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Die Oligarchie will ihr Land zurück

In El Salvador soll durch Druck und Einschüchterung die Landreform rückgängig gemacht werden / Agrargenossenschaften werden durch Kleinbauern ersetzt Sie sind als billige Arbeitskraft zu mißbrauchen / Exportorientierung nach dem Beispiel der asiatischen Schwellenländer als ökonomisches Vorbild  ■  Aus San Salvador Ralf Leonhard

Die Agrargenossenschaft auf der Finca Santa Lucia bei Tacuba in der Westprovinz Ahuachapan hat in den vergangenen Jahren mehr recht als schlecht funktioniert, hat aber zumindest Jahr für Jahr pünktlich die Quoten an Finata bezahlt. Finata ist die Institution, die unter anderem die Entschädigungszahlungen für Grundeigentümer abwickelt, die im Zuge der Agrarreform enteignet wurden. Doch vor ein paar Wochen tauchte plötzlich der ehemalige Grundbesitzer Mauricio Orantes Acosta auf und forderte sein Land zurück. „Wenn ihr nicht freiwillig geht, laß‘ ich euch von der Armee rauswerfen“, drohte er.

Dies berichtet Jorge Alberto Soriano, einer der Genossenschafter, bei einer Versammlung in Ahuachapan. Die eingeschüchterten Kleinbauern wandten sich darauf an Finata und baten um Schutz. Mitte August wurde eine Gruppe von Genossenschaftsbauern ins Finata-Büro von Santa Ana, der größten Stadt der Region, gerufen. Zu ihrer Überraschung fanden die Campesinos jedoch niemanden, der ihre Rechte verteidigen wollte, sondern eher feindselige Funktionäre, die ihnen ein Dokument unterbreiteten, in dem die Bauern sich verpflichten sollten, das Land nach der nächsten Ernte freiwillig zu räumen.

„Wir weigerten uns natürlich, zu unterschreiben“, erzählt Soriano. Daraufhin soll der Finata-Regionaldirektor Salvador Garcia, ein ehemaliger Armeeoberst, seinen Revolver gezogen und mit seinen freundschaftlichen Verbindungen zu Roberto d'Aubuisson geprahlt haben. D'Aubuisson ist der Gründer und starke Mann der regierenden die Arena, der zu Beginn des Jahrzehnts paramilitärische Todesschwadrone befehligte. Die Campesinos setzten daraufhin zitternd ihre Unterschrift unter das Dokument.

Einige der Bauern hatten erste Kontakte zur Convergencia Democratica geknüpft, einem Linksbündnis, das erst seit Ende 1987 legal arbeitet. Als die Politiker den Skandal an die Öffentlichkeit brachten, leugnete Garcia den gesamten Vorfall und annullierte das Schriftstück. Dieser Fall ging damit also glimpflich aus. Doch nicht alle Bauern können ihre Probleme bekannt machen und dem zunehmenden Druck widerstehen.

Seit die Arena, die Partei der vor zehn Jahren entmachteten Oligarchie, die Regierung stellt, versuchen enteignete Grundbesitzer, ihre Ländereien wieder zurückzubekommen. Präsident Cristiani, selbst einer der größten Kaffeepflanzer des Landes, beteuert zwar ständig, daß die Agrarreform nicht rückgängig gemacht werden soll, doch die Praxis an der Basis widerspricht seinen Worten. Gegen Cristianis gute Absichten spricht auch, daß er ausgerechnet Raul Garcia Prieto, einen der größten Landeigentümer, zum Chef von Finata gemacht hat

-einer Institution, die die Interessen der von der Agrarreform begünstigten Kleinbauern wahrnehmen soll. Das Komitee der Bauernorganisationen (COC), das sich um die Verwirklichung der Phase I der Agrarreform kümmerte, in welcher Großgrundbesitz in Genossenschaften überführt werden soll, wurde für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst.

Nach einem Putsch reformistischer Offiziere am 15.Oktober 1979 war die herrschende Kaffee- und Finanzoligarchie teilweise entmachtet worden. Die Verstaatlichung der Banken und des Außenhandels und eine Agrarreform sollten die ungerechten Wirtschaftsstrukturen verändern. Doch die Landreform mußte von Anfang an gegen starke Widerstände ankämpfen. Die Betreuung der Genossenschaften war immer unzureichend, und die Enteignung des ertragreichen Mittelbesitzes konnte nie durchgesetzt werden.

Confras, eine Vereinigung von Bauernorganisationen, die auf Agrarreformland arbeitet, klagte im August in einer bezahlten Zeitungsanzeige an, daß Roberto d'Aubuisson mit einer Gruppe von Getreuen bei den Generalversammlungen der Mitgliedsgenossenschaften auftauche, um Leute seines Vertrauens in die Vorstände wählen zu lassen. Ein Vorwurf, den die Campesinos aus Ahuachapan aus eigener Erfahrung bestätigen. Außerdem soll der ehemalige Geheimdienstoffizier im südlichen Ahuachapan Gruppen von Bauern organisieren, die das Land von Kooperativen besetzen und in ihre Gewalt bringen sollen. Arena lehnt Agrargenossenschaften ab. Die offizielle Begründung: Die Kollektive wirtschaften weniger effizient als Individualproduzenten. Ein Argument, das allerdings von den offiziellen Produktionsstatistiken widerlegt wird.

Wirtschaftsexperten vermuten jedoch, daß es der Regierung eher darum gehe, eine unorganisierte Kleinbauernschaft zu erhalten, die von ihrer Scholle allein nicht leben kann und so den Großgrundbesitzern als billige Arbeitskraft zur Verfügung steht. Präsident Cristiani übergab in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit mehr als 11.000 Eigentumstitel an Einzelbauern. Die durchschnittliche Parzellengröße von 1,5 Hektar garantiert kaum den Lebensunterhalt.

Liberalisierung und Privatisierung sind die Grundpfeiler der Reform, mit der die Arena die Wirtschaft sanieren, die Zahlungsbilanz ausgleichen und die Inflation dämpfen will. Die bisherige Politik der staatlichen Intervention zugunsten von Importsubstitution und Stimulierung der Industrie wird durch eine offensive Exportförderung ersetzt. Statt offiziell abzuwerten, hat Cristiani am 1.August den Wechselkurs freigegeben. Während der Colon auf dem Papier nach wie vor 5:1 gegen den US-Dollar getauscht wird, zahlen die Banken jetzt - je nach Tageskurs - mindestens sechs Colones, manchmal sogar etwas mehr. Die Steigerung der Exporteinnahmen, die man sich vom billigeren Colon erwartete, werden sich aber schon deswegen nicht einstellen, weil der Kaffeepreis nach dem Auseinanderbrechen der internationalen Kaffeekonvention den tiefsten Stand seit 14 Jahren erreicht hat. Die Kaffeeausfuhr erbringt ungefähr die Hälfte der Exporteinnahmen, die heute um 50 Prozent unter dem Niveau von 1980 liegen.

Auch bei anderen traditionellen Ausfuhrprodukten wie Zucker und Baumwolle kann man mit keiner Produktionssteigerung rechnen, solange die FMLN gezielte Wirtschaftssabotage betreibt. Im vergangenen Jahr hat die Guerilla nicht weniger als 20 Prozent der Baumwollernte 1987/88 vernichtet. Viele Funktionäre, darunter der Vizepräsident und Innenminister Merino, schwärmen vom Modell Taiwan, seit sie die florierenden Fertigungsindustrien auf Formosa gesehen haben. Doch von der Industrie, die unter dem protektionistischen Regime des Gemeinsamen Zentralamerikanischen Marktes (MCCA) gewachsen ist, sind wenig neue Impulse für den Export zu erwarten. International konkurrenzfähig war die Ökonomie nie, und außerdem produziert sie heute mit veralteter Technologie, denn in zwei von sozialen Konflikten und Krieg geprägten Jahrzehnten sind die Anlagen nicht mehr erneuert worden. Man schätzt, daß die Industrie heute mit nur 40 Prozent ihrer Kapazität arbeitet. Während kaum in den produktiven Sektor investiert wurde, sind allein zwischen 1979 und 1984 geschätzte zwei Milliarden Dollar als Fluchtgelder ins Ausland abgeflossen.

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