Rassismus macht blind

■ Die Freilassung des Mandela-Gefährten Sisulu ist Testlauf im Innern und Coup nach außen

Der Coup scheint gelungen. Eine Woche vor Beginn der brisanten Commonwealth-Tagung über Südafrika, bei der es um Sanktionen und Umschuldung geht und Stunden vor dem ersten Treffen de Klerks mit den Kirchenmännern Tutu, Boesak und Chikane überrascht das Regime in Pretoria mit der Meldung, die ganze alte Garde der Mandela-Mitstreiter freizulassen. Gerüchte darüber gab es in jüngster Zeit genug. Das Tempo überrascht dennoch. Der wichtigste Gefangene, Nelson Mandela, der über die Freilassung der anderen verhandelte und sie absegnete, bleibt vorerst in seinem Zellenbungalow, ja, will dort bleiben.

Allerdings nimmt die konservative Regierung der Nationalen Partei mit einer zumindest versprochenen „bedingungslosen“ Freilassung der seit 25 Jahren Inhaftierten das Risiko in Kauf, daß besonders Sisulu und Mpetha die nach dem Erfolg der Zivilen Ungehorsams-Kampagne erstarkte Opposition zu Zehntausenden mobilisieren. Dieses Rad kann nicht zurückgedreht werden, diese Symbolfiguren können nicht mehr wie der noch vor zwei Jahren Freigelassene Govan Mbeki einfach verbannt werden, weil sie zuviel Staub aufwirbelten. Sisulus Freilassung ist der Testlauf für jenen Tag X, wenn sich die Pforten für Mandela öffnen. Doch das dauert noch lange. Denn momentan führt man „Gespräche über Verhandlungen“, wie ein Beobachter jüngst konstatierte.

Das Kalkül der Südafrikaner zielt vorerst auf kurzfristigere Effekte. Eine Woche vor der Commonwealth-Tagung in Kuala Lumpur will man den Befürwortern verstärkter Sanktionen und Gegnern eines Schuldenmoratoriums den Wind aus den Segeln nehmen und hat der innenpolitisch angeschlagenen Thatcher auf dem Parteitag der Konservativen noch dazu einen kleinen Triumph beschert. Die entschiedene Gegnerin von Sanktionen kann die Freilassung Sisulus auch als Erfolg ihrer Politik bezeichnen. Wie sehr das Sanktions-Damokles-Schwert über der angeschlagenen Wirtschaft Pretorias schwebt, belegen nicht zuletzt unzählige ganzseitige Anzeigen in der internationalen und deutschen Presse. Nicht nur wird da de Klerks „Reformvorhaben“ mit dem Gorbatschows verglichen („urteilt nicht zu schnell, gebt ihm Zeit“). Nein, da sitzt ein rundlicher schwarzer Säugling neben einem geradezu rachitischen weißen unter der Überschrift „Vorurteile gegenüber Südafrika haben die Welt blind gemacht“. Gipfel der Selbstentblößung: „Zugegeben, es gibt immer noch hier und da Apartheid. Aber sie verschwindet immer mehr vor unseren Augen.“ Rassismus macht blind. Ein bißchen Apartheid ist Apartheid. Hoffentlich vergessen das nicht die TeilnehmerInnen der Commonwealth-Tagung. Und auch nicht der Rest der Welt.

Andrea Seibel