: Grosz attackiert Reformflügel
Auf dem Parteikongreß der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei bestimmt die Kontroverse zwischen dem Zentristen Nyers und dem Befürworter radikaler Reformen Pozsgay das Geschehen ■ Aus Budapest Erich Rathfelder
Mit einer forschen Attacke auf den Reformflügel der Partei würdigte der ehemalige Parteichef Karoly Grosz den Rechenschaftsbericht des ZK vor den 1.279 Delegierten des Parteikongresses der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP), der gestern morgen in Budapest eröffnet wurde. Mangelnde Toleranz, so Grosz, sei das Hauptübel der Auseinandersetzungen in der Partei, nicht aber der Umstand, daß es mehrere Strömungen in ihr gebe. Es gehe nicht an, daß sich eine Gruppe anmaße, andere Gruppen aus der Partei zu drängen. Dieses Verhalten repräsentiere nichts anderes als die alten stalinistischen Denkschemata, wenn sie auch im Kleid der Reformer daherkommen.
Es ist kein normaler Parteitag mehr, die Spannung steigt, könnte doch das noch vor Monaten Undenkbare tatsächlich eintreten: die Spaltung einer Partei, die über 40 Jahre die Geschicke des Landes bestimmte. In seiner Antwort kritisierte das Aushängeschild des Reformflügels, Imre Pozsgay, die immer noch existierende Unfähigkeit der USAP, sich von den alten Strukturen radikal loszusagen. Immer noch, so sagte er, gebe es zwar programmatische Fortschritte, die politische Umsetzung der neuen Ansätze lasse aber zu wünschen übrig. Die Partei müsse zu einer handelnden, modernen sozialistischen Volkspartei werden, eine neue Partei, die das Alte endgültig hinter sich läßt. Daher dürfe es keinerlei Vernebelung der politischen Standpunkte geben. Es gehe nicht an, daß Leute in der Partei bleiben, die mit dieser neuen modernen Politik nichts zu tun haben wollen. „Denn diese neue Partei muß im Zentrum des Volkes stehen und nicht einen Kompromiß der USAP repräsentieren.“ Die Formulierung der neuen Partei, die Imre Pozsgay mehrmals in seiner Rede gebrauchte, läßt ihm alle Möglichkeiten offen. Entweder die USAP bewegt sich doch, oder er selbst wird die Gründung einer neuen Partei in Angriff nehmen.
Dagegen sprach sich der ehemalige Ministerpräsident Nyers für die Einheit der Partei aus, forderte aber zugleich eine neue Positionsbestimmung. „Die neue Partei kann keine kommunistische sein, aber auch keine rein sozialdemokratische. Die neue Partei muß eine sozialistische Partei neuen Typs werden, die beide Richtungen miteinander verknüpft.“ Bei den Wahlen sollte die neue Partei als Volkspartei auftreten und sich selbst demokratisieren.
Die ersten Schritte dazu sind gemacht. Die gestern morgen geführte Geschäftsordnungsdebatte endete mit einer neuen Wahlordnung. Zum ersten Mal können sich die unterschiedlichen Fraktionen im sog. politischen Plattformen organisieren, die Wahllisten aufstellen können, um die künftige Führung zu wählen.
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