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Kein Platz für Kids und Knetgummi

■ Die KiTas sind überfüllt, die ErzieherInnen überlastet / Bundesweit einmaliger „Zusatztarif-Vertrag“ soll auch Arbeitsbedingungen regeln / Die ÖTV droht mit Erzwingungsstreik / Der Senat berät die Gewerkschaftsvorschläge in der nächsten Woche

Der Lärm ist auch noch nach mehreren Minuten Gewöhnung nahezu unerträglich. Es schreit, kreischt und heult bis an die Schmerzgrenze. Kinderbücher, Kissen und Knetgummi fliegen durch den Raum, Tische und Stühle kippen. Auf dem Boden liegen Stolperfallen: Gummiautos, Holzbauklötze, Legosteine aller Größen. Im Luftraum lauern selbstgebastelte Mobiles. 20 Kids von ein bis zwölf Jahren auf 40 Quadratmetern. Kinder- und ErzieherInnen-Alltag in der Senats-KiTa am Planufer 36 in Kreuzberg.

Gestern wurde das Chaos auch noch durch eine Gruppe von zehn Journalisten weiter komplettiert. Die Gewerkschaft ÖTV hatte zwecks Anschaulichkeit in die KiTa geladen, um ihren Entwurf eines „Zusatztarifvertrages“ für KiTa-ErzieherInnen vorzustellen. Der bundesweite „Pilot„-Tarifvertrag soll die Arbeitsbedingungen in den KiTas verbessern. So soll der Personalschlüssel verdoppelt, die Arbeitszeit und Urlaubszeit gerechter geregelt, die ErzieherInnen-Ausbildung verbessert und auch die Fort- und Weiterbildung gesichert werden. Der Zusatztarifvertrag soll auch die Gruppengröße, die Anzahl der ErzieherInnen und die Raumgrößen regeln. Kurz: in den Berliner KiTas soll endlich statt reiner Kinderaufbewahrung wie bisher auch pädagogische Arbeit laufen. ÖTV-Sprecher Ruhnke: „Bei den KiTas kann der Senat eben nicht so glatt mit den Personalstellen rechnen, wie bei der Feuerwehr“.

Träte der ÖTV-Vertrag in Kraft, müßten 3.000 ErzieherInnen mehr eingestellt werden. Weiterer Hintergedanke: den KiTa -ErzieherInnen soll die Möglichkeit zum Streik auch dann gegeben sein, wenn es nicht nur um die (sowieso recht geringe Bezahlung) geht. Arbeitskampf soll auch gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen möglich sein. Die Verhandlungen mit dem Senat werden am 24.Oktober fortgesetzt. Bisher herrscht auf der Seite der öffentlichen Arbeitgeber die Meinung, daß solcherlei detaillierte Regelungen, wie sie die ÖTV jetzt einführen will, nicht „tariffähig“ sind. Außerdem befürchten sie, daß ein solcher Vertrag auch anderswo, etwa in Sozial- und Wohnungsämtern gewollt werden könne.

Beispiel KiTa Planufer: Mit zwanzig festen Stellen werden 184 Kinder betreut, ganztags. Personalschlüssel des Senats: eine ErzieherIn pro „Hort„-Gruppe (Kleinkinder), 1,47 ErzieherInnen pro Kindergartengruppe. Durchschnittliche Raumgröße für bis zu 20 Kiddies: 30 Quadratmeter. Der Dienst läuft in Früh- und Spätdiensten, Überstunden sind die Regel. Wird eine ErzieherIn krank, werden Gruppen zusammengelegt. Dann kann es vorkommen, daß eine Person bis zu 60 Kinder „beaufsichtigen“ muß. KiTa-Leiterin Rosmarie Treskow: „Die sogenannte Elternarbeit muß von den ErzieherInnen oft in der Freizeit gemacht werden, um überhaupt Kontakt zu halten. Vor - und Nachbereitung der Gruppenarbeit mit den Kindern ist kaum möglich. Behinderte Kinder müssen in Regelgruppen mit dem gleichen niedrigen Personalschlüssel integriert werden.“

Die KiTa Planufer ist kein Einzelfall. Der Personalschlüssel des Senats für die rund 56.000 städtischen KiTa-Plätze gilt seit 1976, trotz mehrerer Arbeitszeitverkürzungen und immer mehr Kindern auf der Warteliste. Momentan sind es 31.000, viele davon „dringliche Fälle“. Die vielen ErzieherInnen, die für diese Kindermassen benötigt würden, gibt es gar nicht - denn weil die ErzieherInnen-Ausbildung lang und der Arbeitsalltag höchst stressig ist, sind die Ausbildungszahlen seit Jahren rückläufig.

Gegen Vorwürfe von Arbeitgeberseite, die Forderungen der ÖTV seien „astronomisch“, haben sich die Gewerkschafter abgesichert. Die Berechnungen für den seit neun Jahren geplanten Zusatztarifvertrag beruhen auf den offiziellen Zahlen des Senats. Außerdem wies die ÖTV-Geschäftsführerin Iris Hoppe: Komme von der Arbeitgebern demnächst kein akzeptabler Vorschlag auf den Tisch, sei man bereit „zum Erzwingungsstreik“. Der Innensenat als KiTa-Arbeitgeber äußerte sich gestern nicht zu dem ÖTV-Vertrag, denn der soll am nächsten Dienstag im Senat beraten werden.

kotte

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