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„Die bisherige Form vom Sozialismus ist gescheitert“

■ „Sozialismus out“ - was nun? Folge 2: Interview mit Katja Barloschki (34), seit 1972 in der DKP, Gesamtschülervertreterin, ASTA-Vorsitzende, heute DKV-Bezirksvorstand

Du hast Jahre, Jahrzehnte lang den „realen Sozialismus“ angepriesen und verteidigt - was bereust Du davon am meisten, heute?

Katja Barloschky: Am meisten bereue ich die Beschränktheit, die damit verbunden war. Für uns alle. Wir haben in Denkstrukturen gelebt, durch die wir lange Zeit die gesellschaftlichen Realität nicht zur Kenntnis genommen haben.

Welcher Verlust von Illusion über die DDR war am schmerzlichsten?

Wie wenig sich realisiert hat an tatsächlicher persönlicher freier Entwicklung der Menschen. Die Tatsache, daß alles das, was ich mir 1970, 1971 als Sozialismus vorgestellt und damit verbunden habe, nicht stattfindet: das Aufbrechen von Rollenverhalten, von sexuellen Tabus, von bürgerlicher Kleinfamilie. Im Gegenteil: das wird staatlich zementiert. Alles, was ich mir für den Sozialismus vorgestellt habe, fällt hinten runter.

Ich habe früher die Vorstellung gehabt: Erst muß politische Macht der Arbeiterklasse, gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln, Planwirtschaft - das haben wir als Voraussetzungen für den Sozialimus mißverstanden - da sein, dann entwickelt sich alles andere schon. Aber das ist nicht nur theoretisch nicht Sozialismus, sondern bedeutet auch praktisch, daß Menschen, Kenntnisse, Klugheit, Erfindungsreichtum, Engagement persönliche Interessen zunichte gemacht werden. Inzwischen geht es mit so: Wenn ich dort leben würde, denke ich, daß ich mit demonstrieren würde, oder daß ich in der SED kämpfen würde für eine Erneuerung.

Die Veränderungen in den osteuropäischen Staaten scheinen die These zu bestätigen, daß Meinungsfreiheit eng zusammenhängt mit Marktwirtschaft...

Ich finde diese These nur bedingt richtig. Die einzelne Konsumentin, der Konsument wird in der Marktwirtschaft gefragt, ernst genommen. Aber ich glaube, daß eine Höherentwicklung von Demokratie immer noch möglich ist, wenn die Verfügungsgewalt über das, was und wie produziert wird, nicht mehr über den Markt geregelt wird.

Gorbatschow hat anfangs Elemente von Meinungsfreiheit zugelassen, aber es geht letztlich um die Ökonomie. Kulturelle Freizügigkeit ist ein Vehikel für mehr Marktwirtschaft.

Es gibt die Einschätzung: Die machen da sowieso nichts anderes als den kapitalistischen Markt wieder einzuführen. Ich glaube, daß es noch Spielraum gibt und geben muß. Wenn es den nicht gibt, sehe ich für die Zukunft dieser Welt...

Was ist für Dich heute der Unterschied zwischen einer sozialdemokratischen Politik, im besten Sinne, und dem Sozialismus?

Der entscheidende Unterschied ist für mich die radikalere, grundsätzliche Kritik an dem, was Kapitalismus angerichtet hat und anrichtet, weltweit. Und die Einsicht, daß es eine grundsätzliche Alternative geben muß. Trotz der Enttäuschungen, der Tränen, der Auseinandersetzungen mit den Deformationen, die wir selber fast alle durchgemacht haben und aus denen es schwer ist, sich zu befreien. Trotzdem: Eine kommunistische, auf eine grundsätzliche Veränderung dieses Systems zielende Politik ist notwendig. Ich habe aber dabei ein positives Grundverhältnis zu Reformalternativen für dieses Land.

Der Sozialismus ist eine Gesellschaftswissenschaft geworden mit der These, daß alles an der Produktionsweise hängt, der kapitalistischen ...

Die Form, in der bisher in allen sozialistischen Ländern versucht worden ist, die sozialistische Produktionsweise zu entwickeln, ist gescheitert. Es handelt sich nicht um eine sozialistische Produktionsweise. Aber ich weiß aus Debatten der sowjetischen Ökonomen, daß nicht alle sagen: Jetzt brauchen wir mal den Kapitalismus. Da ist noch Spielraum, die Elemente von Markt wieder reinzukriegen in das, was an verkrusteten wirtschaftlichen Strukturen sich entwickelt hat, und dennoch eine andere Entwicklungsrichtung einzuschlagen. Es gibt eine Reihe profilierter Wirtschaftswissenschaftler, die fragen: Wie kann neben dem demokratie-unerläßlichen Markt das Volk tatsächlich über das „WAS und WIE“ der Produktion entscheiden. Das gibt es noch nicht, das ist noch nirgends ausprobiert...

In den osteuropäischen Ländern will das auch niemand mehr...

Das werden wir sehen. Für mich ist nicht bewiesen, daß es da nicht geben kann, und gleichzeitig würde ich es für verfrüht halten und eine Unterschätzung der progressiven Elemente in den sozialistischen Ländern.

In Ungarn haben die Kommunisten das Etikett Sozialismus abgesetzt und gesagt: Das produziert nur Mißverständnisse...

Das ist für mich eine Diskussion wert. Eine Reihe von Genossen und Genossinnen auch von mir sagen, diese Begrifflichkeit ist so diskreditiert, daß man überhaupt davon Abstand nehmen muß und die Utopien, die wir haben, anders formulieren muß. Für mich gilt das nicht, ich bin mit dieser Diskussion noch nicht fertig.

Int. K.W.

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