piwik no script img

Wishfull Thinking

■ „Unter dem Funkturm“, Dienstag, 24. Oktober, Nordkette, 22.30 Uhr

Rückfall in die Unkultur“ und „Wie soll die Modernisierung in China ohne eine kritische Intelligenz bewerkstelligt werden“, das waren die zentralen Fragen, die Günter Bertram an die vier anwesenden Experten stellte. Gleich zu Beginn wollte er seine fundamentalen Landeskenntnissen beweisen, indem er seine Gäste nach „chinesischer Sitte“ begrüßte. Daß er den Vorsitzenden des Verbandes chinesischer Studenten Li Bo noch vor dem Philosophieprofessor Li Zhongshang vorstellte, zeugte nicht von großem Verständnis. Das gelang Rüdiger Machetzki vom Institut für Asienkunde schon eher. Daß er gut auf die Diskussionsrunde vorbereitet war, demonstrierte er gleich mit einer eindrucksvollen Statistik über die Demokratiewünsche der städtischen Jugend. Diese Daten aus dem Jahre 1987 benutzte er, um der Auffassung, die auch Bertram mit seiner Frage „Rückfall in die Unkultur?“ implizierte, China habe keine demokratische Tradition, zu widersprechen. Für ihn sind die chinesischen Demokratiebestrebungen bis weit in die Vergangenheit zurück zu verfolgen.

Li Zhongshang, der wohl für Bertram schwierigste Gesprächspartner in dieser Runde, sprach ausführlich über die lange und eigene Tradition in China, über das Verlangen nach Demokratie, die aber leider nicht vom Himmel fällt, um dann fast nebenbei anzudeuten, daß die Bevölkerung aber noch eine ausgiebige demokratische Schulung benötige. Sichtlich nervös unter dem Druck der knappen Sendezeit, war Bertram nicht ein einziges Mal in der Lage, den Professor ausreden zu lassen. Li Zhongshang, der Korruption, Inflation und ungleiche Einkommensverteilung als die größten Mißstände bezeichnete, konnte sich anstrengen, wie er wollte, Bertram gab ihm keine Chance.

Für das anwesende Publikum unter dem Funkturm, hauptsächlich chinesische Studenten, war er trotzdem der interessanteste Gesprächspartner dieses Abends. Während Machetzki immer mehr ins Dozieren geriet, Bertram ständig die Etikette verletzte, der Publizist und ehemaliges Vorstandsmitglied des SDS Christian Semler hin und wieder ein paar Ansichten von sich gab und durchaus intelligente Fragen stellte und Li Bos Meinung unter den Studenten wohlbekannt war, sorgte Li Zhongshang wenigstens für ungewollte Heiterkeit beim Publikum. Was Bertram in seiner Art des westlichen Journalisten, alles kurz und knapp auf den Nenner gebracht zu bekommen, nicht schaffte, gelang den jungen Chinesen spielend: Li Zhongshang als den einzigen in der Runde, der der Parteiführung noch kräftig die Stange hielt, zu entlarven.

Außer diesem amüsanten Spielchen am Rande war jedoch aus dieser Diskussion nicht viel Neues zu erfahren. Die bekannten Erklärungsmuster für die Ereignisse in Peking wurden wiederholt, der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und politischen Reformen diskutiert und über die Chancen der Demokratiebewegung philosophiert. Dabei zeigte Bertram mit seiner ungläubigen Frage nach der Reformierbarkeit der KP-China noch einmal, daß er an diesem Abend nicht auf der Höhe war. Beispiele aus anderen sozialistischen Ländern schienen ihm unbekannt. So war seine ausleitende Hoffnung, daß die Diskussionsrunde neue Erkenntnisse zu Tage gebracht habe, genauso ein „wishfull thinking“, wie es während der Sendung allen bescheinigt wurde, die noch im Frühling in Deng Xiaoping einen ernsthaften Reformer gesehen hatten.

Mash

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen