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Der Chinaboykott ist zu Ende

■ Auch nach dem Massaker vom 4.Juni haben ausländische Investoren Vertrauen in das Hardliner-Regime

Eine Schamfrist hat es für deutsche Anleger in Peking nie gegeben. Kaum eine Woche war vergangen nach dem Massaker auf dem Tiananmen, da tönte Botschafter Hellbeck in Peking bereits: „Die deutschen Firmen können da wieder anfangen, wo sie aufgehört haben.“ Der finanzielle Spielraum der chinesischen Regierung ist seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung allerdings enger geworden. Konzept- und kopflos setzen die Hardliner auf eine wirtschaftspolitische Rückkehr in die 50er Jahre.

Blieb der Studentenmord in China wirtschaftlich ohne Folgen? Viereinhalb Monate nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens sucht die Pekinger Führung immer noch die wirtschaftspolitische Antwort auf die Ereignisse vom Tiananmen. Provokativ titelt die Hongkonger 'China Review‘ in Anspielung auf das vergangene Blutbad: „Eine tödlich verletzte Volkswirtschaft“.

Ausländische Investitionen im Wert von annähernd 25 Milliarden D-Mark seit 1979 haben Chinas Wirtschaftswunder der achtziger Jahre ermöglicht und dabei klargemacht, daß die Würfel nicht in Peking fallen. Seit Wochen schon bangen Pekings Planherren um die bisher aufgeschobene Entscheidung der Weltbank, die im Juni stornierten Kredite erneut freizugeben. Mit dem grünen Licht der Weltbank hofft China auf eine rasche Normalisierung der außenwirtschaftlichen Beziehungen.

Anders als es Botschafter Hellbeck zunächst vermuten mochte, mußte China für den Schießbefehl auf dem Tiananmen bisher teuer bezahlen. Die Tourismusbranche litt als erste. Die Devisenverluste aus dem Reisegeschäft schätzen Experten bereits auf über 2,5 Milliarden D-Mark. Es folgten politische Entscheidungen im Westen, wie etwa der Verzicht von Peugeot auf ein Joint-venture. Abgebrochen wurden die Verhandlungen über einen 10-Milliarden-Mark-Kredit japanischer Banken. Prestigeprojekte, wie beispielsweise der Autobahnbau Kanton-Hongkong, sind gestoppt. Fast schien es, als gehorche das ausländische Kapital den moralisch motivierten Rückrufen aus den Heimatländern.

Viereinhalb Monate später jedoch hat sich insbesondere in Japan der Wind gedreht. „Wir sind als erste gegangen und kommen als erste zurück“, zitiert eine Tokioter Tageszeitung den derzeit gängigen Spruch in Nippons Geschäftswelt. Nachdem das japanische Außenministerium Ende September einen Erlaß aufhob, der japanischen Staatsbürgern davon abriet, China zu bereisen, ging ein leises, aber deutliches Aufatmen durch die Chefetagen von Nippons Wirtschaft. „Zwar glaube ich nicht an eine rasche Normalisierung der chinesischen Verhältnisse“, erlaubt sich Panasonics Asienchef Tahara eine deutliche Bemerkung, „aber als großer Markt ist China einfach faszinierend, und daran ändert sich nichts.“ Beim Elektromulti Hitachi, der im Juni kurz vor dem Abschluß eines Joint-venture-Vertrags mit China stand, weist man auch auf die veränderte Haltung der eigenen Regierung hin: „Bisher hat sich unsere Regierung in der Chinafrage sehr vorsichtig gezeigt, um Europa und die USA nicht zu verärgern. Dieses Klima hat sich nun wieder verbessert.“ Heute fühlt sich Hitachi sicher genug, die Verhandlungen über das angestrebte Joint-venture fortzuführen. „Wenn es ein Geschäft gibt, das wirtschaftlich Sinn macht, dann wird es abgeschlossen“, pflichtet nun der Chef einer US-Bank in Hongkong bei.

Private Banken aus den USA, Europa und Japan waren sich einig gewesen, die eigenen Geschäfte in China erst dann wieder aufzunehmen, wenn die Weltbank ihr Jawort zur Kreditwürdigkeit Pekings gegeben hätte. Seit jedoch Weltbankchef Barber Conable jegliche Entscheidung seiner Organisation auf einen Termin nach dem Treffen des Zentralkomitees der KPCh verlegt hat, das für Ende Oktober oder Anfang November erwartet wird, werden einige westliche und japanische Banken unruhig. Schon berichtet das Hongkonger 'Asian Wall Street Journal‘ von verdeckten Kreditverträgen Tokioter Banken.

Das gleiche Desaster

wie vor dem 4.Juni

Dabei sind die Gründe, warum das Geld nach Peking weiter fließen sollte, durchaus offensichtlich. Gerne berichteten westliche Journalisten nach dem Massaker über den Stillstand auf den großen Baustellen der chinesischen Hauptstadt, wo viele ausländische Firmen in Hotel- und Büroneubauten investiert hatten. Die Baustellen standen freilich nicht lange still. Heute wird in Peking wieder gewerkelt. Längst haben sich auch die Verhältnisse in der britischen Kronkolonie Hongkong weitgehend normalisiert, hat sich gar der Hongkonger Aktienindex, der noch im Juni als sensibler Anzeiger für Chinas Schwächen diente, auf in diesem Jahr unerreichte Höhen geschwungen. Steve Rasin, der englische Chefberater eines Hongkonger Investmentbüros, bringt den Stand der Entwicklung auf eine schlichte Formel: „Die wirtschaftliche Lage in China ist bedeutend schlechter als vor einem Jahr, aber kaum schlechter als vor sechs Monaten.“ Was Rasin sagen will: Nicht etwa die Aufregung um den Tiananmen hat der chinesischen Wirtschaft besonders geschadet; all jene Probleme, die die chinesische Volkswirtschaft kennzeichnen, gab es auch bereits vor dem 4.Juni. Diente das westliche Gerede vom Wirtschaftsboykott letztlich nur der moralischen Selbstbefriedigung?

Keine Frage, es gab und gibt ihn noch, den Boykott. Als die meisten Ausländer aus Angst vor einem vermeintlichen Bürgerkrieg zwischen dem 6. und 10.Juni das Land verließen, war der Wirtschaftsboykott fast zwangsläufig eine beschlossene Sache. Er entsprach aber auch dem kurzzeitigen Interesse vieler Firmen. Hat doch der Boykott die chinesische Regierung innerhalb kurzer Zeit gezwungen, ihren wirtschaftlichen Kurs eindeutig zu bestimmen. „Die wichtigste Konstante in der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas ist die dominierende Rolle der Ideologie“, wiederholt die 'China Review‘ das gängige Vorurteil westlicher Manager über die Wirtschaftspolitik der KPCh. Doch gerade in den vergangenen zwei Jahren, im ständigen politischen Stop-and -go zwischen den Wirtschaftsreformern um den entlassenen Generalsekretär Zhao Ziyang und den dogmatischen Zentralplanern um Premierminister Li Peng wußten Ausländer in China immer weniger, was sie von der „dominierenden Rolle der Ideologie“ zu halten hatten. Jetzt wissen sie zumindest, woran sie sind.

„Wir müssen die Autorität der Zentralregierung stärken und ihre Dezentralisierung bekämpfen, damit die Zentralregierung in der Lage ist, eine verstärkte, stabile und gut koordinierte Wirtschaftsentwicklung der Nation voranzutreiben“, verkündete Parteichef Jiang Zemin während seiner Rede zum 40.Jahrestag der Volksrepublik.

Zentrale verlangt ver

schwendetes Geld zurück

Jiangs Worte, inzwischen zur offiziellen Parteidoktrin erhoben, lassen keinen Raum mehr für wirtschaftliche Experimente. Entsprechend kommentierte das chinesische Wirtschaftsministerium den an diesem Wochenende vorgestellten „wirtschaftlichen Wiederaufbauplan“ für die Jahre 1989-1992. Zu viele Investitionen seien in vergangenen Jahren ohne die nötige Kontrolle an einzelne Provinzen und Unternehmen gegangen, meint man in Peking. Jetzt wolle man das verschwendete Kapital wieder zurückbekommen, um das nationale Budget aufzustocken. „Der Staat wird das Kapital effektiver verteilen können. Er wird auch von den Privatunternehmern eine höhere Effektivität fordern“, heißt es im Bericht des Wirtschaftsministeriums. Ironischerweise sind die Hardliner-Sprüche aus Peking derzeit scheinbar am besten geeignet, das ausländische Vertrauen in den chinesischen Sozialismus erneut zu stärken. Diese Meinung herrscht zumindest in Wirtschaftskreisen vor.

Tatsächlich müssen die landesinternen Rezentralisierungsmaßnahmen westlichen Industrieinteressen nicht unbedingt gegenläufig sein. Voller Wohlwollen bemerkt die Tokioter 'Asahi Shinbun‘, daß die neuen Pekinger Kursbestimmungen vorrangig mit dem fürs nächste Jahr erwarteten Höhepunkt der chinesischen Schuldenkrise zu erklären seien. „Aus japanischer Sicht erscheint es deshalb selbstverständlich, daß eine gestärkte Pekinger Regierung worauf auch immer sie ihre Macht gründet - für die kritische Phase der Folgekreditverhandlungen in absehbarer Zeit unabdingbar ist. Ausländischen Großinvestoren ist es traditionell ohnehin lieber, an zentraler Stelle in Peking zu verhandeln, als sich mit der Vielschichtigkeit chinesischer Provinzen zu beschäftigen.“ Freilich nur solange, wie die KPCh-Regierung nicht grundsätzliche Bedenken gegenüber den westlichen Moneymakern anmeldet. Davon aber ist Peking weit entfernt.

Pünktlich zur Verkündung des Dreijahresplans lud das Pekinger Wirtschaftsministerium den Gouverneur der Provinz Liaoning in die chinesische Hauptstadt. Der war bestellt, um seinerseits einen Hundertjahresplan feilzubieten, mit dem die nordöstliche Halbinsel Chinas um die Hafenstadt Dalian zu einem „zweiten Hongkong“ ausgebaut werde solle. Dalian, seit 1984 bereits wirtschaftlich eine der 14 Hafenstädte mit Sonderstatus, soll demnächst zur freien „Handelsstadt“ erklärt werden. Ob Propaganda oder nicht - derzeit sendet die chinesische Regierung weiterhin positive Signale gen Westen. Sie werden nicht ungehört bleiben.

Größere Sorgen um die weitere Entwicklungen im Handel mit China gibt es allenfalls noch in Hongkong und der angrenzenden Provinz von Kanton, wo etwa ein Drittel des chinesischen Warenaustausches abgewickelt wird. Da hier viele örtliche Unternehmen von der Öffnungspolitik Deng Xiaopings profitiert haben und der Region zu einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung verhalfen, sorgt sich Peking um den Machtzuwachs der Kantoner Regionalfürsten. „Die Praxis in Kanton hat gezeigt, daß die Ziele der Reform- und Öffnungspolitik bis zur Vollkommenheit erfüllt wurden“, behauptet ungestört Lin Ruo, KP-Provinzchef in Kanton. Der gemäßigte Reformer weiß sehr wohl, daß die Regierungsspitze in Peking seine Auffassung derzeit nicht unbedingt teilt. Vorbeugend lancierte er eine groß propagierte Antikorruptionskampagne.

Im politischen Wortlaut paßt sich der Reformer Lin Ruo der erneut aufgeflammten Kampagne Pekings „gegen bürgerlichen“ Liberalismus ohne weiteres an. Nur fügt er hinzu: „Der wirtschaftliche Aufbau muß weiterhin im Zentrum unserer Bemühungen stehen. Die wirtschaftliche Entwicklung darf uns nicht entgleiten. Dabei alles nach Plan und vorgegebenen Daten zu regeln, ist unmöglich. Das wissen wir.“

Lin Ruo hofft, daß die wirtschaftlichen Zwänge, in denen das Land nach wie vor steckt, stärker sind als die Machtgelüste der Pekinger Zentralisten. Die aber erwarten vor allem Devisen aus Kanton. Zu arm ist das Land, zu groß sind die Bedürfnisse von 1,1 Milliarden Menschen, als daß die KPCh die Macht des Geldes ignorieren könnte. In Tokio veröffentlichte die vielbeachtete Intellektuellenzeitschrift 'Sekai‘ unlängst eine Studie über die Verantwortung japanischer Unternehmen für die steigende Korruption in China. Auch nach dem 4.Juni werden japanische Unternehmen und westliches Kapital das Reich der Mitte mitregieren.

Georg Blume, Peking

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