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„Wir passen uns der neuen Realität an“

Joaquin Villalobos, Comandante der Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN), zu den Friedensverhandlungen mit der rechten Arena-Regierung El Salvadors  ■ I N T E R V I E W

taz: Der Vorschlag, den Ihr in Mexiko vorgelegt und hier in Costa Rica präzisiert habt, geht nicht über die Erklärung der reformistischen Offiziere nach dem Putsch vor zehn Jahren hinaus. Haben sich diese zehn Jahre Bürgerkrieg in El Salvador gelohnt?

Joaquin Villalobos: Vor kurzem haben wir die Proklamation der Armee vom 15.Oktober 1979 durchgesehen: die ist tatsächlich radikaler als unser Programm. Das Problem liegt darin, daß von den großen Vorhaben viele nie in Angriff genommen wurden: die Säuberung der Streitkräfte, die Schaffung eines unparteiischen Justizsystems, ja nicht einmal die Agrarreform. Zwischen den Gruppen, die diese programmatischen Punkte auch durchsetzen wollten, und jenen, die sich dagegen sträubten, ist dieser Krieg losgebrochen.

Jetzt herrscht eine neue Realität, und wir brauchen eine neue Plattform, um eine Mehrheit der Gesellschaft zusammenzubringen. Unser Vorschlag orientiert sich an den realen Möglichkeiten für eine Veränderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Wenn wir zum Beispiel Prozesse gegen Offiziere fordern, tragen wir nur zur Einheit der Streitkräfte bei. Wir hatten anfangs einen Plan, wo von Prozessen die Rede war. Aber die von den US-Beratern entworfene Strategie der verbrannten Erde hat Hunderte Offiziere in verbrecherische Aktionen verwickelt. Dieser Vorschlag hat zum festeren Zusammenhalt der Armee geführt, da alle sich Sorgen machen mußten.

Selbst die Forderung nach einer „Selbstreinigung“ wird doch auch jene Offiziere verunsichern, die vielleicht gar nicht betroffen sind, weil ein Präzedenzfall geschaffen wird. Für viele Offizere ist außerdem der Krieg ein Geschäft. Wie könnt ihr unter diesen Umständen erwarten, daß die Armee nachgibt?

Die Säuberung ist ein Prozeß, den sich die Armee im Laufe der Geschichte schon mehrmals selbst verordnet hat. Deswegen haben wir diese Forderung aufgenommen. Es geht um konkrete Interessen innerhalb der Streitkräfte, die mit den Interessen der sogenannten „Tandona“ zu tun haben, jenem 35.Jahrgang der Militärakademie, der allen anderen die Aufstiegsmöglichkeiten versperrt. Es gibt eine wachsende Anzahl von jüngeren Obersten, die nicht zum Zug kommen. Bald wird es nicht ungewöhnlich sein, daß ein Oberst eine Kompanie kommandiert, statt eines Hauptmannes oder Leutnants.

Es ist doch auffällig, daß es auf unsere Forderung keine hysterische Reaktion gegeben hat. Es wäre doch logisch gewesen, daß Oberst Vargas, der selbst betroffen wäre, gegen den Vorschlag gewettert hätte. Er hat es nicht getan, weil er weiß, daß die jüngeren Jahrgänge finden, daß die „Tandona“ ihnen die Karriere blockiert. Das öffnet Möglichkeiten für eine Verhandlung.

Ein Gutteil der mittleren Offiziere will sich nicht an Grausamkeiten beteiligen. Viele haben heute eine professionelle Einstellung, und daraus ergeben sich Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Streitkräfte.

Eure Wünsche zur Wirtschaftspolitik sind auch äußerst bescheiden.

Wir schlagen keine neuen Reformen vor, weil das zu schwierig durchzusetzen wäre. Deswegen haben wir den Wirtschaftsplan auf zwei Punkte reduziert: Wir verlangen, daß den Campesinos ihr Land nicht mehr weggenommen wird und jenen, denen es schon weggenommen worden ist, wieder zurückgegeben wird. Zweitens soll Arena statt eines Wirtschaftsprogramms, das ausschließlich den Interessen der Oligarchie dient, wenigstens eine Politik der Sozialpartnerschaft verfolgen, damit die soziale Spannung etwas abgebaut wird. Sie verlangen von uns in ihrem Waffenstillstandsvorschlag, daß wir für die Regierung Polizei spielen und soziale Kämpfe verhindern, während sie die Probleme schaffen.

Der andere wichtige Punkt ist die Reform des Justizsystems. Da war sogar die Reagan-Regierung unserer Ansicht, daß es mit dem Justizapparat nicht so weitergehen kann.

Hättet Ihr nicht mehr erreichen können, wenn ihr Duarte vor zwei Jahren den heutigen Plan angeboten hättet?

Duarte hat nicht die Macht repräsentiert. Wir meinen, der beste Platz für die Christdemokraten ist die Opposition. Duarte ließ sich auf einen Pakt mit der Armee ein, der ihn viel Substanz gekostet hat. Er wurde tief in die Korruption verwickelt, und zum Schluß zerbrach die Partei. Wir hielten es für schwierig, mit jemandem zu verhandeln, der keine wirkliche Macht hat.

Repräsentiert denn Cristiani die Armee?

Cristiani repräsentiert wirkliche Macht und regiert in einer neuen historischen Situation. Ob er und die Machtgruppen, die er repräsentiert, wollen oder nicht, sie werden früher oder später verhandeln müssen.

Wie hat sich denn die Regierungsdelegation in den Gesprächen verhalten?

Die Armee besteht auf einem Dialog ohne Verhandlungen. Sie will unsere Demobilisierung und dann erst die Diskussion beginnen. Oberst Vargas hat gegenüber der Presse gesagt, daß sich die FMLN erst in eine rein politische Kraft verwandeln muß, bevor ihr Vorschlag diskutiert werden kann. In El Salvador wagt es keiner, zu den Generälen und Obristen so zu reden, wie wir es tun. Man muß also bewaffnet sein, um mit ihnen reden zu können.

Die Delegationsmitglieder hörten uns zumindest zu. Das Problem ist, daß sie keine Entscheidungskompetenz haben. Wenn wir Druck gemacht hätten, dann hätte es vielleicht ein Abkommen gegeben. Aber dann hätten die Herren vielleicht in Costa Rica bleiben müssen.

Nach welcher Strategie geht die Regierung in diesen Gesprächen vor?

Sie haben auf Dialog ohne Verhandlungen gesetzt und dabei gehofft, daß wir immer schwächer werden. Sie glaubten, daß wir unter internationalem Druck Konzessionen machen müßten und sie nicht. Aber der Druck betrifft uns alle. Und das Umfeld der sozialen Polarisierung macht es der Regierung immer schwieriger.

Aber die internationale Konstellation nützt eher der Regierung.

Ich glaube nicht. Sie wird verhandeln müssen. Das hat sich gestern vor all den internationalen Zeugen und Beobachtern gezeigt. Wir wollten über Politik reden, und die Regierungsleute haben sich strikt geweigert. Es hat Momente gegeben, da sahen wir uns nur mehr stumm in die Augen, denn mit dieser Delegation kann man nichts aushandeln.

Worüber ist denn fast drei Tage lang gesprochen worden?

Am ersten Tag haben wir nach 11 Uhr angefangen. Die erste Etappe war mit der Vorstellung der jeweiligen Pläne ausgefüllt. Am Nachmittag begann die Diskussion um die Tagesordnung. Wir wollten, daß unser Vorschlag zuerst diskutiert würde, weil die Regierung schließlich vier Wochen Zeit gehabt hatte, sich dazu eine Meinung zu bilden, während für uns der Regierungsplan neu war. Am nächsten Tag nahmen wir zu ihrem Vorschlag Stellung und kritisierten ihr Konzept von Einstellung der Feindseligkeiten ohne vorherige politische Abkommen.

Als sie sich darüber beklagten, daß wir zuviel Papier produziert hätten, das sie studieren müssen, brachten wir das Beispiel von Daniel Ortega, der im August in einer einzigen Sitzung von 25 Stunden mit der Opposition eine Unmenge von hochpolitischen Punkten diskutiert hatte. Wir schlugen also vor, daß die Sitzung verlängert werde, bis ein Ergebnis zustande käme. Darauf wollten sie bereits eine Redaktionskommission für das Schlußdokument einsetzen und die Gespräche abbrechen. Wir hatten aber bis dahin noch nichts Inhaltliches diskutiert. Wir beklagten uns, daß wir über Agenturmeldungen und andere öffentliche Kanäle mehr über die Position der Regierung zu unserem Vorschlag erfahren hatten als von der Delegation selbst.

Interview: Ralf Leonhard

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