: Das Rauschen der Farben
■ Im Lenbachhaus in München ist eine umfassende Retrospektive des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) zu sehen
Der Rhythmus, das Rauschen der Farben, das ist das, was mich immer bannt und beschäftigt.“ Das Dynamit seiner Farben schlägt von allen Seiten auf die winzigen Sinneszellen des Betrachters ein: atemberaubend senden die 350 Bilder und Skulpturen ihre farbintensiven Signale aus, zunächst steht man ihnen machtlos gegenüber.
Folgt man dem Sog dieser Ausstellung, dann geht man Schritt für Schritt den künstlerischen Lebensweg des Müllersohns Karl Schmidt aus Rottluff (bei Chemnitz) nach. Zaghafte Schülerbilder, gemalt wie das 19.Jahrhundert es gerne sah: Landschaftsbilder, brave Aquarelle, wohlgeordnet und statisch in Aufbau und Inhalt. Bis zum Abitur am humanistischen Gymnasium hatte es Schmidt damit bereits zu ersten Ausstellungen gebracht.
Mit 21 Jahren ging er dann 1905 nach Dresden, um an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren. Erich Heckel, der Jugendfreund aus dem literarischen Club „Vulkan“, bringt ihn mit Ernst Ludwig Kirchner und Franz Bleyl zusammen. Am 7. Juni desselben Jahres gründen sie die Künstlergemeinschaft „Brücke“. Den Namen für diese zweite Avantgardebewegung des wilhelminischen Deutschlands (neben dem Blauen Reiter hat er geprägt; Schmidt selbst nennt sich fortan nach seinem Geburtsort Schmidt-Rottluff: „Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit gehen können. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das 'Brücke‘ nennen - das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen. Wovon wir weg mußten, war uns klar wohin wir kommen würden, stand allerdings weniger fest.“ (Erich Heckel)
Den Birkenstämmen von 1905 (erstmals mit Schmidt -Rottluff signiert) sind im ersten Ausstellungsraum, zwischen Schularbeiten, pointillistischen Versuchen und Skizzen zu ersten Holzschnitten, auch erste Ansätze seines eigenwilligen Stils abzulesen: die Farben werden abstrakter, der Pinsel klebt nicht mehr am Detail.
„Die Kunst Schmidt-Rottluffs war in ihrer manchmal erschreckenden und bis zur Härte hin gesteigerten Kompromißlosigkeit niemals darauf aus zu gefallen, dem Betrachter entgegenzukommen oder gar im herkömmlich -ästhetischen Sinne schön und eingängig zu sein“, schreibt Gerhard Wietek in dem vorbildlich ausgearbeiteten Katalog. „Von mir weiß ich, daß ich kein Programm habe, nur die innerliche Sehnsucht, das zu fassen, was ich sehe und fühle und dafür den reinsten Ausdruck zu finden. Ich weiß nur noch, daß das Dinge sind, denen ich mit den Mitteln der Kunst nahekommen kann, aber weder gedanklich noch durch das Wort.“ Das sagt er selbst.
Seine Farben sind transparenter, zarter. Selten sind sie schemenhaft leicht wie die Aquarelle aus der Zeit im Tessin oder Rom (1929/30; eines davon ist offenherzig Für dich gewidmet). Wild und stürmisch ist vielmehr die Grundtendenz, besonders zur Blütezeit der „Brücke“. Für die Künstlergemeinschaft werden neben der Auseinandersetzung mit van Gogh und den Impressionisten auch der Holzschnitt und die Ausdrucksmittel der „Naturvölker“ bedeutend: Während die Künstler des „Blauen Reiter“ in München eher „Transzendentes in Symbolen“ ausdrücken, sind sie zu den „Verkörperungen freier Sinnlichkeit“ ihrer Kollegen in Dresden nie vorgestoßen. Der Holzschnitt trainiert die „Brücke„-Maler in ihren Versuchen, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Die expressiven Symbolfiguren von Naturvölkern zeigen ihnen Wege, solche Charakterlinien in Holz oder Stein zu übertragen.
Schmidt-Rottluff entwickelt sich bis zum Ersten Weltkrieg auch zu einem expressionistischen Bildhauer, manche seiner dreidimensionalen Plastiken erinnern an Ernst Barlach. Er ringt Holz- oder Steinblöcken mit einer Tendenz zum Zweidimensionalen häufig vordergründige Reliefs mit spärlich ausgefüllten Linien ab. Einige der Plastiken sind Reaktionen auf seine Kriegserlebnisse: „Ich habe jetzt sehr den Druck, noch möglichst Starkes zu schaffen, der Krieg hat mir richtig alles Vergangene weggefegt, alles kommt mir matt vor, und ich sehe die Dinge plötzlich in ihrer furchtbaren Gewalt. Ich habe nie die Kunst gemocht, die ein schöner Augenreiz war und sonst nichts - und doch merke ich elementar, daß man zu noch stärkeren Formen greifen muß, so stark, daß sie der Wucht eines solchen Völkerwahnsinns standhalten.“
Dies schrieb er zu Kriegsbeginn, kurz vor seiner Einberufung (1915). Schmidt- Rottluff malt statt Landschaftsbildern nun Menschen die ihm nahestehen. Als Armierungssoldat in Rußland greift er zu Holz, um weiterzuarbeiten. Nach Kriegsende, an die Staffelei zurückgekehrt, werden die kraftvoll überzeichneten Menschen seiner Bilder melancholischer in den Farben: oliv und Ocker halten mit dem Krieg zunehmend Einzug; Schmerz, Kummer, Knechtschaft sprechen aus den Werken ab 1919 (Frauen im Grünen, Du und Ich, Mondschein). Das fröhliche Experiment, wie das mit kubistischen Formen in den Georginen und dem Petriturm in Hamburg (beide 1912) scheinen passe. Die religiösen Holzschnitte entstehen. Darunter der berühmt gewordene Wilde Christus mit der Jahreszahl 1918 auf der Stirn („ist euch nicht Christus erschienen“). Er provozierte eine ebenso starke Entrüstung bei den biederen Kunstfreunden, wie die blutroten prallen Frauenakte Schmidt-Rottluffs wenige Jahre zuvor.
Zur selben Zeit entwirft Schmidt-Rottluff das Idealprojekt einer Bergstadt. Für die Durchführung seiner Idee müßte vom Staat „ein bewaldeter Berg zur Verfügung gestellt werden“. Der Katalog dokumentiert Schmidt-Rottluffs Ideen ebenso wie seine Briefwechsel mit dem Arbeitsrat in Berlin und 14 Jahre später mit der Preußischen Akademie der Künste, die ihn aus ihren Reihen verdrängt.
Schmidt-Rottluff zieht sich vor der „völkischen Bewegung“ in die innere Emigration zurück. Ihm wird Berufsverbot erteilt, mehr als 600 seiner Arbeiten werden als „entartet“ beschlagnahmt. 1944 schrieb er einem Freund ins Feld: „Ich glaube wohl, daß meine Malerei nie einer Partei oder Tendenz dienstbar war. Und ich nehme an, je älter ich werde, umso zeitloser wird ihr Gesicht - nach dieser Seite habe ich keinen Pessimismus. Nun ja, erst müssen wir ja wohl den Krieg hinter uns haben, dann können wir uns wieder umsehen.“
Auch im Verborgenen malt Schmidt-Rottluff weiter, unterstützt von engagierten Förderern moderner Kunst wie Hanna Bekker vom Rath, in deren Gartenhäuschen im Taunus auch er zeitweise Unterschlupf findet.
Bei Kriegsende schreibt Schmidt- Rottluff einem befreundeten Maler in Lübeck: „Es verblieb nur ein unvorstellbares Chaos, das einigermaßen zu beseitigen die letzten Kräfte kostete. Wir gehörten zwar zu den Überlebenden, aber viel ist sonst nicht übrig. Der größte und beste Teil meiner Bilder ging noch in Schlesien verloren, so daß ich mir selber schon als Legende vorkomme.“
Birgitt Rambalski
Die Ausstellung im Münchner Lenbachhaus läuft noch bis zum 3.12.1989. Der Katalog ist im Prestel-Verlag erschienen und kostet 44 Mark.
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