: Vorlauf: Brutale Konsequenzen
■ Quarantäne - Fiktion und Wirklichkeit
(Quarantäne - Fiktion und Wirklichkeit, ARD, 20.15 Uhr) Der heutige Abend im Ersten steht ganz im Zeichen des Versuchs, fiktionales Fernsehspiel und dokumentarisches Essay miteinander zu verbinden. Das Thema legt es nahe, sich auf den aufklärerischen Aspekt, den verfassungsgerichtlich festgelegten kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu besinnen. Im Zeitalter von Aids und einer bayerischen Absonderungspolitik sind grundlegende Fragen des Umgangs mit ansteckenden Krankheiten und den Betroffenen nicht nur Moment gesundheitspolitischer Diskussionen, sondern auch und vor allem Fragen des Umgangs mit Ängsten, individuellen wie kollektiven. Um diese Ängste geht es vor allem in dem SWF-Fernsehspiel Quarantäne, zu dem der bekannte Krimi-Autor Fred Breinersdorfer das Drehbuch verfaßte. Im Mittelpunkt steht der Richter Betz, der über die Absonderung der von einem neuen Virus infizierten Personen zu befinden hat. Die Rechtsprechung nach dem Bundesseuchengesetz erweist sich als unzureichend, wenn sie gemeinsam mit Medizin und Politik das tut, was sie für den Schutz des Bürgers und das Gemeinwohl hält. Als Betz‘ Freundin, gespielt von der „Reporterin“ Renan Demirkan, selbst infiziert ist, bricht für den Richter die bis dato zwar schon brüchige, aber sonst heile Welt der Justiz endgültig zusammen.
Das Drehbuch von Breinersdorfer macht den Eindruck, daß allzu oft versucht wurde, die politischen und moralischen Implikationen der Diskussion um Absonderung (Quarantäne) der Infizierten mit dem Dampfhammer in die persönlichen Geschichten des Richters Betz und seiner Freundin zu pressen, ohne daß deren Charaktere und Psychologie ausreichend entwickelt worden wären. Dank der Regie von Nico Hoffmann und der Kamera von Johannes Hollmann ist dennoch ein Fernsehspiel entstanden, das zu einem ästhetischen Genuß wird, wenn man sich auf die Spiele mit Licht und Farbe (bläulich, milchiges Licht, in das sich das Rot als Signal-, Warn- und Blutfarbe mischt) einläßt. Dann wird dieses Fernsehspiel zu einem beeindruckenden Fernseherlebnis, das als Fiktion seine realen Spuren im Gedächtnis hinterläßt.
Den anschließenden dokumentarischen Filmessay von Gero von Boehm sollte man sich besser nicht anschauen, da allein der Versuch (Essay), sich dem Thema Seuchen und Quarantäne dokumentarisch zu nähern, gescheitert ist. Zudem wird dadurch der nachhaltige Eindruck, den das Fernsehspiel hinterläßt, nur neutralisiert.
Lothar Mikos
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