Hungerstreik für einen Therapieplatz

■ Aids-Infizierter Gefangener kämpft um seine Haftentlassung / Gericht will ihn in U-Haft halten

Tübingen (taz) - Seit 1.Oktober ist der HIV-infizierte Jürgen Derm im Rottenburger Knast im Hungerstreik. Er sieht darin sein letztes Mittel, doch noch eine Haftentlassung zur Therapie seiner Heroinsucht zu erreichen. Einen Therapieplatz hat er, doch die Tübinger Staatsanwaltschaft blockiert die Aussetzung des letzten Drittels seiner 15monatigen Haftstrafe zur Bewährung.

Der 27jährige Jürgen Derm ist seit Jahren heroinsüchtig und wurde immer wieder wegen Drogenbesitzes und Beschaffungsdiebstählen verurteilt. Mehrere Therapien hat er begonnen und wieder abgebrochen - die letzte Anfang des Jahres zusammen mit einer ebenfalls HIV-infizierten Frau. In der Therapie wurde nicht geduldet, daß sich die beiden angefreundet hatten.

An dem Therapieplatz, den Derm nun belegen könnte, hätte er die Chance, gemeinsam mit seiner Freundin zu lernen, ohne Drogen zu leben. So sah es auch das Tübinger Landgericht und stimmte seinem Antrag auf Haftentlassung zu. Die Staatsanwaltschaft jedoch hat Beschwerde eingelegt - mit aufschiebender Wirkung -, da er ein „unzuverlässiger Geselle“ sei.

Auch das Landgericht Stuttgart, wo noch ein Verfahren wegen verschiedener Beschaffungsdelikte anhängig ist, besteht darauf, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. Begründung: Fluchtgefahr. Derms Anwalt hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.

Die Aids-Infektion, vermutet Jürgen Derm, hat er sich vor vier Jahren im Knast geholt. Er versteht sich als Repräsentant aller infizierten Häftlinge, wenn er schreibt, daß das Drogenproblem durch Aids eine neue Dimension bekommen habe, „die nicht einfach dadurch in den Griff zu bekommen ist, daß man uns aus dem Verkehr zieht“.

Petra Seitz