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■ Buchmesse 89: Alle reden von der Bücherflut, uns liegt mehr an dem, was fehlt: Rushdie vor allem

Wie jedes Jahr ist es eine Messe der Superlative. Den taz -Buchmessebesuchern fällt diesmal eher auf, woran es mangelt: an erster Stelle an Rushdies „Satanischen Versen“, die „aus Sicherheitsgründen“ erst erscheinen, wenn die diesjährige Messe ihre Pforten wieder schließt. Bestelladresse siehe oben. Und trotz Bücherboom sterben Verlage aus: Athenäum ist bankrott, Greno geht pleite, Winzlinge werden größenwahnsinnig. Am Ende aber ist unter den britischen Neuerscheinungen doch noch „richtige“ Literatur zu entdecken: die, die man bis zum letzten Satz nicht mehr weglegt.

Kurz vor der Buchmesse brach der Greno-Verlag zusammen. Der Kollaps eines größenwahnsinnig gewordenen Knirpses. Noch vor ein paar Monaten hatte er im Fernsehen neben einem richtigen Großverleger - Herrn Friedrich von dtv - das Hohelied des Risikos, der Innovation gesungen. Jetzt ist er ganz unten, verschuldet bis über beide Ohren. Wie hält er das durch? Unsereiner verkriecht sich, wenn er eine Woche mit der Miete in Verzug ist. Jedes Einschreiben treibt uns den Angstschweiß aus den verstopften Poren und gar erst die blauen Briefe vom Gericht...

Aber Greno ist nicht auf die Bermudas verschwunden oder in einen Briefkasten in Vaduz. Er bleibt in Nördlingen: als Drucker und Hersteller. Wieder da, wo er vor fast zwanzig Jahren angefangen hat. Nur hat er jetzt eine Meute von Gläubigern vor dem Häuschen, die darauf achten werden, daß er keine großen Sprünge macht.

Axel Rütters, Chef des Athenäum-Verlages, hat das Kunststück fertiggebracht, seinen Bankrott pünktlich zur Messe anzumelden. Hier in Halle 5 hat ihn niemand gesehen. Man hört, er habe bis Dienstag darauf gesetzt, einen vermögenden Herrn als Gesellschafter zu gewinnen. Am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse bekam er dann ein breites amerikanisches No zu hören, und aus war der Traum von noch ein paar Jahren Verlegerdasein. Die Kollegen auf der Messe sind nicht traurig über den Zusammenbruch von Athenäum. Zu großkotzig war der Herr Verleger aufgetreten, zu deutlich hatte er auf Programme, Erklärungen, Strategien gesetzt. Er redete, wie Klein-Moritz sich vorstellt, daß ein Konzernmanager von Bertelsmann redet, aber - und das machte die Komik aus - ohne das nötige Kleingeld.

Viele Jahre ist das gutgegangen. Jetzt ist die Seifenblase geplatzt, und die Szene hier wundert sich mehr darüber, daß das Spiel so lange hatte laufen können. Bei einigen Kollegen spürt man sogar so etwas wie Schadenfreude darüber, daß dem Windhund endlich die Puste ausgegangen ist. Sympathie weckt auch nicht gerade, daß der Herr Verleger sich schamhaft von seinem Stand fernhält, daß aber die Angestellten brav Dienst schieben, sich die spöttischen Bemerkungen anhören, ja sogar noch Erklärungen abgeben müssen. Sie stehen auf verlorenem Posten, erinnern zusammen mit dem riesigen Stand an die Allmachtsphantasien, den Größenrausch ihres Verlegers.

Villa und Palme

Größenwahnsinnig scheinen auch die beiden Arche -Verlegerinnen geworden zu sein. Sie haben vor ein paar Jahren den literarischen Teil des Luchterhand-Verlages übernommen, und jetzt gehen sie auf Höhenflug. Aus Darmstadt sind sie umgezogen ins teure Frankfurt, haben dort eine Villa gemietet - man munkelt von 18- bis 28.000 Mark Miete im Monat - und haben auch bei der Ausstattung keine Kosten gescheut. Allein die Palme beim Empfang kostet zwei taz -Monatsgehälter.

Dieser Luxus läßt Kenner der Branche vermuten, Günter Grass habe einen großen neuen Roman abgeschlossen. „Leider“, fügen sie hinzu, „ist das auch das einzige Indiz dafür.“ Juristen und Buchhalter rechnen nach, wieviel Geld Greno und Rütters noch einmal kurz vor ihren Zusammenbrüchen ausgegeben haben und erklären, sie hätten nicht gedacht, daß es Arche und Luch- terhand wirklich so schlecht geht.

Von den Kleinen dagegen fast nur Gutes. Der Cef des Berliner Transit-Verlages meint: „Es geht uns gut. Wir haben keine Probleme.“ Dasselbe vom SP-Verlag, und auch Verlage mit edlem und darum immer bedrohtem Programm wie der Wunderhorn-Verlag schöpfen neuen Mut und sehen gefaßt bis optimistisch in die Zukunft.

Zwei mittelgroße Verlag am Ende und doch keine Spur von Gejammer. Die Umsätze an den Ständen scheinen gut zu sein. Die Stimmung? Gebremster Enthusiasmus. Das ist sehr viel für ein Gewerbe, in dessen konservativerem Teil Heulen und Zähneklappern als besonders effektive Form der Selbstdarstellung gelten.

Arno Widmann

PS: Kurz vor Redaktionsschluß die gute Nachricht: Adornos/Horkheimers Dialektik der Aufklärung erscheint in der DDR. Reclam (Leipzig) hat die Publikation noch für dieses Jahr versprochen. Wer die Pflichtlektüre bisher nicht gelesen haben sollte, kann sie für ganze 2 Mark 50 (Ost) erstehen. Und noch eine kleine DDR-Sensation: Heiner Stachelhaus‘ Beuys-Buch soll, ebenfalls bei Reclam, ebenfalls noch dieses Jahr, erscheinen. Zu Lebzeiten hatte Beuys Einreiseverbot, demnächst ist er für 4 Mark zu haben.

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