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Dialogverweigerung verschärft Spannungen

■ SPD-Präsidium zur DDR: Ohne Dialog reißt Flüchtlingsstrom nicht ab / Momper: SED muß sich ins europäische Umfeld einpassen / Kohl: Stabilität kann nicht durch Gewalt erreicht werden / Antje Vollmer plädiert dafür, SED gewaltfreien Ausweg offenzuhalten

Bonn (taz/dpa) - Das Präsidium der SPD verfolgt mit „wachsender Sorge“ die Entwickung in der DDR und fordert einen Demokratisierungsprozeß. „Wer auf friedliche Demonstrationen und das Verlangen nach Freiheit und Demokratie mit Polizeieinsätzen und Massenverhaftungen reagiert, verschärft die Spannungen und läßt den Flüchtlingsstrom weiter ansteigen“, heißt es in einer Entschließung des SPD-Führungsgremiums: „Mit der Verweigerung des Dialogs und realitätsfremder Propaganda werden die Menschen in Wut und Verzweiflung getrieben.“ Dies könne „unkontrollierbare Prozesse auslösen“.

Mit vorsichtiger Zurückhaltung wurde von der SPD-Spitze auf die Gründung einer „sozialdemokratischen Partei in der DDR“ reagiert. Man „begrüße“, wenn in der DDR „immer mehr Menschen ihre Stimme erheben“, die sich zu den „Prinzipien des demokratischen Sozialismus bekennen und dafür eintreten, diese Prinzipien in der DDR zu verwirklichen“, hieß es lediglich. Die SPD sei mit solchen Menschen solidarisch, „ganz gleich, in welchen Gruppen oder Formen sie sich zusammenfinden oder organisieren“.

Zwar habe es zu einzelnen Mitgliedern der SDP in der DDR vor der Gründung Kontakte gegeben, doch sei die Gründung ausschließlich aus deren eigenem Entschluß heraus erfolgt. Darüber, wie eine künftige Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten in der DDR aussehen könne, wurden keine Angaben gemacht. Ungeklärt sei unter anderem, ob die Parteigründer identisch seien mit den Menschen, mit denen die westdeutschen Sozialdemokraten Kontakt hatten.

Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper (SPD) hat „entsetzt“ auf die Härte und Verschlossenheit der DDR gegenüber den Demonstrationen am vergangenen Wochenende reagiert. In einem „gemeinsamen europäischen Haus kann nicht jeder in seinem Zimmer rumrandalieren, wie er will“, sagte Momper am Montag in Berlin. Die Demonstrationen in Ost -Berlin und der Provinz hätten gezeigt, daß die Zeit der Angst der DDR-Bürger vorbei sei. Sie ließen sich nicht mehr einschüchtern.

Die neue Losung „Wir bleiben hier“ zeige unter anderem die neue Qualität der Demonstrationen. Momper forderte die SED auf, den Dialog mit den kritischen Bürgern endlich aufzunehmen, Foren für Diskussionen und Kritik zu schaffen sowie mehr Pressefreiheit zuzulassen. Die SED werde sich ins europäische Umfeld einpassen müssen. Die DDR könne sich aus dem Reformprozeß in den Warschauer-Pakt-Staaten nicht ausklinken. Ein isolierter Weg sei auf Dauer nicht vorstellbar.

Zu den Behinderungen von Westjournalisten und der Beschlagnahme von Filmen meinte Momper: Freiheit der Information gehöre zu den Grundsätzen der KSZE -Vereinbarungen, die auch die DDR unterschrieben habe. Mit solchen Übergriffen habe sich die DDR in die Zeit vor den KSZE-Vereinbarungen zurückbegeben. Proteste in der DDR ließen sich durch solche Maßnahmen weder verheimlichen noch unterdrücken.

Nach Sitzungen der CDU-Führungsgremien appellierte Bundeskanzler Kohl am Montag in Bonn erneut an die DDR -Führung, endlich politische und wirtschaftliche Reformen einzuleiten und auf die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Bürger einzugehen. „Innerer Frieden und Stabilität können nicht durch Gewalt und Entmündigung der Menschen garantiert werden“, sagte Kohl.

Der Kanzler wiederholte sein Angebot, der DDR „umfassend und weitreichend“ in allen Bereichen zu helfen, wenn dort grundlegende politische, soziale und wirtschaftliche Reformen eingeleitet würden. „Geld kann Reformen nicht ersetzen, aber Reformen können durch weitreichende Zusammenarbeit und Hilfen rascher wirksam werden“, fügte der Kanzler hinzu.

Kohl sprach sich im Namen der CDU für eine weitere Intensivierung der Beziehungen mit den Reformkräften in Osteuropa aus. Im übrigen müsse die CDU weder in der Deutschland- noch in der Außen- und Sicherheitspolitik ihre Prioritäten revidieren, sagte Kohl. Die CDU hält nach seinen Worten am politischen Ziel der Wiedervereinigung fest. Sie wisse, daß dieses Ziel „nur zu erreichen ist, wenn die Spaltung Europas überwunden wird“.

Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer plädierte dafür, auch der politischen Führung in der DDR einen gewaltfreien Ausweg offenzuhalten, „den sie im Moment zu verlassen droht“. Sie betonte: „Die Weltuhr tickt zur Zeit in Moskau und Warschau, und der Westen ist es, der damit nicht Schritt halten kann.“ Statt Konzepte für die Zukunft zu entwerfen, „werden Grenzdiskussionen angezettelt“, kritisierte sie. Flüchtlingsdrama

Der Zustrom von DDR-Flüchtlingen in die Warschauer Botschaft der Bundesrepublik hält unterdessen an. Am Montag, nur vier Tage nach der Abfahrt des letzten Zuges mit 633 Botschaftsflüchtlingen nach Westen an Bord, befanden sich wieder mehr als 500 DDR-Bürger unter der Obhut der Botschaft in Warschau, wie bekannt wurde. Die meisten DDR-Bürger in der Bonner Vertretung sind zwischen 20 und 30 Jahren alt und kamen in Begleitung von Kindern. Viele reisten mit legalen Papieren, einige überquerten jedoch wieder illegal die Oder. Nach der Registrierung in der Botschaft werden die Ausreisewilligen in Unterkünfte des polnischen Roten Kreuzes weitergeleitet.

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