: „Reisefreiheit und Reformen“
■ Einheitliches aus Politikermunde in West-Berlin zum Wechsel in der SED-Spitze
In seltener Einmütigkeit haben die Westberliner Fraktionen im Abgeordnetenhaus und der Regierende Bürgermeister den Wechsel in der DDR-Führung begrüßt. Walter Momper erklärte gestern: „Die Veränderung an der Spitze der SED war angesichts der friedlichen Massendemonstrationen und des inneren Reformdrucks unausweichlich. Neue Gesichter in der Führung sind jedoch nur der erste Schritt, dem eine grundlegend neue Politik folgen muß. Die Menschen in der DDR und in ganz Europa erwarten jetzt eine zügige Demokratisierung in der DDR, die Anerkennung der oppositionellen Gruppen, grundlegende Reformen in Staat und Gesellschaft und Reisefreiheit. Der Senat wird darauf hinwirken, daß für solche Reformen in der DDR, die ein Meilenstein auf dem Weg zum gemeinsamen europäischen Haus sind, der neuen Führung der SED jedwede Hilfe und Kooperation des Westens angeboten wird.“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Staffelt mahnte, daß die schwerwiegende Legitimationskrise des DDR-Systems nicht durch das Auswechseln von Politikern beendet werden könne. „Entscheidend wird sein, ob die längst überfälligen durchgreifenden Reformschritte jetzt getan werden. Auch die neue Führung kann sich an den von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung in der DDR geforderten Maßnahmen zur Herstellung der Informations-, Meinungs-, Organisations- und Reisefreiheit nicht länger vorbeimogeln. Die SED muß wissen, daß die Zeit für taktisch bedingte Veränderungen vorbei ist.“
Ähnliches weiß die AL zum „Tapetenwechsel“ in der DDR und fordert: „Der personellen muß die politische Veränderung folgen. Die SED muß in den längst überfälligen Dialog mit der Gesellschaft eintreten. Sie wird dies nur können, wenn auch in der Partei selbst eine offene und selbstkritische Diskussion und Auseinandersetzung über eine Erneuerung in der DDR stattfindet. Egon Krenz wird sich daran messen lassen, ob in den nächsten Tagen und Wochen sichtbare Schritte in diese Richtung unternommen werden.“
Auch Oppositionsführer Diepgen stimmte in den allgemeinen Kanon ein: „Die personelle Neubesetzung der SED-Spitze ist hoffentlich ein ernstgemeinter Anfang auf dem Weg zu tiefgreifenden Veränderungen in der DDR. Herr Krenz muß sich aber erst noch als wirklicher Reformer erweisen. ...Über personelle Veränderungen hinaus sind jetzt schnell sachliche Fortschritte nötig, die zu Pluralismus, zu Beteiligung und Legalisierung, zu Pressefreiheit und Reisefreiheit führen. Für ein Kurieren an Symptomen ist es zu spät. Das muß die SED begreifen, wenn sie es noch nicht begriffen haben sollte.“
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