: 650 Mark für 48 Quadratmeter
■ Gewoba-MieterInnen in Tenever platzt der Kragen: Protest gegen Wucher-Abrechnungen
„Als die Wohnungen hier noch leerstanden, ist die Gewoba sogar mit den Mieten runtergegangen, nur damit hier Leute einziehen. Jetzt, wo hier alles aus den Nähten platzt, wollen sie sich auf unsere Kosten gesund stoßen.“ Begeisterten Beifall von 250 MieterInnen erntete am Donnerstag ein empörter Teneveraner vor einer Bewohnerversammlung in der Evangelischen Kirche Tenever. Mitte September hatten die Wohnungsverwalter Gewoba und Bergstedt ihre MieterInnen für das abgelaufene Jahr zur Kasse gebeten. Zwischen 500 und 1.500 Mark sollen sie u.a. für Begrünung, Aufzugswartung und Wasser nachzahlen(vgl. taz 6.10.)
„Aus diesen Abrechnungen wird doch kein Mensch schlau“, reklamierte einer der zur Kasse Gebetenen und wedelte aufgeregt mit seiner Kostenaufstellung in der Luft. Denn für die meisten bleibt die Abrechnung ein geheimer Zahlenmythos aus dem Grab eines ägyptischen Pharaos.
Eingeweihte glauben inzwischen herausgefunden zu haben, daß der Wasserverbrauch am heftigsten in den Nebenkostenabrechnungen zu Buche schlägt. In Tenever wird das Wasser nach Wohnfläche, nicht nach Personenzahl berechnet. Wasseruhren, die über den individuellen Verbrauch Rechenschaft ablegen, gibt es nicht. Trozdem glaubt hier niemand an Rechenfehler. Die Kosten entstehen anderswo, glauben viele und kennen auch kostenträchtige Beispiele. „Seit April steht vor unserem Block ein Gerüst, da war den ganzen Sommer über niemand drauf. Jeder weiß, wie teuer so etwas ist, und bald
kommt der Winter, da kann dann niemand mehr darauf arbeiten.“ Klammheimlich irgendwelche Sanierungsmaßnahmen in die Kostenabrechnungen hineingemogelt zu haben, bestreitet die Gewoba allerdings. „Das Gerüst bezahlen wir,“ wurde ein Anwohner auf persönliche Nachfrage beschieden.
Die Mieten in Tenever sind mittlerweile völlig unverhältnis
mäßig. „Das soll Sozialer Wohnungsbau sein, wenn ich für meine 48 Quadratmeter 645 Mark Miete zahlen muß,“ empörte sich ein Junggeselle. Scharen von Ameisen bevölkerten im letzten Jahr seine Erdgeschoßwohnung. „Die haben sich totgelacht bei der Gewoba“, schilderte er die Reaktion bei der Verwaltung.
„Alleine haben wir der Verwaltung gegenüber überhaupt
keine Chance“, wissen alle, die die gesalzene Kostenerhöhung nicht schlucken wollen. Und viele sprangen hier erstmals über ihren eigenen Schatten: AussiedlerInnen, Asylsuchende und SozialhilfeempfängerInnen, die bislang kübelweise mit Vorurteilen überschüttet wurden („die machen hier alles dreckig und kaputt“), traten hier zusammen mit anderen als betroffene Mieter auf. Die soziale Ausgrenzung, die in Tenever bislang ein brisantes Problem gewesen ist, könnte sich hier im gemeinsamen Handeln weiter auflösen.
Die BewohnerInnen Tenevers haben an diesem Abend aber nicht nur Ärger abgelassen, sondern auch konkrete Beschlüsse gefaßt. Vom Zahlungsboykott bis zum Ratenzahlungsantrag wurden die Vorschläge gesammelt. Eine sechsköpfige Delegation soll die Interessen der Mieter bei der Wohnungsverwaltung durchsetzen und eine Protestresolution formulieren. Außerdem wollen die Bewohner die Einzugsermächtigungen bei ihrem Geldinstitut kündigen, um zu vermeiden, daß das Geld gegen ihre Zustimmung einkassiert wird. Eine Demonstration durch Tenever ist geplant, und am 24. Oktober wird es eine heiße Diskussion mit Vertretern von Gewoba und Bergstedt geben. Mietexperten sollen befragt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten den MieterInnen noch offenstehen. Wer sich bis zum 20. 10. fristgerecht zur Ratenzahlung des eingeforderten Betrags entschließen will, sollte sich über die Möglichkeit einer späteren Reklamation erkundigen. mad
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen