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Gegengewerkschaft in der DDR

Erste unabhängige Arbeiterinteressenvertretung gegründet / FDGB abgemeiert: „Wir wollen ein zusätzliches Standbein der Reformbewegung sein“ / SED, FDJ und Kampfgruppen sollen aus Betrieben verschwinden  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - In Ost-Berlin hat eine unbekannte Zahl von Mitarbeitern des Geräte- und Reglerwerks „Wilhelm Pieck“ am Montag die erste unabhängige Betriebsgewerkschaft namens „Reform“ gegründet und ihr Beispiel zur DDR-weiten Nachahmung empfohlen. Damit gaben sie auf ihre Weise eine Antwort auf die Ankündigung des Vorsitzenden des SED-nahen Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), Harry Tisch, seine Organisation millimeterweise von der Partei abzurücken.

Harry Tisch hatte in einem gestern von DDR-Postillen groß aufgemachten Bericht gesagt, er halte nichts davon, „wenn in Betrieben von einem Dreiklang, also von schematischer Zusammenarbeit von Gewerkschaft, Betriebsleitung und Partei gesprochen“ werde. Sollte der FDGB - 1983 verfügte er über rund neun Millionen Mitglieder - glauben, mit diesem windelweichen „Befreiungsschlag“ die Debatte in den Betrieben befrieden zu können, dürfte er sich getäuscht haben.

Unmißverständlich fordern die Initiatoren der „Reform„ -Gewerkschaft die „Einstellung der Tätigkeit nichtgewerkschaftlicher Organisationen in den Betrieben“. Namentlich aufgeführt werden SED, Betriebskampfgruppen, FDJ und die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Deren Aktivitäten wirkten sich „negativ auf Betriebsgewinn und Effektivität“ aus, erklärte „Reform„-Begründer Ralf Börger in einem BBC-Interview.

Im übrigen begreift sich die neue Gewerkschaft als „zusätzliches Standbein der Reformbewegung“. In dem Forderungskatalog und einem Vorschlag zur Diskussion programmatischer Schwerpunkte fehlt kein einziger der aktuellen Reformwünsche der DDR-Opposition. Zusätzlich wird gefordert: „allgemeines Streikrecht“, „Eigenständigkeit der Betriebe“ gegenüber staatlichen Organen sowie die „Aufhebung jeglicher Privilegien“ (siehe Dokumentation Seite 8).

Daß jetzt die „Reform„-Gewerkschaft gegründet werden mußte, erklärt Ingenieur Ralf Börger mit dem Mißtrauen der Werktätigen in den FDGB. Börger: „Bei uns im Betrieb wie auch in vielen anderen Betrieben zersetzt sich langsam, aber sicher die Basis des FDGB. Eine Reihe von Kollegen tritt aus. So entsteht ein Vakuum, das leicht zu Unruhen und wilden Streiks führen kann. Wir wollen das Chaos verhindern, möchten die Unzufriedenheit auffangen.“ Das Interesse an der neuen Organisation sei groß, „aber man braucht noch etwas Zivilcourage, sich offen zu den unabhängigen Gewerkschaften zu bekennen. Das wird sich in den nächsten Wochen ändern.“

Wie viele der 6.000 Beschäftigten im VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow den FDGB bereits verlassen haben - 1983 lag der Organisationsgrad der DDR-Werktätigen bei 97,2 Prozent -, ist nicht bekannt. Nach Angaben von Börger sollen „ganze Abteilungen“ dem „Bündnispartner der SED“ den Rücken gekehrt haben.

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