: Ein Papiertiger mit Buchhalter-Bewußtsein
Über die Krise der AL als Regierungspartei und die Schwierigkeiten der rot-grünen Koalition ■ D E B A T T E
Auch wenn die Krisenzeichen an der Wand von niemanden bisher so richtig ernst genommen werden, so ist doch überdeutlich, daß das von beiden Parteien eingegangene Konfliktbündnis etwas schwieriger zu gestalten ist, als es am Anfang den Anschein hatte. (...) Beide Parteien hatten nach dem überraschenden Wahlergebnis keine andere Chance, als das Bündnis zu versuchen. Unter dem Druck der „Jahrhundertchance“ zeigten sich beide Parteien kompromißbereit und nutzten ihre Chance in den Koalitionsverhandlungen dahin, eine brauchbare Grundlage für eine Zusammenarbeit zusammenzuzimmern. (...) In der Anfangsphase der Koalition sicherte diese positive Grundstimmung die gemeinsame Regierungspolitik.
Die gegenseitige Achtung und das Verständnis sind für eine Koalition aber wichtige Voraussetzung für die immer notwendige Kompromißbildung. Dieses gegenseitige Verständnis läßt im Augenblick rapide nach. (...) Rot-Grün hat eben bisher noch keinen gesellschaftlichen Aufbruch zu neuen ökologischen und sozialen Ufern befördert. Der angestrebte neue gesellschaftliche Konsens, der für eine rot-grüne Regierung dann handlungsanleitend und den Rahmen für die gemeinsame Regierungspolitik abstecken könnte, ist nicht genügend entwickelt. Aus diesem Grunde sehen offensichtlich beide Parteien die Möglichkeit des gegenseitigen Aufeinanderzugehens mit dem Abschluß der Koalitionsvereinbarungen als erschöpft an. So wird jeder konkrete Konflikt, der im Rahmen der Zusammenarbeit dieser beiden, sehr unterschiedlichen Parteien etwas völlig Selbstverständliches ist, als störend empfunden. Ohne den gesellschaftlichen Konsensdruck wird daher jeder Kompromiß in beiden Parteien als Niederlage oder Sieg der einen oder anderen Seite begriffen. Damit setzen sich in beiden Parteien wieder jene Kräfte durch, die das eigene Profil über den Erfolg der gemeinsamen Regierungspolitik stellen.
Die Basis für eine Zusammenarbeit sind dann nicht mehr die ohne Zweifel vorhandenen Erfolge der rot-grünen Regierung (bitte, wo? sezza), sondern die scheinbaren Siege über den jeweiligen Koalitionspartner. In diesem ätzenden Klima verlieren beide Parteien ihre Möglichkeiten, das gemeinsame Regierungsbündnis positiv und erfolgreich auszugestalten und verfallen in ihre alten „nicht regierungsfähigen“ Verhaltensformen zurück. (...) Überraschenderweise tritt also nach dem Abschluß der Koalitionsvereinbarung in der praktischen Regierungspolitik keine weitere Aufeinanderzubewegung der beiden Regierungsparteien ein. Selbst der Kampf gegen die manchmal fast übermächtig konservativen, reaktionären Tendenzen in der Gesellschaft schweißt nicht zusammen, sondern die Fremdheit und das Unverständnis beider Positionen nehmen wieder zu.
Dies führt natürlich zur Verhärtung der gegenseitigen Positionen. (...) Die SPD-Regierungsmannschaft fühlt sich durch die AL in ihrer alten und schlechten Regierungsroutine zunehmend nur noch gestärkt. Die Bereitschaft, notwendige gesellschaftliche Konflikte im sozialen und ökologischen Bereich mit den mächtigen Gruppen in der Gesellschaft einzugehen, läßt nach (die läßt bei der spd immer nach, wenn aus den lippenbekenntnissen taten werden sollen. sezza). Es hat den Anschein, daß nach der Koalitionsvereinbarung die SPD damit zufrieden ist, daß sie einfach regiert, damit die CDU aus der Regierung verdrängt ist. (...) Die Zusammenarbeit mit einer Partei wie der AL, die möglichst an allen Punkten gleichzeitig die Gesellschaft verändern möchte und die aufgrund ihrer inneren Struktur ein engagiertes Interesse an den jeweiligen politischen Einzelpunkten an den Tag legt, die eigene Regierungspolitik nicht duldend und diszipliniert begleitet, sondern offen und hart die dabei auftretenden Widersprüche thematisiert (auch nur lippenbekenntnisse. sezza), wird nicht mehr als Chance begriffen, sondern von der SPD als notwendiges Übel hingenommen.
Auch bei der AL wirken die positiven Erfahrungen der Koalitionsverhandlungen, insbesondere die Überwindung des tief verwurzelten Sektierertums in der Partei kaum noch nach. Die politische Auseinandersetzung um die Perspektive rot-grüner Gesellschaftspolitik scheint ebenfalls mit dem Abschluß des Koalitionsvertrages erledigt zu sein. In der AL macht sich ein Buchhalter-Bewußtsein breit, das nur noch abhaken will, was im Koalitionsvertrag niedergelegt wurde. Die Einforderung der Koalitionstreue der SPD ist der Politikersatz für die AL geworden. Es scheint so, als hätte die AL-Basis übersehen, daß der Text des Koalitionsvertrages als Summe der maximalen Möglichkeiten zwischen SPD und AL noch lange nicht die Umsetzung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung garantieren kann. Es gibt eben in der Gesellschaft noch andere mächtige Gruppen mit eigenständigen Interessen, die sich nicht einfach durch Koalitionsverträge oder die nachfolgende Parlamentsbeschlüsse beiseite schieben lassen (eh, wahnsinn. wir sind ein volk von anarchisten. sezza). (...)
Die AL muß viel stärker als bisher mithelfen, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Umsetzung des Koalitionsvertrages zu schaffen, sonst wird sie mit dem permanenten Hinweis auf den Text des Koalitionsabkommens zu einem Papiertiger, der dazu nur noch über einen einzigen Zahn verfügt, nämlich: Aufkündigung der Koalition.
In dieser für die AL schwierigen Situation kommt noch ein ungelöstes Problem aus der Vergangenheit hinzu, nämlich: welche Aufgabe hat die Basisdemokratie in einer Regierungspartei. Der basisdemokratische Anspruch der AL bedeutet, daß die aktiven Mitglieder im Idealfall alle wichtigen Einzelentscheidungen der AL mitdiskutieren, beeinflussen und letztendlch auch entscheiden dürfen. Dieser Anspruch war schon zu Oppositionszeiten nur äußerst schwierig einzulösen und hat zu dem permanenten Konflikt zwischen Basis und Fraktion geführt. Trotzdem war es zu Oppositionszeiten möglich, eine größere Übereinstimmung zwischen Basisforderungen und der oppositionellen Fraktion herzustellen, weil in der Regel die oppositionelle Parlamentsfraktioen mehr oder weniger die aufgestellten richtigen Basisforderungen in ihre Parlamentsanträge umsetzte. In der Oppositionszeit war es eine der wichtigsten politischen Aufgaben der AL, die richtigen, lange verdrängten oder übersehenen Forderungen der ökologischen und sozialen Bewegung in die gesellschaftliche Debatte zu bringen.
Dieses Aufgabe ist während der Regierungszeit immer noch vorhanden, aber es kommt eine zusätzliche, nicht minder gewichtige Aufgabe hinzu. Neben der Aufstellung von richtigen Forderungen müssen jetzt große oder kleine Schritte in die richtige Richtung vorbereitet und durchgesetzt werden (danke, herr lehrer. sezza). An dieser Umsetzungsstrategie ist die Basis nicht beteiligt. Sie wird von den Funktionären in der Fraktion und im geschäftsführenden Ausschuß erledigt. Da die Umsetzung dieser ersten Schritte in der Regel mit Kompromißbildung verbunden sein muß, weil wir leider nicht die Revolution, sondern nur eine Wahl gewonnen haben, läßt das bisherige klare „Oppositionsprofil“ der AL notwendig nach. Die Ergebnisse dieser Umsetzungstrategie erhalten die aktiven Mitglieder in der Regel über die Presse mitgeteilt (hallo, hiieer, huhu. sezza), weil es ein täglicher Prozeß ist. Die faktische Ausschaltung der Basis stellt ein enormes unaufgearbeitetes Problem in der AL dar. Der erste und etwas simple Reflex auf diese Entwicklung ist der Rückfall der Basis in das Oppositionsbewußtsein und die Leugnung der Regierungsaufgabe. An fast allen Konflikten, die während unserer Regierungszeit bisher in großen Versammlungen oder im Delegiertenrat diskutiert wurden, wurde versucht, die Funktions- und Mandatsträger auf die Durchsetzung und Aufrechterhaltung von „richtigen“ Beschlüssen festzulegen.
Die AL verdrängt dabei das Problem, daß damit notwendige Entscheidungen überhaupt nicht mehr möglich werden. Statt einer inhaltlichen Verbesserung der Regierungspolitik wird so das Gegenteil erreicht. Unser strategischer Eingriff auf das Regierungshandeln läßt nach, weil sich unser Einfluß darauf beschränkt, alle drei Wochen einen Vollversammlungsbeschluß im Koalitionsausschuß vorzulesen.
Ein fatales Beispiel dieser „identitätssichernden“ AL -Politik ist die Auseinandersetzung um die Stromtrasse. Die simple Ablehnung der Stromtrasse wäre vielleicht vor fünf Jahren für eine Regierungspartei auf der Höhe der Zeit gewesen. 1989 ist dieser Beschluß aber politisch grotesk und nur aus innerparteilichern psychologischen Motiven erklärbar. Faktisch hat er zu einer Ausschaltung der gesamten AL aus der politischen Debatte geführt. Es ist für eine ökologische Partei schon fast lächerlich, wenn sie freiwillig der Bewag und dem Wirtschaftsflügel der SPD das Feld überläßt, wie die ökologischen Folgen der Stromtrasse gemindert und die Auswirkung auf die Energiepolitik, wie wir sie betreiben wollen, geplant wird. Solange die AL nichts anderes zu sagen hat, wie „unsere Vollversammlung hat beschlossen, wir sind dagegen“, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu machen, einen Weg für die Verwirklichung dieser Beschlüsse aufzuzeigen, ist der „richtige Stromtrassenbeschluß“ gleichzeitig eine Absage an ökologische Regierungspolitik. Er ist das Gebrüll eines einzahnigen Papiertigers, der sich wieder auf die kleine, aber feine und vor allen Dingen kuschelige und identitätsstiftende Oppositionsbank niederlegen möchte.
Bernd Köppl, Abgeordneter der Alternativen Liste und Mitglied der „Grünen Panther„
Die Debatte wird mit einem Beitrag der Ökosozialisten fortgesetzt.
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