große Diskothek am Hafen Ibizas, öffnet seine Tore vor Weihnachten wieder, und zur Silvesterparty finden sich viele Residenten dort ein, die den Jahreswechsel rauschend feiern wollen, aber nicht genug Gäste zusammentrommeln konnten. Um diese Jahreszeit trauen sich dann auch die auf die Tanzfläche, die während der Saison lieber auf das Gefühl, zum alten Eisen zu gehören, verzichten. Am Sonntagnachmittag ist dann allerdings Vorsicht geboten, der ist nämlich im Winter den Jugendlichen gewidmet.

er Januar ist auf Ibiza der kälteste, aber schönste Monat. Die Mandelbäume tragen bereits ihre weißen Blüten vorsichtig in die kühle, klare Luft, während die Orangen noch dick gepolstert an den Ästen hängen. Überall blüht lilafarbenes Heidekraut, die Sträucher sind sattgrün, und der Boden hebt sich dunkelrot ab. Bei den Spaziergängen über die Landwege ruckelt manchmal ein klapperndes Fuhrwerk vorbei und hinterläßt einen warmen, dicken Pferdegeruch. Beim Anblick dieser anachronistischen Fahrzeuge glaubt niemand, daß es einige Kilometer entfernt Riesendiskotheken wie „Ku“ und „Amnesia“ gibt.

Für viele ist aber auch der Januar der härteste Monat. Wenn das Ersparte langsam zur Neige geht, müssen noch die Wochen bis zum ersten Ostertourismus überstanden werden. Vielleicht klappt es in dieser Saison. Die Träume, die von manchen gehegt werden, schäumen besonders im Winter. Carlos zum Beispiel hat diesmal wieder etwas ganz Besonderes entwickelt. Er wird Mobiles bauen und will damit innerhalb von drei Jahren soviel Geld verdienen, daß er sich ein kleines Segelschiff kaufen kann, mit dem er um die Welt segeln möchte. Dann braucht er nicht mehr zu arbeiten. Wenn er dann aus Indien zurückkommt, wird er Ware mitbringen, die er am nächsten Ankerplatz verkauft. Im Laufe des Abends wird der Plan fürs Erste beiseite geschoben. Es geht darum, den nächsten Tag zu überstehen. Das Leben ist hart hier im Winter, aber im nächsten Jahr wird er genug Geld haben...

ie Bars in Santa Gertrudis sind im Winter gut besucht. Residenten und Ibizenkos versammeln sich bei „Costa“ vor dem Kamin und trinken Cafe-Cognac, Vino, Cerveza, oder was auch immer von innen wärmt. Seit Jahren schwärmen schon die Ibizenkos sonntags in das Zentrum des kleinen Örtchens, das bisher noch vom Massentourismus verschont geblieben war. Die Touristen bevorzugten den Strand. Doch auch hier soll Großes gebaut werden. Der allmächtige Abel Matutes plant bereits eine riesige Apartmentanlage...

San Antonio, Ibizas zweitgrößter Ort, wirkt im Winter wie ausgestorben. Wo sich sonst die Pauschaltouristen tummeln, schwedische Teenies im „Extasis“ sich ihren ersten Rausch antrinken, englische Hooligans randalieren, weil sie das Bier nach zwölf nicht vertragen, und Deutsche, die zu Hause den Mund nicht aufmachen, laut singen, weil der Wein ja nicht nur am Rhein so schön, da streunen jetzt herrenlose Hunde durch die Gassen und suchen nach Abfällen. Vor einigen Bars sitzen Ibizenkos, trinken ein Gläschen und unterhalten sich oder verfolgen das Geschehen auf dem Fernsehbildschirm.

or der Bucht ist bei klarem Wetter die Insel Conejera zu sehen, die die Ibizenkos beharrlich als Geburtsort Hannibals deklarieren. Nach einer Erzählung Georg A. Weths sollen sich dort während der römischen Herrschaft die ersten Christen versammelt haben. Conejera ist eine der zahlreichen Satelliteninseln vor Ibiza, die alle von außerordentlichem ökologischen Wert sind und das Streitobjekt von Umweltschützern und skrupellosen Tourismusmanagern. Noch immer gibt es auf diesen kleinen Landstücken seltene Eidechsenarten, Wasservögel und Pflanzen. Diese letzten noch intakten mediteranen Fleckchen sind in Gefahr, der Spekulationswut privater Landbesitzer zum Opfer zu fallen, die auf diesen Naturschätzen Neubauten für Touristen errichten wollen.

Mitte der achtziger Jahre hat sich eine Handvoll Intellektueller auf Ibiza und Formentera zusammengefunden und die Gruppe GEN gegründet, die seitdem versucht, die Öffentlichkeit durch ihre Publikationen aufzurütteln. Bauprojekte, die gesetzwidrig hochgezogen werden, konnte diese kleine Gruppe jedoch am Ende nicht mehr verhindern. Die Lobby der Bauspekulanten ist zu groß, die Maßnahmen des Staates und der Balearenregierung sind ebenfalls zu schwach. Es fehlen noch immer klare politische Entscheidungen, die ein Programm zur Erhaltung, beziehungsweise Wiederherstellung ökologisch besonders wichtiger Gebiete oder wertvoller Bauten anbieten. Die Gruppe fordert neben dem Drosseln der Bautätigkeit die Reduzierung der Automobile auf der Insel und ein besseres öffentliches Verkehrsnetz. Die vernachlässigte Landwirtschaft soll wieder - mit moderneren Methoden - angekurbelt werden. Ein neues Schlagwort lautet außerdem: „Turismo de calidad“, Qualitätstourismus. Die Kampagnen des staatlichen Fremdenverkehrsbüros sollen sich darauf spezialisieren, die Bräuche, Kultur, Geschichte und Besonderheiten der Pityusen zu propagieren, um ein anderes Verständnis und Verhalten der Urlauber zu fördern.

isher sind die Umweltschützer noch zu schwach, und dazu kommt ein weiteres typisches Problem: Es hat sich eine zweite Gruppe gebildet, nämlich die „Amigos de la Tierra“ von Ibiza, ein Ableger der 1971 in Großbritannien gegründeten „Friends of the Earth“. Zunächst besteht der Kreis hauptsächlich aus englischen Residenten. Der Repräsentant der Pityusen-Organisation, Chris Dews, bestätigt zwar der GEN, daß sie ihr Bestes täte, meint aber, sie hätte als lokale Gruppe nicht genug Kraft. Er zählt auf die Unterstützung der international ausgebauten „Friends of the Earth“.

Wann sich im Land des „manana“ endlich das ökologische Bewußtsein durchsetzt, ist fraglich. Immerhin wurden im März 1988 auf dem Paseo de Vara de Rey in Ibiza-Stadt die ersten ökologischen Tage vom sozialistischen Bürgermeister ausgerufen. Da wurde auch auf Ibiza eine „Schandmauer“, „muro de la vergüenza“, gebaut. Verschiedene Gruppen dokumentierten an Stellwänden die momentane ökologische Situation Ibizas und Formenteras. Gerade noch rechtzeitig vor Saisonbeginn. Denn wenn erst die Animierbrigaden der Diskos durch die Gassen ziehen, dann denkt sicher niemand mehr an diese Probleme. Das Meer ist noch immer so schön klar, der Himmel blau. Und das Trinkwasser haben die Ibizenkos sicher wieder irgendwie heranschaffen können. Dann heißt es feiern, bis der Herbst kommt und alle wieder ein bißchen nachdenken.