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Gorbatschow gegen Reformer

■ Der sowjetische Staats- und Parteichef maßregelt Reformblätter wegen „unverantwortlicher“ Berichterstattung / Reformer befürchten nun Beschneidung der Pressefreiheit

Moskau (wps/ap) - Zwischen Michail Gorbatschow und den radikaleren Reformern insbesondere in der Presse ist es zu einem heftigen Konflikt gekommen. Auslöser dafür, daß die Sache an die Öffentlichkeit kam, war der Versuch, den Chefredakteur der reformorientierten Zeitschrift 'Argumenty i fakty‘, W.A.Starkow, zu feuern. Eine Gruppe von 34 Abgeordneten des Obersten Sowjet der UdSSR hat aus diesem Anlaß eine Petition verfaßt, die sie seit Tagen vergeblich in diesem Gremium vorzutragen versucht. Der Abgeordnete Nikolai Kuzenko war am Dienstag und Mittwoch in seinem Bemühen, sich in dieser Angelegenheit auf die Rednerliste setzen zu lassen, erfolglos.

Am Montag hatte der für Ideologie zuständige ZK-Sekretär Medwedew Starkow zu sich zitiert und ihn aufgefordert, als Chefredakteur zurückzutreten. Starkow lehnte das ab, und die Redaktion solidarisierte sich. Die Redakteure des Blattes, das eine Auflage von 20 Millionen hat, drohen für den Fall der Entlassung Starkows mit Streik.

Der Konflikt geht aber weit über diese Zeitschrift hinaus. Wie die 'Washington Post‘ aus Moskau berichtet, fand vor genau einer Woche eine geschlossene Konferenz statt, auf der Gorbatschow vor den Chefredakteuren der wichtigsten Massenmedien sprach. Solche Treffen hält er häufiger, etwa alle sechs Monate, ab. Aber sein Auftreten an diesem Freitag soll außergewöhnlich gewesen sein. So soll er die radikalreformerische „Interregionale Gruppe“ von Abgeordneten als „Gangsterbande“ bezeichnet haben. In scharfem Ton rechnete er mit den Reformblättern ab und behauptete, sie würden ihm in einer gefährlichen politischen Situation in den Rücken fallen. Besonders verärgert zeigte er sich über einen Artikel in 'Argumenty i fakty‘, in dem das Ergebnis einer Meinungsumfrage referiert worden war. Danach ist die Popularität einiger radikaler Reformer wie Jelzin, Sacharow, Gawriil Popow und Nikolai Schmeljow weit größer als die prominenter Konservativer. Solche Artikel würden spalten und seien inakzeptabel, so Gorbatschow.

In seiner Rede soll er dem Ökonomen Schmeljow vorgeworfen haben, öffentlich unverantwortliche Prognosen über die Zukunft des Staatschefs gemacht zu haben. Dem radikalen Reformer Popow hielt er vor, nur zu kritisieren und keine konkreten Verbesserungsvorschläge zu machen. Den Chefredakteur des liberalen 'Ogonjok‘, W. Korotitsch, beschuldigte er, sein Versprechen, keine „aufreizenden“ Artikel mehr zu veröffentlichen, gebrochen zu haben.

Nach seiner Rede spendeten die Chefredakteure der reaktionären, russisch-nationalistischen Blätter 'Moskwa‘ und 'Molodaja Gwardja‘ dem Generalsekretär stehenden Applaus. Dem Vernehmen nach sollen zuvor in einer merkwürdigen Koalition Alexander Jakowlew, der reformerische Vordenker im Politbüro, und der Kopf der Konservativen, Jegor Ligatschow, versucht haben, Gorbatschow von dieser Rede abzuhalten. Noch merkwürdiger: Nach der Ansprache rief Ligatschow in der Redaktion der gemaßregelten 'Argumenty i fakty‘ an und versicherte sie seiner Solidarität.

Die Auseinandersetzung erhält zusätzliche Brisanz durch den Umstand, daß derzeit ein neues Pressegesetz beraten wird, von dem viele Reformer fürchten, es könne zu einer Beschneidung des faktisch schon existierenden Maßes an Pressefreiheit führen.

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