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Unverbindlicher Massendialog oder Runder Tisch?

Mit dem Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, möchte die SED die Bürgerbewegung kanalisieren/ Während die Partei mit zahllosen Dialogangeboten auf Unverbindlichkeit setzt, fordert die Opposition gleichberechtigte Verhandlungen  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - „Der Dialog überall im Lande ist und bleibt im Gange.“ Mit Entschiedenheit, fast drohendem Unterton versucht das 'Neue Deutschland‘ in der gestrigen Ausgabe alle Zweifel an der Ernsthaftigkeit der jüngsten Parteioffensive zu zerstreuen. In Dresden initiiert SED -Bezirkssekretär Modrow Diskussionsforen in allen öffentlichen Sälen der Stadt. Für Sonntag lädt Hauptstadtbürgermeister Krack unter dem Motto „offene Türen

-offene Worte“ zum „Berliner Sonntagsgespräch“ mit Politbüromitglied Günter Schabowski, dem Präsident des Schriftstellerverbands Hermann Kant und unzähligen anderen Partei- und Verbandsfunktionären. Alle haben sie in den letzten Wochen ihr Faible fürs offene Wort entdeckt.

Schneller als jetzt in der DDR wurde selten die kritische Forderung der Bürger nach Teilhabe am gesellschaftlichen Entscheidungsprozeß in eine offizielle Kampagne umfunktioniert.

Die Partei versucht mit der neuen Offenheit aus der Defensive zu kommen, scheint aber ansonsten den Dialog als unverbindliches gesamtgesellschaftliches „brainstorming“ zu betrachten. Die Partei hofft, den Dialog als Ventil der gesellschaftlichen Unruhe instrumentalisieren zu können. Für die Opposition geht es in erster Linie um Mobilisierung und Verbreiterung ihrer Basis und um die Überführung der Diskussion in gesellschaftlich autorisierte Verhandlungsrunden.

Die jüngste Liberalisierung des politischen Klimas und der Berichterstattung der Medien haben eine Dynamik entwickelt, die auch mit dem Versuch der Partei, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, nicht gebrochen wurde. Das hängt zusammen mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der Partei, mit ihrem provozierend unvermittelten Wechsel von Bevormundung zur neuen Offenheit aber auch mit dem offenkundigen Bestreben, den Unmut in berechenbare Bahnen zu lenken.

Nur unter dem Druck der Demonstrationen hat sich die Partei unters Volk gemischt. Kein öffentlicher Parteiauftritt ohne die Mahnung, zu geregelten Formen der Auseinandersetzung zu kommen. Keine Dialogaufforderung, die nicht auch von drohenden Untertönen flankiert wird. Die Veröffentlichung der brutalen Polizeiübergriffe vom 7. und 8. Oktober wird jetzt von seiten der Polizeiführung mit Vorwürfen gegen die Demonstranten gekontert. Die Versuche des Ostberliner Polizeipräsidenten Rausch bei seiner Pressekonferenz, einen „harten, militanten Kern“ der Demonstranten auszumachen, passen zum Tabu, mit dem die Medien die Oppositionellen Gruppen zu belegen versuchen. Die angeblichen Gewalttaten zielen auf die Verunsicherung der Bürger. Mit dem Totschweigen der Opposition versucht die Führung das Gros der Bevölerung über die grundlegenden Veränderungsperspektiven im Unklaren zu halten.

Für den Umbruch in der DDR konkretisieren sich derzeit zwei Optionen. Stabilisierung der Situation mit Dialogangboten und Konzessionen, die an der politischen Entscheidungsstruktur „auf der Basis der geltenden Verfassung“ nicht rühren, oder Überführung der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung in gleichberechtigte Verhandlungen zwischen Staat und Opposition.

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