Standbild: Bereits Vergangenheit

■ Die letzten Tage der Hölle?

(Die letzten Tage der Hölle?, Di., 24.10., ZDF, 19.30 Uhr) Zwei Jahre hatten Gilles Dellannoy und Jean-Pierre Vaudon mit sowjetischen Behörden verhandelt, bevor ihnen die Erlaubnis erteilt worden war, einen Tag im Straflager „Perm 35“ zu drehen. Dann war es soweit: Die Kamera geschultert, stehen die Autoren vor den Toren des Gefangenencamps. Endlich geben die Wachoffiziere den Weg frei, und die Filmemacher „stürmen“ nach vorne. „Die Mauern transparent machen“, erklärt der Kommentar die Absicht, und die untergelegte Musik beschwört dabei eine düstere Atmosphäre.

Aufstehen, Essen fassen, arbeiten in der lagereigenen Fabrik, wieder Essen fassen usw. - der Film orientiert sich am Gefangenenalltag. Dazwischen: Gespräche mit Gefangenen: Um in Afrika einen Elefanten am Ohr zu streicheln, habe er versucht, die Sowjetunion illegal zu verlassen, antwortet einer der Häftlinge auf die Frage nach dem Grund der Haftstrafe. Die Reportage zeichnet das Bild eines barbarischen Systems, das sogar noch naive Kinderträume unbarmherzig sanktioniert.

Der Lagerkommandant erscheint als willfähriger Handlanger, der sich nicht so recht erinnern kann, wann der letzte Hungerstreik in „Perm 35“ stattgefunden hat. Die Kameraarbeit ist mehr als eindeutig: Die Froschperspektive macht den beleibten, dickhalsigen Lagervorsteher zum fetten Monstrum. Die Position des Films zu seinem Gegenstand stünde aber auch ohne diese hölzernen Kunstgriffe aus dem kleinen Einmaleins der Kameraführung außer Zweifel: Sprachrohr für die Unterdrückten, Feind der Unterdrücker. Das ist überaus integer, und trotzdem ist diese Reportage gescheitert. Zwar ist es den Autoren gelungen, durch die teilnehmende Beobachtung die Häftlingssituation exakt wiederzugeben, doch haben Dellannoy und Vaudon völlig übersehen, daß „Perm 35“ also der gewählte Ausschnitt der Wirklichkeit - binnen Jahresfrist der Vergangenheit angehören wird. Im Widerspruch dazu: die Suggestion von Aktualität durch die Wackelbilder einer fahrigen Schulterkamera. Vor zwei Jahren wäre der Film vielleicht eine Sensation gewesen, doch heute erscheinen Die letzten Tage der Hölle? trotz des Fragezeichens im Titel als die Arbeit zweier Journalisten, die, ungeachtet aller Veränderungen, einen einmal gefaßten Entschluß in die Tat umsetzen mußten. So ähnlich müssen es auch die ZDF -Verantwortlichen empfunden haben, die der Reportage ein Statement von Anatoli Nathan Scharantzki, dem prominenten Ex -Häftling von „Perm 35“, nachstellten. Die Erlaubnis, im Straflager zu drehen, so Scharantzki sinngemäß, sei gleichbedeutend mit dessen baldiger Schließung.

Friedrich Frey