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Klang-Explorationen

■ Der New Yorker Pianist Anthony Coleman bei DACAPO in den Weserterrassen

Nur ein kleines Häufchen von Interessierten hatte sich angesichts der Überfülle von musikalischen Angeboten am Samstagabend in den Weserterrassen eingefunden, um den hierzulande noch weitgehend unbekannten Pianisten und Komponisten Anthony Coleman zu hören. Das schien den New Yorker allerdings nicht zu irritieren. In einem knapp zweistündigen Set entwickelte er seine vielfältigen musikalischen Ideen auf Flügel und Organ.

Coleman experimentiert mit den unterschiedlichsten Spielweisen und in verschiedenste Richtungen. Dabei entzieht er sich herkömmlichen Schubladisierungen, so bemerkte er im Verlaufe des Konzerts, daß er den Versuch der Kritik, improvisierte Musik entweder in Jazz oder E-Musik zu unterteilen, ohnehin für

scholastisch hält. Das Material, das er be-und verarbeitet, reicht dementsprechend von Schumanns Etüden bis zu Geräuschexperimenten.

Auch in seiner Spieltechnik geht er in unterschiedliche Richtungen. Als Einstieg fragmentierte er beispielsweise den Standard Perdido auf seinen melodischen Grundkern und spielte dabei - im doppelten Sinne des Wortes - mit Pausen. Dadurch veränderten sich Tempo und Struktur des Stückes, die Melodie wurde in einzelne Akkorde zerlegt. Das klang, als ob jemand am Radio den Sender immer rein-und rausdreht: zwischendrin ist die Musik weg und es geht an anderer Stelle weiter. Die Verbindung der einzelnen Teile vollzieht sich im Kopf der ZuhörerInnen, es entsteht eine ganz eigene Dynamik,

die gleichzeitig irritiert und fesselt.

Einen anderen Ansatz beschreibt Coleman selbst als additiv. Einem melodischen Grundsegment werden immer neue Segmente hinzugefügt, die zu einer schleichenden Veränderung des Ganzen führt. Er orientiert sich dabei an der Tanz-und Bewegungstechnik der US-amerikanischen Choreographin Patricia Brown und überträgt deren Vorgehen im Bereich der Bewegung ins Musikalische.

Am Organ arbeitet Coleman mehr in Richtung Geräusch-Klang -Collage. Am Samstagabend produzierte er elektronische Geräuschfetzen, die ungefähr so klangen, als ob sich eine lebendig gewordene Kreissäge mit einem ebenfalls belebten mechanischen Schmiedehammer vor

dem Hochofen einer Stahlhütte um die richtige Sendereinstellung eines Radios stritten. Seinen zweiten Ausflug auf dem Organ nannte er Lessons in Stuttering, das war die euphemistische Umschreibung für epileptische Noise-Kaskaden.

Zwischen diese fordernden Klang-Explorationen streute Coleman Stücke, die näher an den üblichen Hörgewohnheiten waren, z.B. eine eigenwillige Bearbeitung von Monks I mean you oder einen Jelly Roll Morten-Medley.

Die bis zum Schluß Gebliebenen - im Laufe des Konzerts schmolz das kleine Häuflein auf einen Kern von Unentwegten waren durchaus angetan von Colemans musikalischen Ideen und applaudierten entsprechend. Arnaud

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