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Fragen an Erich Kuby

Streit um eine Episode aus dem Nachkriegsdeutschland namens 'Ruf‘  ■ D E B A T T E

Der Generalsekretär der KPdSU hat im letzten halben Jahr die beiden deutschen Staaten besucht. Während Gorbatschow in Bonn begeistert gefeiert wurde, blieb seine Route durch Ost -Berlin den meisten Menschen unbekannt. Und der Empfang war entsprechend. Verkehrte Welten? Kuby warf im Sommer den Deutschen (West) in der taz vor, sie würden in Gorbatschow ein neues Vorbild sehen, einen, der sie aus dem Jammertal der Nachkriegszeit herausführt? Morgen antwortet er auf Tilman Fichters Kritik.

Die Begeisterung für „Gorbi“ in Bonn und die an ihn „geknüpften Hoffnungen, nun werde auch die Mauer bald verschwinden“ - was ist an diesem Wunsch verwerflich? machen Erich Kuby mißtrauisch, ja ungerecht: „Eine emotionalisierte, aber nicht befriedigte Bevölkerung braucht als Partner einen Helden. Den hat sie sich schon einmal mit Kennedy 1963 ausgeliehen, und jetzt aus Moskau.

Es hat eine schwachsinnige Delegation wiedererweckter deutscher Träume an die falsche Adresse stattgefunden“ - so heißt es in seinem Gastkommentar in der taz vom 27.Juli 1989 unter der etwas absonderlichen Überschrift „Parteien, hört die Signale! Über Gorbimanie und Schönhuberei in der Bundesrepublik“. Kuby, selbst Jahrgang 1910, verübelt den vorwiegend älteren Gorbi-Fans ihre - aufgrund ihrer NS- und Kriegserfahrungen verständliche - generationsspezifische Friedenssehnsucht und verrührt die Begeisterung für Gorbatschow mit den Wahlerfolgen des rechtsradikalen Populisten Franz Schönhuber zu einem übelriechenden altdeutschen Eintopf. Linke Ressentiments ersetzen freilich keine Analyse, geschweige denn linke Politik. Kubys Aversionen gegen einen politischen Neutralismus jenseits der Blöcke stammen bereits aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Eine fatale Geschichte aus Trizonesien.

Mir geht es hier um einen Aspekt der noch ungeklärten Nachkriegsgeschichte, nämlich: das Scheitern eines wichtigen linken Zeitschriftenprojekts. Welche Rolle spielte etwa Erich Kuby damals als deutscher Mitarbeiter der amerikanischen „Information Control Division“ (ICD) in der Auseinandersetzung mit den Herausgebern der Zeitschrift 'Der Ruf‘?

Die erste Ausgabe dieser unabhängigen Links-Gazette erschien in München am 15.August 1946. Auf der Titelseite ist ein deutscher Soldat abgebildet. Er trägt einen Helm und hebt zögernd die Hände zur bedingungslosen Kapitulation. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet. Herausgegeben wurde 'Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation‘ in jenem Sommer von zwei Kriegsheimkehrern: Alfred Andersch (geboren 1914 in München, mit 18 Jahren Org-Leiter des Kommunistischen Jugendverbandes in Bayern, 1933 für ein halbes Jahr im KZ Dachau, danach Soldat und später in Kriegsgefangenschaft) und Hans Werner Richter (geboren 1908 auf der Insel Usedom, Buchhändler, 1930 bis 1933 Mitglied der KPD (Ausschluß), Soldat und Kriegsgefangener). Ihre Sprache war eindeutig und selbstbewußt. Sie traten für ein demokratisches und sozialistisches Europa ein. Im April 1947 verbot die US-Militärregierung das vierzehntäglich erscheinende Blatt für drei Wochen (als offizieller Grund diente der Vorwurf des „Nihilismus“); danach gab Erich Kuby, zusammen mit Walter von Cube und Eitel Fritz von Schilling, die Blätter erneut bis 1949 heraus.

Fast 40 Jahre später sendete der Bayerische Rundfunk eine Fernsehdokumentation über „München in den Jahren 1900 bis 1950“. Auf die Frage des Interviewers: „Warum starb 'Der Ruf‘?“, antwortete Kuby: „Weil da alte Männer für eine junge Generation eine Zeitschrift machten.“ „Das ist alles gelogen“ - entgegnete Hans Werner Richter. Und fügte hinzu: „Er (Kuby) ist doch bekannt als Lügner.“ Die 'Ruf'-Gründer haben offensichtlich auch heute noch mit Kuby ein Hühnchen zu rupfen.

'Der Ruf‘ hatte einen Vorgänger: eine Zeitschrift von und für Kriegsgefangene in der Tradition des „Anderen Deutschland“ in den verschiedenen Kriegsgefangenen-Camps der USA. Auch an diesem Blatt mit dem Namen 'Ruf‘ hatten Richter, der 1943 in US-Kriegsgefangenschaft geraten war, und der im Juni 1944 zu den Amerikanern desertierte Andersch mitgearbeitet. Beide gerieten mit ihren Bewachern bzw. später mit der US-Militärregierung schon bald in ständige Auseinandersetzungen. Es gab zahlreiche Streitpunkte: Militärisches Sicherheitsdenken statt demokratische Grundrechte; ein allgemeines Verbot aller politischen Parteien und Gewerkschaften durch General Eisenhower blockierte eine Zusammenarbeit der Amerikaner und Engländer mit den alten Kadern der deutschen Arbeiterbewegung, die zwölf Jahre der systematischen Verfolgung überlebt hatten; bürokratische Entnazifizierung statt revolutionäre deutsche Gerichte; „Charakterwäsche“ statt Neubeginn undsoweiter.

Die Anti-Hitler-Koalition hatte Deutschland besiegt und nicht befreit; dennoch fühlten sich die 'Ruf'-Gründer befreit. „Wir waren Radikaldemokraten“, so Hans Werner Richter, „und machten aus unserer Unzufriedenheit über die Besatzungspolitik kein Geheimnis.“ Für Andersch und Richter gab es keine Tabus. Sie fühlten sich als Sprecher einer neuen jungen Generation: „Männer und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren, getrennt von den Älteren durch ihre Nicht -Verantwortlichkeit für Hitler, von den Jüngeren durch das Front- und Gefangenschaftserlebnis, durch das eingesetzte Leben also“ - so Andersch in seinem programmatischen Leitartikel Das junge Europa formt sein Gesicht im 1.Heft. Die amerikanische Reeducationpolitik war für Andersch und Richter keine wünschbare Alternative zum „radikalen Neubau“ Deutschlands aus eigener Kraft.

Gerade dieser ständige Nonkonformismus brachte die Herausgeber in Schwierigkeiten mit der US-„Information Control Division“. In einem gründlich recherchierten Artikel schrieb Elisabeth Bauschmid rund vierzig Jahre später in der 'Süddeutschen Zeitung‘ über diese US-Institution: Die ICD war die mit „Medien und Kultur“ befaßte Behörde der amerikanischen Militärregierung; zuständig für die Überprüfung der Zeitschriften war dort die „Publications Section“, und hier arbeitete Erich Kuby.

Obwohl es bereits fertig vorlag, durfte das Heft 17 Mitte April 1947 nicht mehr gedruckt und ausgeliefert werden. Alfred Andersch (damals 33) und Hans Werner Richter (38) wurden von der US-Militärregierung „abgelöst„; ihre Nachfolge trat der bisherige Kontrolleur selbst an. Erich Kuby wirtschaftete die Auflage des 'Ruf‘ in nur knapp zwei Jahren von 70.000 verkauften Exemplaren auf eine Miniauflage herunter, bis die Zeitschrift vom Verlag schließlich eingestellt wurde. Der Niedergang des 'Ruf‘ ist durch die Währungsreform allein sicher nicht erklärbar.

Über die Ursachen für die administrative „Ablösung“ gibt es bis heute verschiedene Versionen: So hieß es etwa, die „sowjetische Militärregierung in Deutschland“ (SMAD) habe auf den Abdruck des Textes von Arthur Koestler besonders verärgert reagiert. Auch ein kritischer Leitartikel über die Vertreibung der Sudetendeutschen sei in Ost-Berlin übel vermerkt worden. Der für die Kontrolle der Zeitung letztlich zuständige amerikanische Offizier im Zimmer neben Kuby, Ernest Langendorf, erklärte später jedoch: „Da müssen auch noch andere Differenzen zwischen Kuby und Richter vorgelegen haben.“ Welche? Erich Kuby hatte - soviel steht fest bereits im Februar 1947 in der 'Süddeutschen Zeitung‘ Alfred Andersch und Hans Werner Richter „Linksnationalismus“ vorgeworfen. Und zwar deshalb, weil sie die Auffassung vertraten, ein demokratisches Deutschland könne - in einem noch nicht in ideologische Blöcke zerteilten Europa - eine Mittlerrolle zwischen Ost und West einnehmen. Na und? M.E. wäre dies auch heute wieder eine richtige Aufgabenstellung für die Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik beider deutscher Teilstaaten bzw. einer - wie auch immer gestalteten - deutschen Konföderation. Bis zum heutigen Tag bezeichnet Kuby die Gruppe 47 als neutralistisch. Seine eigene, uneingestandene proamerikanische Position bleibt hingegen vage. Wie paßt es zusammen, daß ein engagierter Linksintellektueller im Auftrag der US-Besatzungsmacht ein linkes Zeitschriftenprojekt kontrolliert und schließlich zerstört und sich dann jahrzehntelang immer wieder darüber beklagt, daß sich im Nachkriegsdeutschland keine lebensfähigen demokratischen Traditionen herausgebildet haben? Es liegt durchaus in der Kontinuität seiner Denkweise, wenn Kuby heute den Neutralismusvorwurf wieder aufgreift und angesichts der sich verändernden deutsch -sowjetischen Beziehungen erneut in der BRD Deutschtümelei und Verrat am Westen wittert.Tilman Fichter

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