BERICHT IN EINER AKADEMIE

■ vorgetragen ebendortselbst von der Theaterfrau Ellen Esser

A: Tach, bin ich hier richtig bei der Arbeitsvermittlung für darstellende Künste?

B: Nu freilich.

Ick komm‘ von drüben. Da bin ick in die jeplante Kultur nich‘ rinjekommn, weil meen Vater Chefarzt war, sollt‘ ick 'ne Schneiderlehre machen.

Ick komm‘ ooch von drüben, ick weeß Bescheid.

Na dufte.

Was kann ich für Se tun?

Mein Name ist Nora Meier, Künstlername Rita Müller. Ich würde jern Chefin beim Theater werden, und ick möchte jerne wissen, wie man det hier wird.

Sie sind hier bei der Vermittlungsstelle für Schauspieler, Intendanten oder Direktoren werden gar nicht vermittelt.

Ach, die wer'n jar nich‘ vermittelt? Na wat denn?

Die werden vorgeschlagen oder gründen ein Theater.

Jut. Also vorjeschlagen. Na, mich kennt ja keener.

Da sehn Se's selbst.

Na, und wie könnte man mich kennenlernen?

Da müßten Se 'n paar erfolgreiche Theaterinszenierungen jemacht ham.

Jut. Jebongt. Aber Sie vermitteln ja keene Regisseure.

Nee, janz selten. Es werden kaum Regisseure nachjefragt.

Ach so, die werden kaum nachjefracht? Wat wird denn nachjefracht?

Bekannte Schauspieler.

Vastehe. Ick, könnt‘ ick ooch nachjefracht wer'n?

Na, junge flotte Mädchen wer'n ooch nachjefragt.

Det is ja jut, denn kann ick ja so bekannt wer'n.

Beim Film ja. Beim Theater kaum.

Ach nee, beim Theater wird man nich‘ bekannt?

Kaum, oder kennen Sie 'ne Theaterschauspielerin?

Katharina Thalbach.

Und woher kenn‘ Se die?

Von drüben.

Und sonst?

Doch, ick kenn‘ 'ne Cornelia Frobess.

Und woher kenn‘ Se die?

Vom Film. Ick seh‘ schon, so komm‘ wa nich‘ weiter. Jetzt noch ma‘ von vorne. Kann ick als junget hübschet Mädchen Regisseurin wer'n?

Ausgeschlossen. Es gibt in Westdeutschland sechs Regisseurinnen, die eene war mit eenem Intendanten verheiratet, die andere war eene berühmte Schauspielerin, die dritte kämpft soviel, des se alle zwei Jahre in 'ne Klinik muß, die vierte arbeetet schon seit Jahren dafür, des se ooch Jeld für ihre Arbeet bekommt, die fünfte und sechste kenn‘ Se nich‘. Also, was wollen Se?

Ham die erfolchreiche Theaterufführungen jemacht?

Ja, die eene schon.

Det sieht ja mau aus.

In der Bundesrepublik Deutschland bewerben sich jährlich dreimal soviel Frauen wie Männer als Schauspieler, werden dreimal sowenig Frauen als Schauspielerinnen ausgebildet und davon geht nach zehn Jahren ein Drittel vom Theater ab, weil sie zu alt geworden sind.

Ick will doch jar nich‘ Schauspielerin wer'n.

Das is 'ne kluge Entscheidung.

Ick muß doch ers‘ ma‘ Regie führen.

Wer sacht, daß Se des müssen?

Na Sie, ick will doch vorjeschlagen wer'n.

Also, junges Frollein, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es eene Intendantin.

Und wurde die vorjeschlagen?

Nee, die hat sich da in der Gägend im sogenannten Off -Theater 'n Namen gemacht.

Na, det is‘ doch 'ne Idee.

In der Bundesrepublik Deutschland besteht eischentlich überhaubt keen Kondakt zwischen Staads- und Off-Theater.

Sie törnen eenen ja janz scheen runter.

Hören Se zu, die meesten Theater werden von Frauen geleitet oder organisiert.

Na, also doch.

Im Hintergrund. Da könn‘ Se hinjehn.

Im Hintergrund? Und im Vordergrund?

Im Vordergrund ist das deutsche Staadstheater gerade mit seinem Selbstmord beschäftischt. Beim deutschen Staadstheater, da muß 'n Patriarch an die Spitze, und jetzt ham doch unsere Männer 'ne Krise, weil wir Frauen se überall beschneiden und ihnen alles wegnehmen, und deshalb ham se so een traurisches Endzeitjefühl, und da stehn se alle ordentlich uff der Bühne rum und räden über die Zerstörung des Läbens.

Ick find‘ det aber manchmal superscheen, wat die da so machen.

Ja, wunderscheen is‘ det und teuer, aber is‘ halbdot.

Na, ick merk‘ schon, da stört man nur.

Außerdem, selbst wenn, was wollten Se denn für Stücke ufführn?

Is‘ schon wahr, mehr so 'ne lebendschen Stücke. Wo det ooch mal fetzt, ick meene, ick erwarte ja noch wat von der Zukunft.

Und wo wollen Se die Stücke herkriejen, bitte scheen?

Weeß ick nich‘. Jibts denn keene Frauen, die sowat schreibn?

's wird bei uns nich‘ nachjefragt. Also weeß es keener. In der Bundesrepublik Deutschland werden eischentlich überhaubt keene läbenden Audoren uffjeführt, bis uff die paar, die rüberjekommen sind. Nu, 's jibt 'n paar, aus Österreich. In den Stücken kommen ein oder zwei alte Männer vor, die übers Endzeitjefühl räden. 's jibt auch 'n paar Frauen. Aus Österreich.

Mensch, Se ham mir echt kleinjekrischt. Jut, denn mach‘ ick wat eijenet. Det jeht doch hier im Westen.

Nee, nich‘ bei der Post, bei der Bahn und nich‘ beim Theater, da herrscht Planwirtschaft. 's wird alles vom Staat bezahlt.

Wieso, det jibt doch haufenweise kleene Theater.

Und ick sache Ihn‘, die werden ooch alle vom Staat bezahlt, die kriejen halt wenijer.

Die kriejen alle Jeld vom Staat?

Na, Subventionen oder Sozialhilfe.

Ach, det is‘ die Freiheit? Denn will ick mir ma‘ 'ne Freiheit nehm‘. Ick stell‘ mir vor, wie det sein müßte: 50 Prozent Stücke von Frauen, 50 Prozent Regie von Frauen und 50 Prozent sojenannte Intendantinnen. Oh Frau, da hätt‘ ick doch 'ne Zukunft!

Das läßt sich kaum in der Verwaltung durchsetzen, aber im Theater isses ausjeschlossen.

Det is‘ aber höchste Eisenbahn, det ham wa doch jesehn.

Junge Frau, een Intendant muß in seenem Haus willkürlich schalten und walten können, sonst kann er ja nich‘ arbeeten.

Det is ja wie im Absolutismus; und det Recht der ersten Nacht, jibts det ooch noch?

Werden Se nich‘ unsachlich. Künstler können sich nicht reinräden lassen, det weeß doch jeder.

Det soll Kunst sein, wat die da machn? Det is‘ 'ne Theaterfabrik, wo Kunst am Fließband herjestellt wird. Det war drüben ooch nich‘ viel besser. Bloß, die woll'n noch wat sagen.

Isch weeß, 's kommt von der Planwirtschaft.

Marketing, sowat kenn‘ die nich‘.

Ja, aber Demokratie und Kunst, det is nu‘ mal 'n Widerspruch.

Jut, denn müssen wir det bestimmen. Für zehn Jahre wird die Hälfte von der Staatsknete im Theater für Frauen ausjejeben.

An welche Frauen haben Sie denn da jedacht?

Vülle verschiedene, damit det nich‘ so 'ne Einheitssoße wird.

Dann müssen Frauen immer Frauenstücke ufführen, ooch wenn die denen jar nich‘ jefallen?

Glauben Se, det die Frauen überhaubt keene Stücke von Frauen finden, die ihnen jefallen?

Vielleicht wollen se ooch Stücke von Männern ufführen.

Denn führen 'n paar Männer Stück von Frauen uff.

Für zehn Jahre soll die Hälfte aller Stücke von Frauen sein? Det wär‘ ja völlig unjerecht für die läbenden Audoren. Denn die andere Hälfte wer'n unsere Glassiger einnähm'n.

Denn müssen die ooch mehr uffn Putz haun. 'n bißchen frischer Wind...

's Jespräsch nimmt jetzt 'ne andere Richtung an. Da is‘ Ihnen, da kann ick Ihn‘ sowieso nich‘ helfen.

Zu wem muß ick da jehn?

Versuchen Se's bei der Poletik. 'sch meen, die Frauen hams da ooch so jemacht. Das wär‘ die eenzsche Möschlichkeet.

Mach ick. Un‘ bis det durch is‘?

Junge Frau, da üben Se eben noch solange.