: Reformschub in der 'Prawda‘
■ Neuer Chefredakteur des sowjetischen Parteiorgans 'Prawda‘ ist Reformer der ersten Stunde Michail Gorbatschow fordert den Rücktritt von 'Argumenti i Fakti'- Chef Starkow
Moskau (afp) - Mit Iwan Frolow ist ein Reformer der ersten Stunde zum neuen Chefredakteur des sowjetischen Parteiorgans 'Prawda‘ ernannt worden. Dies gaben Beobachter am gestrigen Freitag in Moskau bekannt.
Der 60jährige Philosoph mit dem Schwerpunkt Erkenntnistheorie hatte am Donnerstag den sieben Jahre älteren Viktor Affanasjew abgelöst, der in der Öffentlichkeit wiederholt wegen seiner konservativen Positionen kritisiert worden war.
Iwan Frolow, der von 1986 bis 1987 das Magazin 'Kommunist‘ leitete, machte bereits im Jahr 1979 durch einen progressiven Artikel in der 'Prawda‘ auf sich aufmerksam, in dem er die „Kooperation zwischen Staaten mit entgegengesetzten politischen Systemen“ befürwortete. In der Folgezeit entwickelte Frolow diese Idee noch weiter.
Die Entlassung Affanasjews folgte einem Treffen von Staats und Parteipräsident Michail Gorbatschow mit Medienvertretern in der vergangenen Woche.
Das Reformblatt 'Moskowskije Nowosti‘ (Moskau News) berichtete, Michail Gorbatschow habe dort die „Exzesse“ der Presse kritisiert und im Anschluß daran sowohl konservative als auch progressive Journalisten zur Ordnung gerufen. Besonders heftigen Angriffen sei der Chefredakteur der Zeitschrift 'Argumenti i Fakti‘, Wjatscheslaw Starkow, ausgesetzt gewesen, dessen Rücktritt Gorbatschow gefordert habe.
Starkow tritt nicht ab
Der radikale Verfechter der Perestroika weigerte sich jedoch, unterstützt von seiner Belegschaft, seinen Posten aufzugeben. Das Magazin ist mit 20 Millionen Exemplaren wöchentlich die auflagenstärkste Zeitschrift in der Sowjetunion. In den letzten zwei Jahren verdoppelte das Perestroika-Blatt seine Auflage.
Alkohol im Spiel?
Verschämt war am Freitag in der 'Prawda‘ die Meldung erschienen, daß der Bitte ihres langjährigen Chefredakteurs V.G. Affanassjew stattgegeben wurde, ihn von seinem Posten zu entbinden, auf daß er sich wissenschaftlicher Tätigkeit widmen könne. Gegenstand seines geplanten Buches: das menschliche Gedächtnis. Eben gerade dieses hatte den Chefredakteur am Abend des 18.September im Stich gelassen. Erst kürzlich hatte der Apparatschik Affanassjew in einem Interview die Pflicht des Journalisten zum Schutz der Persönlichkeit hervorgehoben. Er ließ es aber zu, daß in seinem Blatt ein Revolverartikel aus der italienischen 'Repubblica‘ über Jelzin plaziert wurde, der sich gerade auf einer Amerikareise befand. Dem Reformpolitiker wurde darin vorgeworfen, er saufe sich durch die USA.
Aus der Redaktion drang das Gerücht, der Abdruck des Artikels sei von einem ZK-Mitglied gefordert worden, und Affanassjew als einziger, der sich dem hätte widersetzen können, hätte an jenem Abend selbst unter Alkoholeinfluß gestanden.
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