piwik no script img

Reform des Abtreibungsgesetzes

In Belgien sind Schwangerschaftsabbrüche bislang grundsätzlich verboten / Im Parlament wird zur Zeit über eine Reform diskutiert / Abstimmung nicht vor November erwartet  ■  Aus Brüssel Klaus Haas

Seit Dienstag wird im Brüsseler Senat über einen Gesetzesvorschlag debattiert, der Chancen hat, das antiquierte Abtreibungsgesetz in Belgien zu reformieren. Die Initiative sieht die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen vor, wenn die Frau ihrem Arzt eine soziale, physische oder psychische Notlage darlegt und eine sechstägige Bedenkzeit einhält. Der Abbruch darf nur unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden. Zuvor muß die Frau über Risiken der Abtreibung und mögliche Alternativen informiert werden.

In der Europäischen Gemeinschaft ist Belgien neben Irland das rückständigste Land, was Schwangerschaftsabbrüche betrifft. Dort gilt immer noch ein Gesetz aus dem Jahre 1867, das den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet. Die Praxis aber sieht anders aus. Halbwegs offiziellen Statistiken zufolge entscheiden sich jährlich etwa 16.000 Belgierinnen für einen Abbruch. Die meisten lassen den Eingriff straffrei, aber teuer in den Abtreibungskliniken der benachbarten Niederlande durchführen. Belgien exportiere sein Abtreibungsproblem, heißt es auf seiten der Kritiker zu Recht.

Aber auch in Belgien gibt es Kliniken, die unter stillschweigender Duldung der Gerichte Abbrüche vornehmen. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Gerichtsbezirken im Land. Konservative Richter verurteilen regelmäßig ÄrztInnen und Frauen, die in einem anderen Gerichtsbezirk straffrei ausgegangen wären.

Die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Gesetzgebung sei nicht nur zutiefst ungerecht, sondern verletze grundlegend das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, argumentiert die liberale Abgeordnete Lucienne Herman-Michielsens, die gemeinsam mit dem Sozialisten Roger Lallemand auf eine Reform des Abtreibungsparagraphen drängt und schon 1985 den Entwurf einreichte, der jetzt zur Debatte steht. Bei der Abstimmung im Parlament, die nicht vor Mitte November erwartet wird, werden voraussichtlich die regierenden Sozialisten und aus der Opposition die Liberalen, die Grünen und die Brüsseler Sprachenpartei FDF stimmen.

Dagegen votieren auf jeden Fall die ebenfalls regierenden Christdemokraten und die Rechtsradikalen, die gemeinsam mit „Pro Vita“ und anderen „Bewegungen für das Leben“ eine wahre Verleumdungskampagne gegen Lucienne Herman-Michielsens führen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Christdemokraten eine Regierungskrise provozieren werden, wird das neue Abteibungsgesetz angenommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen