: Der „Doppelstaater“ - Übel oder Normalfall?
Auf einer Fachtagung in Berlin schlagen Experten eine Bresche für die doppelte Staatsbürgerschaft / Unter Ausländerbeauftragten, Kirchen und Fachleuten regt sich Widerspruch gegen den Entwurf von Bundesinnenminister Schäuble für ein neues Ausländerrecht / „Übel-Doktrin“ ist völkerrechtlich nicht haltbar ■ Von Andrea Böhm
Berlin (taz) - Das Podium war hochkarätig besetzt, die Debatten lebhaft und konstruktiv, und der Tagungsort sorgte für historisches Ambiente: Im ehemaligen Reichstag referierten auf Einladung der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John ExpertInnen aus dem In- und Ausland drei Tage lang zum Thema „Doppelte Staatsbürgerschaft - ein europäischer Normalfall?“ Allerdings überschattete einer das Treffen, der gar nicht anwesend war: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der in seinem Gesetzentwurf zum Ausländerrecht der doppelten Staatsbürgerschaft nochmals eine Absage erteilt hat. In seinem kürzlich vorgelegten Referentenentwurf gilt weiterhin die Maxime: entweder nur Deutscher oder gar nicht; wer eingebürgert werden will, muß seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben - von besonderen Härtefällen einmal abgesehen. „Sonst will er sich hier nicht wirklich integrieren“, erklärte der Minister noch vor ein paar Tagen in einem Interview mit der 'Süddeutschen Zeitung‘. Angesichts dieser Unbeweglichkeit beließ man es in Berlin nicht beim Fachsimpeln, sondern teilte kräftig Hiebe gegen den „Schäuble-Entwurf“ aus.
Der Status quo war schnell referiert: Mit einer Einbürgerungsquote von 0,3 Prozent markiert die Bundesrepublik das Schlußlicht unter den westeuropäischen Staaten. Dabei leben fast 60 Prozent der rund 4,5 Millionen AusländerInnen in der Bundesrepublik länger als zehn Jahre hier und erfüllen damit zumindest ein Einbürgerungskriterium. Zusätzlich verlangt werden Deutschkenntnisse, eine „dauernde Hinwendung“ zu Deutschland, das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eben die Aufgabe der ursprünglichen Staatsbürgerschaft. Nur so glaubt man in der Bundesrepublik, sich der ungeteilten Loyalität der Neu-Deutschen zu versichern.
Nationales Denken mit Mehrstaatigkeit überwinden
Das sei nichts weiter als „die völlige Unterwerfung unter den Nationalstaat“, hielt Dieter Oberndörfer, Professor am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg und Mitglied der CDU, dagegen. Er plädierte leidenschaftlich wider das nationale Denken und für die Mehrstaatigkeit. Die Einbürgerung dürfe nicht länger ein Ermessensakt sein, sondern müsse einklagbares Recht werden. Laut Artikel 116 des Grundgesetzes hat ein Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft nur, wer Vorfahren aus dem Gebiet des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937 hat oder Flüchtling oder Vertriebener „deutscher Volkszugehörigkeit“ ist. Darin sieht Oberndörfer einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes - eine Interpretation, die angesichts wiedererwachter Deutschtümelei viele seine Parteifreunde nach Luft schnappen läßt. Was nationalkonservative Geister in Empörung versetzt, ist für Kinder aus bi-nationalen Ehen längst Realität. Gegen den Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft bei der Geburt hat die Bundesrepublik nämlich nichts einzuwenden, auch wenn damit ein „Doppelstaater“ heranwächst. 1974 wurden per Bundesverfassungsgerichtsurteil auch die Kinder gleichberechtigt, denen bis dahin ein deutscher Paß verwehrt geblieben war, weil sie „nur“ von einer deutschen Mutter abstammten. In dieser Entscheidung formulierten die Karlsruher Richter jedoch zugleich die sogenannte „Übel -Doktrin“. Doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit sei als Übel zu betrachten, das „sowohl im Interesse der Staaten wie im Interesse der Bürger vermieden werden sollte“. Seitdem können die Behörden mit ihrer unverhohlenen Abneigung gegen „Doppelstaater“ auf eine juristische Legitimation zurückgreifen. Wer eine Einbürgerung versucht oder gar hinter sich hat, kann ein Lied davon singen. Allerdings ist diese Auslegung nach Ansicht des Hamburger Rechtswissenschaftlers Helmut Rittstieg völkerrechtlich nicht haltbar. Doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaften sind im Völkerrecht ausdrücklich nicht verboten. Die Übel -Doktrin müsse deshalb „aus dem juristischen Argumentationsmaterial verschwinden“.
Das fordern in dieser Konsequenz bislang nur die Grünen in ihrem Gesetzentwurf vom Mai 1989. Sie wollen allen hier lebenden Ausländern das Recht auf Einbürgerung einräumen, wenn sie sich rechtmäßig mindestens fünf Jahre hier aufgehalten haben. Auf seine alte Staatsangehörigkeit müßte niemand verzichten. Die SPD hatte bereits im März einen eigenen Antrag eingebracht, wonach Anspruch auf Einbürgerung dem zusteht, der sich seit dem zehnten Lebensjahr im Bundesgebiet aufgehalten hat. Ganz im Sinne der Übel-Doktrin verlangen die Sozialdemokraten jedoch, die alte Staatsbürgerschaft aufzugeben - Ausnahmen sind nur in Härtefällen möglich.
Die Aufgabe der eigenen Staatsbürgerschaft bedeutet für türkische EinwanderInnen zum Beispiel, daß sie über Eigentum in der Türkei nicht mehr frei verfügen und Gelder nicht mehr transferieren können, sondern bei der türkischen Zentralbank deponieren müßten. Solche Probleme wären durch eine doppelte Staatsbürgerschaft gelöst. Eine Privilegierung von „Doppelstaatern“, zum Beispiel durch doppeltes Wahlrecht, ergibt sich dabei für Professor Hakki Keskin vom „Bündnis Türkischer Einwanderer“ in Hamburg nicht, wenn man das Prinzip einer „ruhenden“ und einer „aktiven“ Staatsbürgerschaft einführe.
Die „Konsensfähigkeit“ bröckelt
Bei so viel Einmütigkeit unter Referenten und Ausländerbeauftragten mochte bei der abschließenden Pressekonferenz nicht einmal der Vetreter des Bundesinnenministeriums, Staatssekretär Hans Neusel, die Haltung seines obersten Dienstherren zur doppelten Staatsbürgerschaft so recht verteidigen. „Wir müssen das halt so hinnehmen“, meinte er. Zurück in Bonn, dürfte Neusel seinem Minister berichtet haben, daß der Unmut über seinen Referentenentwurf wächst - nicht nur in bezug auf das Nein zur Mehrstaatigkeit. Rosi Wolf-Almanasreh, seit kurzem hauptamtlich im rot-grünen Frankfurt zuständig für multikulturelle Angelegenheiten, forderte in Berlin eine „konzertierte Aktion von Ausländerbeauftragten oder auch dem Städtetag“, um das Gesetz in dieser Form zu verhindern. Während sich die SPD noch nicht so ganz einig ist, ob sie den Entwurf eigentlich ganz akzeptabel oder unmöglich finden soll, haben die katholischen Bischöfe, der DGB und die Ausländerbeauftragten Berlins, Niedersachsens und von Rheinland-Pfalz massive Kritik angemeldet. Ein paar Nachbesserungen im Rahmen der legislativen Beratungen werden nicht viel helfen. „Die Frage ist, ob man diese Leute irgendwann als neue Bürger betrachten will oder weiterhin als Ausländer mit einem Sonderrecht und somit minderen Rechten“, erklärte Hakki Keskin. Letzteres, so glaubt er, „werden die nicht länger hinnehmen.“
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